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Arbeitswelt
Kapitalismus

Riders Collective für Fahrradbot:innen: „Die Branche ist kurz vor dem Zerbersten“

Das Riders Collective organisiert Fahrradbot:innen. Es ist ein einsamer Beruf.
Das Riders Collective organisiert Fahrradbot:innen. Es ist ein einsamer Beruf. Große Konzerne nutzen das aus. Foto: VP68/Pixabay
Im Riders Collective organisiert sich eine Branche zum Arbeitskampf, die sich kaum organisieren lässt: Fahrradbot:innen. Die meisten Arbeiter:innen sind nicht angestellt, viele machen den Job nur kurz. Riesige Konzerne nutzen das aus. Madelaine Engstler und Robert Walasinski suchen nach Wegen, etwas dagegen zu tun.

MOMENT.at: Die Kollektivvertragsverhandlungen der Fahrradbot:innen laufen derzeit alles andere als rund. Es gab bereits Warnstreiks. Wie schätzt ihr die Stimmung in der Branche ein?

Robert Walasinski: Die Branche ist kurz vor dem Zerbersten. Sie hängt seit längerem hängt am seidenen Faden. Wir sind 2020 mit dem Kollektivvertrag in eine richtige Richtung gegangen und sind zu einer gemeinsamen Lösung gekommen, die für alle tragbar ist. Dadurch, dass sich große Unternehmen wie Foodora jetzt nicht an die Spielregeln halten, kommt jedes Unternehmen in die Bredouille, das versucht, seine Arbeitnehmer:innen so zu vergüten, dass man davon leben kann. Kleine Unternehmen können mit diesen Preisen für diese Dienstleistungen nicht mithalten. Wenn ich für jede Stunde garantieren muss, dass die Leute ein anständiges Gehalt bekommen, kann ich keine Gratis-Zustellung machen. Die Dumpingpreise der großen Unternehmen sind eigentlich unlauterer Wettbewerb. Hier sind die politischen Institutionen gefragt, aber es gibt von politischer Seite wenig bis gar kein Interesse daran. 

Es geht um die strukturelle Ausbeutung, vor allem der Freien Dienstnehmer:innen. 

MOMENT.at: Ihr seid beide selbst schon im Sattel gesessen. Wie habt ihr das erlebt? 

Madelaine Engstler: Ich habe 2020 als Freie Dienstnehmerin bei Mjam (Anm.: heute Foodora) angefangen. Es war ein verlockendes Angebot, vor allem aufgrund der versprochenen Flexibilität. Ich bin relativ kurz im Sattel gesessen. Da ich Österreicherin bin, die Sprache spreche, die Regeln schnell kapiert habe und sie den anderen erklären konnte, wurde ich schon nach drei Monaten Captain. Dann hab ich in der Station gearbeitet, Rucksäcke ausgegeben, ich war die erste Ansprechpartnerin für Rider mit Problemen und für Organisatorisches zuständig. Da habe ich sehr viel von den Problemen der Menschen aus erster Hand mitbekommen. Aus dieser Erfahrung kann ich sagen: Es geht um die strukturelle Ausbeutung, vor allem der Freien Dienstnehmer:innen. 

Walasinski: Bei mir war das ähnlich. Ich bin weiß, deutschsprachig, habe einen Uniabschluss. Ich war nicht lange Freier Dienstnehmer. Ich habe 2016 bei Mjam anfangen. Mir ist sehr schnell angeboten worden als Disponent und dann als Rider Captain zur arbeiten. Eine solche Position ist immer mit einem Anstellungsverhältnis einhergegangen. Für mich war von Anfang an klar, dass ich kein freies Dienstverhältnis will, das ist mir zu riskant. Aus der Position des Rider Captains heraus habe ich mit Kolleg:innen einen Betriebsrat gegründet. Und da kommen wir an einen entscheidenden Punkt: Ein Betriebsrat ist eine politische Frage.

MOMENT.at: Was meinst du damit?

Walasinski: Laut österreichischem Arbeitsrecht können in Unternehmen ab fünf Angestellten Betriebsräte gegründet werden, Angestellte können von Gewerkschaften vertreten werden und haben das Recht auf einen Kollektivvertrag. Die politische Frage ist: Lässt ein Unternehmen das zu? Mit Freien Dienstnehmer:innen lässt sich das umgehen, weil für sie das Arbeitsrecht nur eingeschränkt gilt. Bei Foodora werden sie sich wahrscheinlich bis heute noch ärgern, dass sie jemals fünf Leute angestellt haben und ihnen dieses Instrument der Arbeitnehmer:innenvertretung in die Hand gegeben haben. 

