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Ungleichheit

Rassismus nach dem Terroranschlag: "Selber gschissenes Oaschloch"

Der Terroranschlag in Wien erschütterte die Stadt. Muslimische WienerInnen trifft er gleich doppelt. Sie sind zusätzlich dem vermehrten Rassismus ausgesetzt, der auf Anschläge folgt.

Der Terroranschlag am 2. November erschütterte Wien. Während die meisten BewohnerInnen langsam wieder in die Normalität zurückkehren, spürt die Wienerin Salma das Nachbeben. Es ist nämlich so: Salma ist nicht Weiß. Ihre Haut ist dunkler, ihre Haare schwarz und gelockt. „Ich trage kein Kopftuch, werde aber dennoch aufgrund meines Aussehens sofort als Muslimin eingeordnet“, sagt sie.

Salma heißt eigentlich anders. Die Wienerin opfert ihre Mittagspause, um in einem kleinen Park in der Innenstadt über den Rassismus zu sprechen, der ihr in den vergangenen Wochen noch härter ins Gesicht schlägt als sonst. Weil sie Angst vor weiteren Bedrohungen und Beschimpfungen hat, möchte sie anonym bleiben.

„Der Anschlag hat mich mitgenommen. Die Videos von unserer Stadt im Ausnahmezustand, ich habe nicht damit gerechnet, dass so etwas hier passieren kann“, sagt sie. „Ziemlich schnell ist mir klar geworden, was das für mich und andere muslimische Menschen in Wien bedeuten wird. Und genauso ist es dann auch gekommen.“

„Das Schlimmste ist, dass niemand eingriffen hat“

Wenige Tage nach dem Terroranschlag beschimpfte ein weißer Mann sie und den jungen Mann, der neben ihr in der U-Bahn saß, als „Scheiß Terroristen“. Der junge Mann bat ihn, das zu wiederholen. Wieder sagte der Fremde: „Scheiß Terroristen“. Und: „Ihr seid schuld an dem Anschlag. Arschloch.“ Salma erwiderte: „Selber gschissenes Oaschloch.“ Die Menschen um sie herum blieben still.

Jetzt meint Salma: „Das Schlimmste ist, dass niemand eingegriffen hat. Dabei waren genug Leute da. Und ich weiß ganz genau, der Mann steigt in die nächste U-Bahn und wiederholt seine rassistischen Beleidigungen.“

 
Auf dem Foto zu sehen sind Salmas Schuhe, schwarze Boots. Sie steht in einem Park.

Nach dem Terroranschlag in Wien wurde Salma gleich zwei Mal rassistisch beschimpft. Sie sagte darauf nur: „Selber gschissanes Oaschloch.“

Foto: Lisa Wölfl

#SchleichDiDuOaschloch

Unter dem Slogan „Schleich di, du Oaschloch“ haben Menschen ihren Umgang mit dem Terroranschlag gefunden. „Dass wir uns schleichen sollen, hören Menschen mit Migrationshintergrund ständig“, sagt Salma. „Daran erinnert mich der Slogan. Wenn es dann heißt: ‚Wir müssen jetzt zusammenhalten‘ – dann weiß ich, dieses ‚Wir‘, da gehöre ich nicht dazu. Auch wenn ich in Wien geboren bin, mein gesamtes Leben hier verbracht habe. Die Stadt ist meine Heimat. Ich habe keine andere, in die ich mich schleichen könnte.“

Rassistische Beleidigungen anzeigen

Rassistische Beleidigungen sind strafbar, erklärt Sophie Haidinger vom Verein Zara für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit. Sie müssen von der Polizei registriert und verfolgt werden. Eine Anzeige sei oft nur gegen unbekannt möglich. „Aber zumindest fließt der Fall in die Statistik ein.“ Die BeraterInnen des Vereins begleiten auch bei der Anzeige, falls gewünscht. Zara führt eine eigene Statistik über rassistische Vorfälle. In der Woche nach dem Anschlag wurden dem Verein 60 Fälle von anti-muslimischem Rassismus gemeldet.

In Wahrheit sind es wohl viel mehr Fälle. „Ich habe noch nie einen Übergriff gemeldet, weder an die Polizei noch an eine Beratungsstelle“, sagt Salma. Warum? „Es passiert ständig, dafür habe ich weder die Zeit noch die Kraft. Mein Vertrauen in die Polizei ist auch nicht besonders groß.“

Einfach nach der Uhrzeit fragen

Zwei Wochen nach dem Anschlag dann der nächste rassistische Vorfall. Salma stand beim Supermarkt an der Kassa an, hinter ihr eine Frau mit Kopftuch. Vor ihr eine weiße Frau, die erst vor sich hinmurmelte, sich dann direkt vor sie stellte und ihr ins Gesicht sagte: „Wissen Sie, wir sind selber schuld, wenn wir euch alle herholen. Das haben wir davon.“ Diesmal schaltete sich ein Mann ein, der auch in der Schlange stand. Die Frau solle mit der rassistischen Scheiße aufhören und sich woanders anstellen. Das tat sie auch.

„Zivilcourage ist in solchen Situationen so wichtig“, sagt Haidinger. Es gibt verschiedene Arten, aktiv zu werden. Zum Beispiel, indem man entschieden widerspricht oder Betroffenen Unterstützung anbietet. „Es kann aber auch helfen, einfach nach der Uhrzeit oder einem Feuer zu fragen.“ Wer sich in der Situation selbst nicht traut, kann auch danach die betroffene Person ansprechen und beispielsweise anbieten, den Vorfall bei der Polizei zu bezeugen. ZeugInnen können sich auch direkt an Zara wenden. Tatsächlich kamen seit der Gründung vor 20 Jahren rund zwei Drittel der Meldungen von ZeugInnen und nicht den Betroffenen selbst.

Jeden Tag Terroristin

Arua Juanita kennt den Hass, der sich nach Terroranschlägen auf unbeteiligte Menschen ergießt. „Nach Charlie Hebdo war es ganz schlimm. Aber die Beschimpfung als Terroristin begleitet mich auch sonst“, sagt sie.

Die Situation ist immer noch verschärft. Sie berichtet von ihren FreundInnen, die in der Arbeit oder in der Öffentlichkeit angefeindet und ausgegrenzt werden. „Wir Frauen, die Kopftuch tragen, sind ein Feindbild geworden.“ Angriffe auf offener Straße sind nur die schmerzhafte Spitze des Eisbergs. Rassismus äußert sich auch weniger offensichtlich.

 
Auf dem Foto zu sehen ist Arua. Sie trägt ein lila Kopftuch und eine Brille und sieht an der Kamera vorbei.

Arua begleitet Rassismus ihr Leben lang. „Wir Frauen, die Kopftuch tragen, sind ein Feindbild geworden“, sagt sie.

Foto: Mathieu Lohr

„Frauen mit Kopftuch kommen nur zu Wort, wenn es um Islam oder Rassismus geht“

Arua wird in allen Lebenslagen auf ihren Glauben reduziert, viel mehr noch auf den Stoff, den sie auf dem Kopf trägt. Immer wieder gibt sie Interview zu Rassismus, speziell an Schulen. „Ich habe auch andere Expertisen und Interessen. Frauen mit Kopftuch kommen aber nur zu Wort, wenn es um den Islam oder Rassismus geht. Als Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen oder Künstlerinnen sind sie unsichtbar.“ Das Telefonat, das wir führen, ist keine Ausnahme.

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie Zara oder das Volksbegehren Black Voices fordern einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus. Forderungen umfassen einen einheitlichen Schutz vor Diskriminierung und Sensibilisierung der Polizei gegen rassistische Kontrollen.

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