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Ungleichheit

Rassismus schadet auch dir

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Melissa und ihr Partner wurden rassistisch attackiert. Ein Mann beleidigte sie aus heiterem Himmel, schlug dann gegen ihren Partner zu. Der offene Rassismus nimmt in Österreich zu. Welche Gefahren davon ausgehen - für Betroffene aber auch die Mehrheitsgesellschaft - haben wir Expert:innen gefragt.

Melissa möchte mit ihrem Partner Federball spielen. In einer kleinen Straße zwischen einer Kirche und Wohnhäusern. Die wurde von der Bezirksleitung abgesperrt, damit Menschen dort verweilen, spielen und ihre Zeit genießen können. Wo sonst Autos parken, stehen Sitzgelegenheiten, ein Tischtennistisch und ein Volleyballnetz. An diesem Netz spielen Melissa und ihr Partner. Bis Melissa bemerkt, dass ein Mann sie anspricht. 

Sie fragt, ob sie zu laut waren und entschuldigt sich. Doch darum geht es nicht, macht der Anrainer klar. Schnell stellt sich heraus: Er hat ein Problem damit, dass Melissa nicht seinem Bild einer Österreicherin entspricht. Melissa kommt aus Istanbul. Sie lebt seit elf Jahren in Wien. Sie spricht gut Deutsch, gelegentlich schleicht sich noch ein Grammatik-Fehler ein. “Woher kommst du? Nenn mir dein scheiß Heimatland!”, habe der Mann gesagt. 

Er beleidigt sie, kritisiert ihr Deutsch, sagt, sie wäre “gottlos” und dürfe nicht vor einer Kirche Federball spielen. Melissa will sich das nicht gefallen lassen und lässt sich auf eine Diskussion ein. Um sie zu unterstützen und zu beschützen, stellt ihr Partner sich neben sie. Er sagt dem Angreifer, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist. Dann eskaliert die Situation. Der Täter greift Melissas Partner an. Schlägt ihm ins Gesicht. 

Rechtsextrem motivierte Straftaten steigen

Was Melissa schildert, ist kein Einzelfall. Meldestellen in Österreich sind alarmiert über den plötzlichen rasanten Anstieg an gemeldeten, rassistischen Vorfällen. Im ersten Halbjahr 2024 wurden auch deutlich mehr rechtsextreme Straftaten angezeigt als noch im Vergleichszeitraum 2023. Einerseits sind das gewalttätige Übergriffe wegen gruppenbezogenen Menschenhasses – wie bei Melissa. Doch auch andere Handlungen fallen darunter, wie Wiederbetätigung, Verharmlosung des Holocausts oder die Verbreitung von NS-Propaganda. Waren es vergangenes Jahr noch 386 rechtsextrem motivierte Straftaten, sind es 2024 bereits 556. Das zeigt die Antwort des Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage. 

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) verweist auf ein verschärftes Verbotsgesetz. Auch eine erhöhte Bereitschaft, Straftaten anzuzeigen, könnte dabei mitspielen. Das lassen auch Statistiken von ZARA – Zivilcourage und Antirassismusarbeit vermuten. Sie dokumentieren nicht nur rechtsextrem motivierte Straftaten, sondern alle rassistisch motivierten Vorfälle, die ihnen gemeldet werden. Diese Dokumentation zeigt, dass die Sensibilisierung eine große Rolle spielt, sagt Désirée Sandanasamy von ZARA. Durch den Mord an George Floyd erhielt die “Black Lives Matter”-Bewegung große Aufmerksamkeit und Zustimmung. Die Sensibilisierung gegenüber Rassismus war hoch. Im Jahr 2020 wurden dem Verein deutlich mehr Vorfälle gemeldet als in den Jahren davor oder danach. Das ist aber kein Grund zur Beruhigung. Denn es legt nahe, dass die Dunkelziffer der rechtsextrem motivierten Straftaten vermutlich noch viel höher liegt und in “gewöhnlichen” Jahren einfach weniger davon angezeigt und gemeldet wird. 

Der Anstieg der angezeigten rechtsextremen Straftaten steht auch im Einklang mit einem politischen Rechtsruck und einer Radikalisierung des rechten Spektrums – sowohl in Österreich als auch international. 

Rechtes Gedankengut reicht nicht nur bis in die Mitte, sondern bereits bis in linke Sphären

Der Diskurs hat sich verschoben. Was früher noch unsagbar war, sagen heute nicht nur rechtsextreme Politiker:innen, sondern ist in die Mitte der Gesellschaft und sogar bis in vermeintlich linke Kreise gerückt, sagt Andreas Schaudauer, Rassismusforscher in der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA). 

Er spricht von einem offenen Rassismus, der zunimmt. Daneben gibt es noch einen verdeckten Rassismus, der nur schlecht untersucht ist. Ob dieser zunimmt oder konstant bleibt, sei schwer zu beantworten. 

Welche Gefahren gehen von Rassismus aus?

Von dem zunehmenden offenen Rassismus gehen jedenfalls bereits Gefahren aus. Mit dem, was gesagt wird, verschiebt sich auch die Toleranz gegenüber rechtsextremen, gewaltvollen Taten, warnt der Experte. 