Freie Dienstnehmer:innen werden gezielt in Konkurrenz gesetzt.

MOMENT.at: Also bei der Frage der Freien Dienstnehmer:innen geht es nicht nur um rein wirtschaftliche Interessen… 

Walasinski: Diesen Eindruck habe ich zumindest in bestimmten Verhandlungen mit dem Headquarter in Berlin bekommen. Gewerkschaftsfeindlicher geht kaum. Freie Dienstnehmer:innen werden gezielt in Konkurrenz gesetzt. Du wirst nach Bestellung bezahlt. Das heißt, der, der mir am nächsten ist, ist eigentlich mein Feind. Meine Kolleg:innen könnten meine Bestellung übernehmen und ich versuche halt, dass ich schneller bin. Dann kann ich die Kohle machen. Da Solidarität aufzubauen, ist ein schwieriges Unterfangen. 

Mit dem Riders Collective versucht ihr genau das: Solidarität in einer Branche aufzubauen, wo Solidarität kaum gelebt wird.

MOMENT.at: Wie ist es zur Gründung des Riders Collective gekommen? 

Walasinski: Die Gründung hängt mit meiner Tätigkeit als Betriebsrat zusammen, weil ich damals mit internationaler Vernetzung begonnen habe. Die Probleme, die wir in Österreich haben, existieren europa- und weltweit: dass Plattformen, multinationale Konzerne, in einen Markt eintreten, einen tollen, innovativen Service für Kund:innen anbieten. Und am anderen Ende werden die ausgebeutet, die diesen Service vollbringen. Delivery Hero (Anm.: der Mutterkonzern von Foodora) hat den ersten Fehler gemacht und zu Verhandlungen ins Headquarter nach Berlin eingeladen. Da waren auch Fahrer:innen aus anderen Ländern am Tisch und wir haben angefangen, uns auszutauschen. Bei diesem Austausch hat sich herauskristallisiert: Die lügen uns ins Gesicht. Sie geben uns jeweils nur die Infos, die ihnen am besten passen.

Also haben wir ein Netzwerk ins Leben gerufen, auch über Delivery Hero hinaus – weil egal welche Farbe, das Muster ist überall gleich. Durch dieses Netzwerk haben wir voneinander lernen können. Das Ergebnis ist das Riders Collective, das wir 2020 bzw. mit Beginn 2021 ins Leben gerufen haben. Wir verstehen uns als eine gewerkschaftliche Organisation von unten, die versucht, nicht nur aus dem Büro heraus etwas zu bewegen. Wir arbeiten mit Leuten, die selber dort gearbeitet haben oder noch dort arbeiten, und die wissen, was es in dem Beruf Sache ist. Wir können auf Augenhöhe kommunizieren. Vieles basiert auf internationalem Austausch, weil es ähnliche Initiativen in Deutschland oder in Spanien gibt, von denen konnte ich viel lernen. 

Wir versuchen, die Menschen hierher zu bekommen. Wir haben hier Wifi, eine Toilette, gratis Wasser, Tee, Kaffee und Möglichkeiten, um Räder zu reparieren. 

MOMENT.at: Wenn du sagst „Gewerkschaft von unten“, was sind eure Instrumente? 

Engstler: Ich habe beispielsweise den Vorteil, dass mich von früher noch sehr viele Leute kennen. Wir gehen auf die Straße, wir sind selbst mit dem Rad unterwegs und sprechen Rider an, fragen wie’s läuft. Wir erzählen, dass wir den Job schon selbst gemacht haben. Das nimmt man uns eher ab, anders, als wenn wir nur eine Kampagne aus dem Büro heraus machen.  

