Reich sind immer nur die anderen
So viel verdient Sebastian Kurz ja nicht, meinte Sebastian Kurz im Vorwahlkampf. “Es ist wunderschön zu gestalten, wenn dir Geld nicht wahnsinnig wichtig ist”, sagte der Ex-Bundeskanzler im Juni in Grödig bei Salzburg, als er dort mit Feuerwehrleuten und Bergrettern sprach. Die vom Profil zitierte Aussage sorgte nicht nur bei den anwesenden Rettungskräften für Erstaunen. Denn bei allem Idealismus, den es braucht, um sich die Politik “anzutun”: Kurz bezog während seiner Zeit als Bundeskanzler ein Brutto-Jahresgehalt von 312.578 Euro – und gehörte damit keineswegs zu den weniger Begüterten.
Im Jahr 2017 zählte die Statistik Austria sieben Millionen steuerpflichtige ÖsterreicherInnen. Davon verdienten nur 15.146 mehr als 200.000 Euro brutto im Jahr. Das sind gerade einmal 0,002 Prozent, zu denen auch Sebastian Kurz gehörte. Auch als Außenminister und zuvor als Staatssekretär für Integration lag sein Einkommen über 200.000 Euro. Es mag sein, dass Kurz ein hohes Einkommen nicht wichtig ist. Als Bundeskanzler gehörte er aber zweifellos zu den oberen Zehntausend. Wie sehr deren Einkommen davongaloppiert ist, zeigt eine Zahl, die die Statistik Austria für Moment aufgestellt hat: Die 3.023 bestbezahlten Personen in Österreich verdienten im Jahr 2017 genauso viel wie die unterste eine Million der arbeitenden Bevölkerung und der Personen im Ruhestand.
Anrüchiger Wohlstand
Doch Kurz ist nicht allein. Viele ÖsterreicherInnen und fast alle Wohlhabenden schätzen ihr Vermögen im Vergleich zur restlichen Bevölkerung völlig falsch ein. Das belegt eine Studie der Nationalbank. Die Reichsten glauben demnach, selbst nur ein mittelhohes Vermögen zu besitzen. Und je reicher, desto mehr unterschätzen die Österreicher ihren Besitz. Von den obersten zehn Prozent zählt sich selbst niemand zu dieser reichsten Gruppe der Bevölkerung. Reich, das sind immer nur die anderen.
Wer ist reich?
Für den Wirtschaftspsychologen Erich Kirchler von der Uni Wien hat das einen einfachen Grund: „Bekanntlich kommt ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel“, sagt er zu Moment. Heißt: „In einem Land mit christlich-katholischen Werten sind Besitz und Wohlstand oft anrüchig.“ Es scheine in Österreich „sozial erwünscht zu sein, sich nicht allzu hoch einzustufen“, erklärt Kirchler, der seit mehr als 25 Jahren zu wirtschaftspsychologischen Themen forscht. Ein weiterer Grund für ihn: „Viele Menschen haben nur vage Vorstellungen darüber, in welche Kategorien sie sich selbst einordnen würden. Sie tendieren dann dazu, in der Mitte einer Antwortskala anzukreuzen“, sagt Kirchler.
Zudem umgeben sich Besserverdienende im Regelfall mit anderen Gutverdienern. „Da werden sie immer wieder feststellen, dass es noch Wohlhabendere gibt, als sie selbst sind“, erklärt Kirchler. Der Schluss liege nahe, „selbst gar nicht so wohlhabend zu sein“. Wenn also Sebastian Kurz bei einem Termin wie der Jubiläumsfeier des Börsengangs der Porr AG im April, Managern, Großaktionären und Parteispendern die Hand schüttelt, mag er sich wohl wie ein Geringverdiener vorkommen. Im Gespräch mit Feuerwehrleuten und Bergrettern liegt er mit dieser Einschätzung aber massiv daneben. „Kurz denkt sich: Wäre ich nicht Bundeskanzler, dann säße ich als Manager in einem Unternehmen und würde mehr verdienen“, sagt die Wirtschaftsjournalistin und Publizistin Ulrike Herrmann aus Berlin zu Moment.
