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Demokratie
Ungleichheit

Rechte Zahlenspiele und Lerneffekte

NatsAnalyse Cover zeigt ein gezeichnetes Porträt von Natascha Strobl mit zwei Sprechblasen. In dieser Ausgabe geht es um "Dogwhistling".
In der NatsAnalyse kommentiert Natascha Strobl das politische Geschehen.
Aus österreichischer Sicht lief in Deutschland ein beneidenswerter Prozess ab in den vergangenen Tagen. Am Beginn stand allerdings der größte Dammbruch in Richtung Rechtsextremismus in der Nachkriegsgeschichte des deutschen Parlamentarismus. Die Mini-Partei FDP (sie hat um nur 73 Stimmen die 5 Prozent-Hürde für den Einzug in den Landtag geschafft) hat sich zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen lassen. Von der AfD.
Umgelegt auf Österreich juckt das nicht wirklich. Die FPÖ ist hier längst etablierte Kraft und optional immer wieder ein Koalitionspartner, besonders für die ÖVP, aber in einem Bundesland, dem Burgenland, auch für die SPÖ. Auch auf Bundesebene gibt es einen Flügel in der Sozialdemokratie, der zumindest gerne über eine Koalition mit der FPÖ nachdenken würde. Gleichzeitig gibt es mit der ÖVP eine zweite Rechtspartei, die auf Bundesebene nur im Habitus, aber nicht in der geforderten Politik von der FPÖ unterscheidbar ist. Sie ist die FPÖ für Menschen mit Zusatzversicherung. Und sie ist Koalitionspartner der Grünen. Kurz gesagt: die deutsche Diskussion über die Wahl eines Ministerpräsidenten auch mit den Stimmen der rechtsextremen AfD befremdet. So kann man also auch über Rechtsextremismus reden. So kann man dem parlamentarischen Rechtsextremismus also auch begegnen. Zumal auch Stimmen aus den bürgerlichen Parteien kamen, die mit einer Deutlichkeit sprachen, die in Österreich unter Linksextremismus firmieren würde. Das ist beeindruckend.

Zahlenspiel

Gleichzeitig ist dieser Dammbruch nicht einfach umkehrbar. Einmal die Büchse der Pandora geöffnet, bleibt sie offen, auch wenn wir uns jetzt alle einig sind, dass es ein Fehler war. Kemmerich wird das politisch nicht überstehen. Er hat aber vorgemacht, dass man die Stimmung  ja einmal austesten kann. Er hat sich verbrannt, aber es wird Weitere geben. Zu verlockend ist es, progressive Mehrheiten zu brechen. Während es auf progressiver Seite drei Parteien gibt, sind es auf bürgerlicher Seite nur zwei. Wenn es also darum geht Steuern von Klimasünder_innen einzuheben oder den Sozialstaat auszubauen, dann gibt es hier potentiell immer eine Partei mehr, die sich dafür ausspricht. Zumal sich die Parteien prozentmäßig immer mehr annähern, die Grünen die CDU in bundesweiten Umfragen schon überholt haben. Wenn es dann tatsächlich eng wird, dann ist die AfD eine verlockende Option. Es ist ein schlichtes Zahlenspiel. Die Ausflüchte finden sich schon: Es ist nicht wirklich eine Koalition. Nur für die Wahl des eigenen Kandidaten. Nur bei unstrittigen Themen. Nur mal schauen. Nur eine Kleinigkeit. So erodiert ein gesamtes politisches System. Die Möglichkeit einmal ausprobiert, bleibt sie im Spiel.

Lerneffekt

Es ist zu wenig, in sprachlosem Entsetzen zu verharren und zu glauben, dass durch den Rücktritt Kemmerichs wieder die alte Normalität hergestellt ist. Denn es hat sich etwas verschoben und die AfD hat trotz und auch wegen des Widerstandes gewonnen. Sie war wieder der Mittelpunkt des Geschehens und sie kann sich jetzt als Opfer der bösen anderen Parteien präsentieren. Die deutsche Zivilgesellschaft und die deutschen, antifaschistischen Parteien können dabei viel von Österreich lernen. Eine Akzeptanz und Normalisierung von Rechtsextremismus bewirkt nicht nur das Erstarken der klassischen Partei der extremen Rechten. Es bewirkt auch, dass sich (fast) alle anderen Parteien politisch auf diese zu bewegen. In Österreich sind die heißen politischen Themen im Moment: Ist es in Ordnung, Menschen präventiv auf Verdacht einzusperren? Sind Arbeitslose faul und sollen ihnen deswegen die Leistungen gekürzt werden? Hat der Kanzler recht, wenn er vor Journalist_innen auf die unabhängigen Staatsanwält_innen schimpft, die gerade gegen seine reichen Freund_innen ermitteln? Und wenn uns gar nichts mehr einfällt: Zum 700sten Mal Kopftuchverbot.

Nein, die FPÖ ist nicht in der Regierung. Ihre Politik wird trotzdem gemacht.

 

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