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Arbeitswelt

Pflichtpraktikum: Wenn die erste Berufserfahrung zur Qual wird

Jedes Jahr die gleichen Horrorgeschichten: Schüler:innen in Österreich absolvieren ein Pflichtpraktikum und werden bitter enttäuscht. Sie bekommen viel zu wenig bezahlt oder machen Tätigkeiten, die nichts mit ihrer Ausbildung in der Schule zu tun haben. Doch was können Betroffene dagegen tun und was sagen die Arbeitgeber:innen? MOMENT hat mit drei jungen Menschen über ihre entmutigenden Erlebnisse gesprochen. 

Vor dem ersten Mal mischt sich Angst mit Vorfreude. Jedenfalls blickt man gespannt auf das, was kommt. Umso schlimmer ist es, wenn die Erwartungen überhaupt nicht erfüllt werden. Das betrifft viele Schüler:innen in ganz Österreich, die ihr Pflichtpraktikum absolvieren. Sie müssen im Rahmen ihrer Ausbildung in einer Berufsbildenden Schule (BHS oder BMS) ein Mindestmaß an Praktikumszeit in Betrieben ableisten. Die meisten Schüler:innen sammeln so ihre ersten Berufserfahrungen.

Sinn und Zweck der Pflichtpraktika: Die Schüler:innen sollen ihre in der Schule erworbenen Fähigkeiten praktisch anwenden. Ihnen soll ein Einblick in die Arbeitswelt gegeben werden.

Pflichtpraktikum: Arbeitsverhältnis oder Ausbildungsverhältnis?

Doch was genau kennzeichnet so ein „Pflichtpraktikum“? Je nachdem, ob Ausbildung oder Arbeit im Vordergrund steht, müssen verschiedene Dinge beachtet werden.

Bei Ausbildungsverhältnissen steht – wie der Name schon sagt – die Ausbildung im Vordergrund. Die Tätigkeiten müssen dem Zweck der Ausbildung entsprechen und die Praktikant:innen können sich ihre Arbeitszeit sehr frei einteilen. Außerdem dürfen sie nicht wirklich in den betrieblichen Ablauf eingebunden werden. Das heißt, dass die Arbeit der Praktikant:innen nicht für den „betrieblichen Fortgang“ des Unternehmens notwendig ist. Sind diese Kriterien überwiegend erfüllt, muss der Arbeitgeber auch keinen Lohn bezahlen. Er kann aber freiwillig „Taschengeld“ hergeben.

Bei Arbeitsverhältnissen ist das anders: Diese liegen dann vor, wenn die Praktikant:innen in die betriebliche Organisation eingebunden werden und an Arbeitsort und Arbeitszeit gebunden sind. Dabei unterliegen sie den Anweisungen des Arbeitgebers. Treffen diese Kriterien überwiegend zu, liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Dementsprechend muss auch nach Kollektivvertrag entlohnt werden.

Pflichtpraktikum: Zwischen Theorie und Praxis

Was in der Theorie logisch klingt, funktioniert in der Praxis oft nur mäßig. Jedes Jahr beschweren sich viele junge Menschen über die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. Oft verrichten die Praktikant:innen Tätigkeiten, die mit ihrer Ausbildung nur wenig zu tun haben. Arbeitgeber halten sich nicht an geltendes Recht, eigentliche Arbeitsverhältnisse werden als Ausbildungsverhältnisse bezeichnet und werden schlecht bezahlt. Moment.at hat mit Betroffenen gesprochen, die solche Erfahrungen gemacht werden. Die Namen wurden von der Redaktion allesamt geändert.

Elena: „Mit meiner Ausbildung hatte das wenig zu tun.“

Elena ging in eine HAK. Sie sollte im Pflichtpraktikum lernen, wie das Arbeiten in einem Büro ist. Stattdessen wurde sie von einem Betrieb vier Wochen Vollzeit bei vorgegebener Arbeitszeit dazu verdonnert, Dokumente einzuscannen. Das entspricht keinem Ausbildungsverhältnis. „Mit der Ausbildung in der Handelsakademie hatte die Arbeit wenig zu tun“, erzählt sie.

1000 € habe man ihr dafür vorher versprochen, einen Vertrag habe sie aber nie gekriegt. 350 € hat sie dann in Wahrheit bekommen – das sind ungefähr zwei Euro pro Stunde. Zu wenig für ein Arbeitsverhältnis. Dem Unternehmen hat das sicher geholfen – Elena aber nichts. Dokumente zu scannen gehöre eben zu den „allgemeinen Bürotätigkeiten“, sagt das Unternehmen zu Moment.at. „Ich hätte mir eine abwechslungsreiche Tätigkeit gewünscht, bei der ich mir auch etwas mitnehmen kann“, sagt Elena.

Im nächsten Sommer ging sie lieber gleich in eine Reinigungsfirma. Das hatte zwar auch nichts mit der Ausbildung zu tun, aber wenigstens wurde sie gut bezahlt. „Das haben viele so gemacht. Die Reinigungsfirma hat dann eben geschrieben, dass ich bei ihnen im Büro gearbeitet habe.“ Die Schule hätte über beide Praktika die Wahrheit erfahren und beide als Pflichtpraktika akzeptiert.