Walasinski: Außerdem schauen wir nicht kategorisch, ob jemand Gewerkschaftsmitglied ist oder nicht. Unser Zielpublikum, überwiegend Migrant:innen, ist ganz weit weg von Vertrauen in Institutionen, von Wissen über Institutionen und Regelwerk, Wissen über gewerkschaftliche Organisation, über Arbeitskampf. Bei Festangestellten ist das weniger ein Problem. Die haben einen Kollektivvertrag, der wird jährlich verhandelt und gut ist‘s. Aber bei Freien Dienstnehmer:innen fehlen uns die rechtlichen Instrumente. Wir können nicht wirklich was für die verhandeln. Wir können nur versuchen, das über andere Wege zu lösen, Rechtsschutz zu bieten oder Aufklärungsarbeit zu leisten. 

Engstler: Geworben wird mit dem Narrativ der „Freiheit“, dass man als Freie:r Dienstnehmer:in frei und flexibel arbeiten kann. Was ich aus meiner eigenen Erfahrung weiß: Es ist ein sehr einsamer Job. Wir versuchen, reinzugehen, die Rider zu organisieren, zu schauen, dass sie weniger allein sind. Wir sitzen hier im Roten Bogen, dem Riders Collective Space. Wir versuchen, die Menschen hierher zu bekommen. Wir haben hier Wifi, eine Toilette, gratis Wasser, Tee und Kaffee, Möglichkeiten, um Räder zu reparieren. Wir wollen vermitteln: Ihr seid nicht allein! Anders formuliert: Wir machen den Start, wir gehen von unten ran, sammeln die Leute ein. Wenn sie Gewerkschaftsmitglieder werden, ist das fein, aber es ist kein Muss, wir heben hier im Roten Bogen keine Mitgliedsbeiträge ein. 

Wir sind quasi eine Außendependance der Gewerkschaftsbewegung

MOMENT.at: Das heißt, der Riders Collective Space dient nicht nur zum Aufwärmen und Teetrinken, sondern auch der Vernetzung… 

Walasinski: Genau, wir sind quasi eine Außendependance der Gewerkschaftsbewegung. Es ist für Leute viel niederschwelliger. Ich kann sie auf einen Kaffee einladen, weil sie ohnehin ständig vorbeiradeln. Wenn ich sie in ein Gewerkschaftsbüro am anderen Ende der Stadt einlade, entferne ich mich von der Augenhöhe. 

Engstler: Viele kommen hierher, weil sie ein Problem haben, weil etwas mit den Dokumenten ihres Arbeitgebers nicht passt oder die Kommunikation mit der Sozialberatung schwierig ist. Viele der Fahrer:innen können sich selbst nicht helfen – wir können das, kostenlos. Und wenn wir ihnen nicht weiterhelfen können, können wir sie zumindest an die richtigen Stellen weiterleiten. Dafür müssen sie nicht Mitglied sein. Zu uns kann jede:r Lieferant;in kommen.

MOMENT.at: Jetzt gibt es euch seit drei Jahren. Was hat sich verändert in dieser Zeit? 

Walasinski: Wir sind in der Szene, in der Belegschaft ziemlich bekannt geworden und sind eine mediale Anlaufstelle geworden. Der größte Erfolg ist, dass wir in der migrantischen Community Vertrauen aufbauen haben können, zu Communities, die eher Institutions-fern sind, aufgrund von Negativerfahrungen oder gar keinen Erfahrungen. 

Engstler: Dass sich jene Migrant:innen, die im Herbst 2023 eine Demo organisiert haben, an uns gewandt haben und um Unterstützung gefragt haben, halte ich für einen sehr großen Vertrauensbeweis. Das ist eine Gruppe, die wir wirklich ansprechen müssen. 

Ich bin mir sicher, dass es nur wenige gibt, die bei der Demo im Herbst dabei waren und jetzt noch fahren. Das spielt den Unternehmen in die Hände, dass permanent neue Leute kommen.

MOMENT.at: Jetzt sind Leute in prekären Situationen, nicht gerade die, die sich politisch groß engagieren. Wie groß ist die Bereitschaft zum Arbeitskampf in der Branche? 

Engstler: Es wird besser, aber wir müssen weitermachen. Ein Problem ist die hohe Fluktuation unter den Fahrer:innen, sobald jemand länger dabei ist, das System versteht und sich traut aufzumucken, können sie ihn einfach vor die Tür setzen. Bei Freien Dienstnehmer:innen ist das relativ einfach, das ist hire & fire, sobald jemand aufmuckt, ist er schon weg.