Rechtsextremer Terror wie dieses Jahr in England könne auch in Österreich passieren. Dort gingen Rechtsextreme auf die Straßen und zündeten Geschäfte und Autos an. Sie haben versucht, Hotels in Brand zu setzen, weil sie dachten, dass dort Geflüchtete untergebracht wurden. Sie schrien Parolen wie „England till I die“ und „kill ‚em all!“. Dem ging ein Attentat voraus, wo ein Jugendlicher bei einem Taylor-Swift-Tanzkurs drei Kinder tötete und weitere Menschen verletzte. Daraufhin wurde die Falschinformation verbreitet, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen muslimischen Asylwerber handle (Anm. der junge Mann ist weder muslimisch, noch Einwanderer). Diese Falschinformation brachte ein Fass zum Überlaufen, das vorher bereits von rechten Erzählungen – auch von Politiker:innen – langsam gefüllt wurde.

Besteht die Gefahr eines solchen rechtsextremen Terrors auch in Österreich? Die Gruppierungen dafür seien da. Viele Menschen starben durch Anschläge von Rechtsextremisten wie in Hanau, München, Christchurch oder Utøya. Solche Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs, erklärt Schadauer. 

Im Alltag begegnet uns andauernd Rassismus, der nicht so laut, gewaltvoll und bedrohlich wirkt. Dennoch ist es ein Problem. In erster Linie für Betroffene, die wie Melissa Anfeindungen und Gewalt erfahren. Betroffene, die am Arbeitsmarkt, am Wohnungsmarkt und in anderen Bereichen benachteiligt werden. 

Beispielsweise hat Doris Weichselbaumer in einer Untersuchung festgestellt, dass Frauen mit türkischem Namen und Kopftuch sich viermal häufiger bewerben müssen als Frauen ohne Kopftuch und mit deutschem Namen, um gleich oft zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Rassismus schadet allen

Rassismus schadet aber auch der Dominanzgesellschaft. Schadauer warnt: “Es wird angefangen, über den ‘migrantisch anderen’, den ‘rassifiziert anderen’, die Menschenrechte in Frage zu stellen. Aber es heißt nicht, dass es dort enden muss.”

Diskussionen und Maßnahmen könnten auch ausgedehnt werden auf jene, die “ökonomisch oder gesellschaftlich nicht mehr als wertvoll angesehen werden”. Das sehe man auch an der aktuellen Debatte zum Sozialstaat beziehungsweise der Sozialhilfe oder Mindestsicherung. Nach Diskussionen über eine syrische Großfamilie, die 4.600 Euro Mindestsicherung beziehungsweise Sozialhilfe erhält, wird darüber diskutiert, ob anerkannte Asylant:innen erst nach fünf Jahren den vollen Anspruch auf Sozialleistungen bekommen sollen.

Ein soziales Netz, das über Generationen hinweg aufgebaut wurde, wird dabei in Frage gestellt. Das werde bereits in den Vorschlägen teilweise schon über die “rassifiziert anderen” hinaus diskutiert.

Wie können wir Rassismus bekämpfen?

Schadauer ist wenig optimistisch. Diejenigen, die die Macht hätten, Rassismus effektiv zu bekämpfen, haben meist kein Interesse daran, sagt er. Denn Rassismus dient den Menschen, die sich dessen bedienen: Für den Machterhalt, um Kritik abzuwenden oder vom eigenen politischen Versagen abzulenken.

Dennoch kann jede:r etwas tun. Désirée Sandanasamy von ZARA macht deutlich: “Es reicht nicht, ein guter Mensch sein zu wollen und nett sein zu wollen, damit Rassismus nicht passiert. Rassismus passiert die ganze Zeit. Wir sind alle rassistisch sozialisiert und wir verhalten uns alle automatisch rassistisch, außer wir werden aktiv tätig, um rassismuskritisch zu sein.” 

Die Dominanzgesellschaft muss achtsam sein, mahnt auch Schadauer. Das wünscht sich auch Melissa. Die sich nach dem rassistisch motivierten Angriff auf sie und ihren Partner bei MOMENT.at gemeldet hat und über den Vorfall sprechen will. “Ich möchte diesen Vorfall nicht unkommentiert lassen, sondern dazu beitragen, Bewusstsein für die Gefahren von Hetze zu schaffen. Wir müssen als Gesellschaft deutlich machen, dass es keinen Platz für Rassismus und Gewalt geben darf, und wir müssen solidarisch zusammenstehen, um solche Taten zu verurteilen und ihnen entgegenzuwirken.”

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Anmerkung: Im Text wurde nicht eindeutig getrennt, dass der Verein ZARA – Zivilcourage und Antirassismusarbeit nicht rechtsextremistisch motivierte Straftaten dokumentiert, sondern alle ihnen gemeldeten rassistisch motivierten Vorfälle. Das wurde im Text an folgender Stelle nachträglich ergänzt: „Das lassen auch Statistiken von ZARA – Zivilcourage und Antirassismusarbeit vermuten. Sie dokumentieren nicht nur rechtsextrem motivierte Straftaten, sondern alle rassistisch motivierten Vorfälle, die ihnen gemeldet werden. Diese Dokumentation zeigt, dass die Sensibilisierung eine große Rolle spielt, sagt Désirée Sandanasamy von ZARA.“

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