Dass Reiche sich als weniger wohlhabend einschätzen, kann dazu führen, dass sie weniger bereit sind, in den Wohlfahrtsstaat einzuzahlen. Lisa Windsteiger, Ökonomin
Andere verdienen mehr und ich nicht genug! Diese verschobene Selbstwahrnehmung wirkt sich aus. „Die Tatsache, dass Reiche sich als weniger wohlhabend einschätzen, kann dazu führen, dass sie weniger bereit sind, in den Wohlfahrtsstaat einzuzahlen.“, sagt Lisa Windsteiger, Ökonomin am Max-Planck-Institut in München zu Moment. Reiche würden dann der Mittelschicht erklären, „dass Steuern auf hohe Vermögen ja auch sie treffen“. Eine weitere Folge: Obwohl kaum betroffen, würden auch bei sozial Schwächeren „Steuern auf Erbschaften und Vermögen weniger akzeptiert“. Die Mittelschicht im Kampf gegen Steuern auf Vermögen mit ins Boot zu holen, „ist möglicherweise eine Agenda der Reichen. In jedem Fall aber eine der Parteien, die gegen Vermögenssteuern eintreten“, sagt Windsteiger.
Arme lehnen Erbschaftssteuer ab
So werde dann suggeriert, eine Vermögenssteuer belaste den Häuslebauer im Weinviertel oder den, der von den Eltern eine Eigentumswohnung in Wien erbt, besonders stark. „Es gibt Umfragen, dass die Erbschaftsteuer ausgerechnet von jenen Menschen abgelehnt wird, die überhaupt kein Vermögen besitzen“, sagt Ungleichheitsexpertin Herrmann. „Da muss man schon fragen: Wie doof kann man denn sein? Offenbar denkt jeder, dass er übermorgen im Lotto gewinnt“ – und dann eben doch ein relevantes Vermögen besitzt, an dem Steuern nagen können. Tatsächlich nannten in einer YouGov-Umfrage 2015 sieben von zehn Deutschen Erbschaftssteuern „unfair“. Unter denen, die selbst nichts erben, war dieser Anteil sogar noch größer. Die Mittelschicht gebe sich einer großen Illusion hin: „Fast alle haben das Gefühl, dass sie kurz vor dem Reichtum stehen, diesen Reichtum nur noch nicht erreicht haben“, sagt Herrmann.
Heilsversprecher haben bei den Ärmsten großen Zulauf, sozusagen als letzte Hoffnung, dass sich ihre Lage doch ändern könnte. Erich Kirchler, Wirtschaftspsychologe
Ein umgekehrtes Bild ergibt sich am anderen Ende des Spektrums: Vom ärmsten Zehntel verorten sich 40 Prozent richtig. Jene in der ärmsten Kategorie „wissen vermutlich, dass kaum jemand in einer noch misslicheren Lage leben kann“, erklärt Kirchler. Im täglichen Leben spürten sie jedoch, dass viele wesentlich bessergestellt sind. Auch das hat Folgen: „Sie suchen oft verzweifelt nach Lösungen und müssen frustriert feststellen, dass sie kaum Chancen haben.“ Mit steigender Arbeitslosigkeit „stieg in der Vergangenheit auch die Bereitschaft, rechts zu wählen“, so der Wirtschaftspsychologe. Sogenannte Heilsversprecher hätten dann großen Zulauf, „sozusagen als letzte Hoffnung, dass sich ihre Lage doch ändern könnte.“
Für diesen Text haben wir mit zahlreichen Expertinnen und Experten zum Thema gesprochen: Vielen Dank an Ulrike Herrmann, Lisa Windsteiger (Max-Planck-Institut München), Erich Kirchler (Universität Wien) Florian Fischer (Statistik Austria) und Matthias Schnetzer (Wirtschaftsuniversität Wien)