Walasinski: Viele sind nur zwei, drei Monate dabei. Ich bin mir sicher, dass es nur wenige gibt, die bei der Demo im Herbst dabei waren und jetzt noch fahren. Das spielt den Unternehmen in die Hände, dass permanent neue Leute kommen. Jedes Netzwerk, das wir aufbauen, und die Vertrauensarbeit, die wir leisten, wird dadurch zerstört. Aber es ist auf jeden Fall Potenzial da und das Potenzial müssen wir nutzen: Niemand lässt sich gerne aufn Schädl scheißen. Sobald ich merke, dass das passiert, brauche ich nur eine Handvoll Leute, die mir helfen, das zu artikulieren. Und das ist Teil unserer Rolle. Wir sind geschützt, uns kann Foodora oder Wolt nichts anhaben, wir können diesen Ärger aussprechen und die Betroffenen unterstützen. 

Riders Collective gegen Konzernmacht

MOMENT.at: Trotzdem bleibt ein grundsätzliches Problem: Ihr versucht mit wenig Ressourcen gegen Riesenkonzerne zu kämpfen. Denen geht es nicht darum, dass jemand warmes Essen bekommt, da gehts um Risikokapital, um Shareholder Value. Welche Hebel habt ihr da?

Walasinski: Unser Hebel ist die politische Ebene: Inwiefern bin ich gewillt, politisch zuzulassen, dass erkämpfte Rechte, sukzessive abgebaut werden? Inwiefern bin ich gewillt zuzulassen, dass wir bestimmte Bevölkerungsgruppen haben, die im Regen stehen gelassen werden? Inwiefern bin ich gewillt, dass ich Unternehmen ausboote, die sich an die Regeln halten? Und inwiefern bin ich gewillt, Änderungen durchzuführen, die allen zugutekommen und nicht Implizieren, dass die Allgemeinheit für die Profite der Unternehmen bezahlt?

Die Krankenstände werden von unser aller Beiträge bezahlt – und nicht vom Unternehmen, das eigentlich dafür aufkommen sollte.

MOMENT.at: Wie meinst du das?

Walasinski: Nehmen wir die Krankenstände: Alle Freien Dienstnehmer:innen landen bei der Österreichische Gesundheitskasse und die Krankenstände werden von unser aller Beiträge bezahlt – und nicht vom Unternehmen, das eigentlich dafür aufkommen sollte. Leider wird bei Freien Dienstnehmer:innen viel zu oft auf bestehende Instrumente und Regeln verwiesen, nach dem Motto: Jeder kann zur Arbeiterkammer gehen und einklagen, dass er als Arbeitnehmer anerkannt werden will. Das ist keine politische Lösung, sondern das Problem wird auf den einzelnen ausgelagert. Selbst wenn er vor Gericht einen Rechtsstreit gewinnt, der vielleicht zwei, drei Jahre dauert, dann hat das für ihn eine Konsequenz – aber nicht für alle andern. Und Unternehmen können dann das Spiel genauso weiterspielen. 

MOMENT.at: Was würde es bedeuten, allen Rider:innen den regulären Arbeitnehmer:innen-Status zuzugestehen?

Walasinski: Ich gebe ein Beispiel. Ein Kollege hat mit Corona sein Anstellungsverhältnis in einem Restaurant verloren. Er war dann zwei Jahre lang als Freier Dienstnehmer für Mjam unterwegs. Das ging gut, bis sich die pandemische Situation verbessert hatte, die Bestellungen weniger wurden und er weniger Schichten bekam. Er verdiente weniger, das bedeutet Stress: Ich muss versuchen, jede Schicht zu bekommen, muss krank arbeiten, darf keine Woche ausfallen lassen. Es war nicht einfach, aber wir haben es geschafft, dass er in ein Anstellungsverhältnis kommt. Er hat eine Vollzeitanstellung bekommen, mit geregelten Arbeitszeiten, jeweils von Sonntag bis Donnerstag. Das hat ihm Zeit freigeschaufelt, um einen Deutschkurs und Fortbildungen zu machen. Und wieso? Weil er die Zeit und den Kopf dafür hatte. Er wusste, er bekommt am Monatsende sein Geld. Damit kann ich planen, ich habe meine Freizeit, Zeit mit meiner Frau und meinem Kind, ich habe Planungssicherheit – und damit komme ich auch weiter im Leben. 

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