Leo: „Ich habe keinen Vertrag bekommen.“

Auch Leo ging in eine HAK. Seine erste Berufserfahrung machte Leo bei einem Installateursbetrieb. Im Gegensatz zu Elena hatte er etwas abwechslungsreichere Tätigkeiten. „Die meiste Zeit habe ich Broschüren und andere Unterlagen sortiert“, erzählt er. „Aber ich durfte auch eine Zeit lang im Sekretariat mitarbeiten.“ Einen Vertrag habe auch er nie gesehen. Deswegen wusste Leo auch nicht, wie viel er am Ende des Monats überwiesen bekommt. „Dass es dann nur 400 € waren, hat mich schon geärgert“, sagt er. „Aber man sagt halt dann nichts. Es war ja das erste Praktikum.“ 

Ob er im Pflichtpraktikum neues gelernt habe oder seine Fähigkeiten anwenden konnte? „Nein, eigentlich nicht“, meint Leo. Mittlerweile hat er schon maturiert. Im Nachhinein betrachtet hält er nicht sehr viel von dem System „Pflichtpraktika“: „So wie das bei mir war, hat das nicht wirklich etwas gebracht. Bei meinen Ferialjobs an einer Kasse eines Badesees habe ich mehr gelernt – und ich wurde besser bezahlt.“

Auf Anfrage beim Unternehmen heißt es, das Sortieren von Unterlagen gehöre nun mal zum Arbeitsalltag dazu. Es könne sein, dass der Ausbildungscharakter manchmal zu kurz komme. Das liege an der stressigen Sommerzeit, da könne man sich für die Betreuung der Praktikant:innen nicht immer genug Zeit nehmen. 

Julia: „Ich habe Privatfotos für die Chefin eingescannt.“

Julia hat mehrere Pflichtpraktika absolviert. Ihre extremsten Erfahrungen hat sie aber in einem Betrieb gemacht, in dem auch ihr Vater arbeitet. Drei Wochen lang sollte Julia in diesem Betrieb lernen und ihre HAK-Ausbildung in die Praxis umsetzen. 

Es kam aber anders: „Ich habe aber nur private Dinge für die Chefin erledigt. Ihr Sohn hatte Geburtstag und ich musste drei Wochen lang Fotos für ein Fotobuch einscannen und archivieren. Das waren so circa 1000 Fotos. Mehr als 40 Stunden pro Woche. Die Überstunden sollte ich aber nicht notieren, sagte man mir. Man hat mich fast wie eine Sklavin behandelt.“

Am Ende bekam sie rund 500 €. Sie fragte nach, warum ein anderer Schüler, der auch dort arbeitete, weit mehr bekam als sie. „Man hat mir gesagt, dass ich ja nur aus dem guten Willen der Firma etwas bekommen. Der andere mache ja kein Pflichtpraktikum, sondern einen Ferialjob und leiste ja ‘richtige Arbeit’.“

Julia beschwerte sich bei den zuständigen Lehrkräften in der Schule. Diese hörten solche Geschichten immer wieder und sagten ihr, dass man das eben „in Kauf nehmen müsse“.

Für die Leistung fair entlohnt werden

Geschichten wie Leo, Julia und Elena kennt Christian Hofmann, Bundesjugendsekretär der GPA-Jugend, zuhauf. Er geht davon aus, dass die „überwiegende Mehrheit“ der Pflichtpraktika Arbeitsverhältnisse seien und bei den Pflichtpraktika vieles nicht korrekt ablaufe. „Jedoch muss jedes einzelne Praktikum im Einzelfall geprüft werden“, so der Gewerkschafter. Für ihn müssen Pflichtpraktika klar geregelt und entsprechend bezahlt werden: „Wir fordern eine grundsätzliche Koppelung von Praktikant:innen-Einkommen zumindest an das Lehrlingseinkommen. Dies stellt sicher, dass junge Menschen, egal in welcher Ausbildung, für ihre Leistung fair entlohnt werden.“ Und auch für die Unternehmen hätte das positive Auswirkungen: In vielen Branchen hätte man bereits begriffen, dass es sich „nicht positiv auswirkt, wenn junge Menschen nichts verdienen“, so Hofmann.

Auf jeden Fall informieren

Moment.at hat auch bei der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) nachgefragt. Dort verweist man darauf, dass „es bereits in vielen Branchen eigene Entlohnungsregelungen für Pflichtpraktikant:innen gibt.“ Auf die Frage, ob man die kollektivvertraglichen Regelungen auch auf andere Branchen ausweiten sollte, heißt es aus der WKÖ: „Die Kollektivvertragsparteien kennen ihre Branche am besten und sollten daher über ihre jeweilige Regelung selbst entscheiden.“ Sie stünden ihren Mitgliedern jedenfalls bei allen Fragen zum Thema Praktikum persönlich zur Seite.

Und auch für betroffene Schüler:innen bzw. Eltern gibt es Anlaufstellen rund ums Pflichtpraktikum. Bei Arbeiterkammer oder Gewerkschaft kann man sich kostenlos beraten lassen. Sind die Arbeitgeber:innen den Verpflichtungen nachweislich nicht nachgekommen, können zum Beispiel Nachzahlungen eingefordert werden.

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