Rechte Zahlenspiele und Lerneffekte
Zahlenspiel
Gleichzeitig ist dieser Dammbruch nicht einfach umkehrbar. Einmal die Büchse der Pandora geöffnet, bleibt sie offen, auch wenn wir uns jetzt alle einig sind, dass es ein Fehler war. Kemmerich wird das politisch nicht überstehen. Er hat aber vorgemacht, dass man die Stimmung ja einmal austesten kann. Er hat sich verbrannt, aber es wird Weitere geben. Zu verlockend ist es, progressive Mehrheiten zu brechen. Während es auf progressiver Seite drei Parteien gibt, sind es auf bürgerlicher Seite nur zwei. Wenn es also darum geht Steuern von Klimasünder_innen einzuheben oder den Sozialstaat auszubauen, dann gibt es hier potentiell immer eine Partei mehr, die sich dafür ausspricht. Zumal sich die Parteien prozentmäßig immer mehr annähern, die Grünen die CDU in bundesweiten Umfragen schon überholt haben. Wenn es dann tatsächlich eng wird, dann ist die AfD eine verlockende Option. Es ist ein schlichtes Zahlenspiel. Die Ausflüchte finden sich schon: Es ist nicht wirklich eine Koalition. Nur für die Wahl des eigenen Kandidaten. Nur bei unstrittigen Themen. Nur mal schauen. Nur eine Kleinigkeit. So erodiert ein gesamtes politisches System. Die Möglichkeit einmal ausprobiert, bleibt sie im Spiel.
Lerneffekt
Es ist zu wenig, in sprachlosem Entsetzen zu verharren und zu glauben, dass durch den Rücktritt Kemmerichs wieder die alte Normalität hergestellt ist. Denn es hat sich etwas verschoben und die AfD hat trotz und auch wegen des Widerstandes gewonnen. Sie war wieder der Mittelpunkt des Geschehens und sie kann sich jetzt als Opfer der bösen anderen Parteien präsentieren. Die deutsche Zivilgesellschaft und die deutschen, antifaschistischen Parteien können dabei viel von Österreich lernen. Eine Akzeptanz und Normalisierung von Rechtsextremismus bewirkt nicht nur das Erstarken der klassischen Partei der extremen Rechten. Es bewirkt auch, dass sich (fast) alle anderen Parteien politisch auf diese zu bewegen. In Österreich sind die heißen politischen Themen im Moment: Ist es in Ordnung, Menschen präventiv auf Verdacht einzusperren? Sind Arbeitslose faul und sollen ihnen deswegen die Leistungen gekürzt werden? Hat der Kanzler recht, wenn er vor Journalist_innen auf die unabhängigen Staatsanwält_innen schimpft, die gerade gegen seine reichen Freund_innen ermitteln? Und wenn uns gar nichts mehr einfällt: Zum 700sten Mal Kopftuchverbot.
Nein, die FPÖ ist nicht in der Regierung. Ihre Politik wird trotzdem gemacht.