Robert Misik: Die verletzte Arbeiterklasse und die Populisten in 4 Punkten
Buchbesprechung von Robert Misiks "Die falschen Freunde der einfachen Leute".
Wer ist eigentlich die Arbeiterklasse? Was einigt sie, was spaltet sie, was macht sie so scheinbar wütend in diesen Tagen, dass sie sich den RechtspopulistInnen und Demagogen zuwenden? Der Journalist und Autor Robert Misik versucht sich in seinem Essay „Die falschen Freunde der einfachen Leute“ denjenigen anzunähern, die oft als ignorant und rassistisch dargestellt werden. Und auf die „Die da oben“ gefühlt oder tatsächlich herabblickten.
#1 Das Herabblicken treibt Menschen zu den Populisten
Gerade das treibe sie in die Hände der Rechten: „Gäbe es nicht diese weitverbreiteten (Selbst-)Bilder vom ‚einfachen Volk‘, würde die Rhetorik der Populisten kaum funktionieren“, schreibt Misik. Die vereinfachte, mediale Darstellung der „einfachen Leute“, die als „zornig“ vorgeführt würden, errege erst recht ihren Zorn. Dann seien es die extremen Rechten und Populisten, „die den stummen Groll im Volk in Wählerstimmen ummünzen wollen, indem sie Wut und Zorn noch anstacheln.“
Obwohl die populistischen Parteien oft nur eine Minderheit der Stimmen erhalten, könnten sie sich „als ‚die Stimme des Volkes‘ bezeichnen“. Umgekehrt könne jemand, der eigentlich die Mehrheit hinter sich hat, im Extremfall als „Feind des Volkes“ hingestellt werden.
#2 Eine verwundbare Arbeiterklasse ohne gemeinsame Geschichte
Es gibt sie noch, die Arbeiterklasse! Nur rekrutiere sie sich heute eben nicht mehr aus den (vorwiegend männlichen) Fabrikarbeitern. Die Arbeiterklasse seien die Köche in unseren Restaurants, junge Frauen im Callcenter, Grundschullehrer, Technikerinnen, Maurer und Poliere, die Paketschupferin bei Amazon, der Prekäre, der sich durchschlägt. „Alles Arbeiterklasse – aber ohne gemeinsame Geschichte und Geschichten, die man sich erzählen könnte.“
Bei vielen dieser ArbeiterInnen, aber bei weitem nicht bei allen, „wurde das Gefühl der Sicherheit durch das einer permanenten Gefährdung ersetzt“, so Misik. „Es kann jederzeit auch dich erwischen. Du weißt, dass immer einer da ist, der es womöglich billiger macht“, beschreibt er die Gefühlswelt der vielen Verwundbaren. Und gerade das verhindere, dass sich diese Gruppe zusammentut. „Nichts untergräbt schließlich Solidarität mehr als das Gefühl, dass man als Einzelkämpfer darauf achten muss, selbst zu überleben.“
#3 Wandel ist für manche eine Chance, für andere eine Gefahr
Zwischen „Oben“ und „Unten“ gebe es einen großen Unterschied in der Wahrnehmung der modernen Gesellschaft: „Für die oberen Schichten bedeutet Wandel, dass du dich weiterentwickelst oder ein Start-up gründest. Für die Arbeiterklasse heißt Wandel meist, dass du gefeuert wirst.“
Auch zwischen den ArbeiterInnen gibt es unterschiedliche Erfahrungen: „Im Unterschied zu den migrantischen arbeitenden Klassen haben die weißen arbeitenden Klassen eine Abstiegserfahrung erlebt.“ Das könne nicht nur Verlust an Einkommen bedeuten. „Hoffnungsverlust ist auch ein Verlust. Statusverlust sowieso.“
Dazu komme das Gefühl nicht mehr dazuzugehören. „Wenn progressive Sozialinitiativen Nachhilfe, Ausflüge oder Ferien für Kinder aus unterprivilegierten migrantischen Familien organisieren, fragen die Hiesigen sich: ‚Warum tun sie das nicht auch für uns?'“ Für diese Gruppe bestehe die Gesellschaft praktisch aus den einheimischen Eliten, den Migranten und ihnen, den „einfachen Leuten“, so Misik. Für diese scheint es, als ob die ersten beiden „irgendwie zum Schaden Letzterer unter einer Decke„ steckten.
#4 Nur ein Teil der Arbeiterklasse denkt rassistisch
Ist diese neue Arbeiterklasse nun rassistisch? Einige schon, aber viele eben nicht, betont Misik. Es seien Menschen darunter, „die es satthaben, dass die Reichen immer reicher werden, während in ihr eigenes Leben immer mehr Unsicherheit einzieht. Leute, die Rassismus ablehnen, aber dennoch finden, dass gegen afghanische Jugendgangs etwas getan werden sollte“, schreibt Misik. Darunter seien auch der Gewerkschafter, der sich aufregte über die Oberen, die ihm „erklären wollen, wie wir zu reden haben“.
Die „einfachen Leute“ fühlten sich nicht authentisch wiedergegeben, „sondern auf ungerechte Weise abgewertet“. Ihre Erfahrungen und Urteile würden nicht einmal mehr wahrgenommen. Im letzten Kapitel des Buches kritisiert Misik diese „Rhetorik, die spaltet“. Wenn sich die Masse der weißen Arbeiterklasse nicht mehr repräsentiert fühle, könnte das dazu führen, dass sie sich „dem Bündnis entfremdet – mit dem Ergebnis, dass ein Teil ihrer Angehörigen zu den Rechtsradikalen überläuft“.
Eine scharfsinnige Geschichte der Arbeiterklasse
In seinem scharfsinnigen Essay beschreibt Misik die vielzähligen Konflikte der „einfachen Leute“, ihre Verwundungen und ihr Gefühl, bedrängt zu werden und nicht mehr dazuzugehören. Der Autor zieht eine Vielzahl an Werken, Sozialstudien und Umfragen heran, um seine Thesen zu untermauern: von Gesprächen mit „Hacklern“ in Wien bis zu den Erfahrungen der sogenannten Rednecks im „Rust Belt“ der USA. Daneben gelingt ihm noch auf nur wenigen Seiten, eine kleine Geschichte der Arbeiterklasse zu erzählen.