print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Kapitalismus
Ungleichheit

"The Triumph of Injustice" – Ein wichtiges Buch in 7 Punkten: Wie die Reichen wieder zahlen

Das wichtigste Buch des Jahres von Gabriel Zucman und Emmanuel Saez zeigt, wie nur die Reichen von der Politik der letzten 40 Jahre profitieren - und wie man das wieder ändern kann.

Es ist eines der meisterwarteten Sachbücher des Jahres und sorgt derzeit weltweit für Diskussionen unter PolitikerInnen und WirtschaftswissenschafterInnen: Das Buch heißt übersetzt „Der Triumph der Ungerechtigkeit: Wie die Reichen Steuern vermeiden und wie sie wieder zahlen müssen“ (Original: „The Triumph of Injustice: How The Rich Dodge Taxes and How to Make Them Pay“) und wurde von Emmanuel Saez und Gabriel Zucman geschrieben. Die zwei ursprünglich aus Frankreich stammenden Wirtschaftswissenschafter arbeiten an der University of California in den USA und tischen im Buch eine schonungslose Analyse der weltweiten Steuerpolitik auf – und Lösungen, wie man sie verändern kann und muss. Denn sie sagen: „Der Triumph der Ungerechtigkeit ist vor allem eine Verweigerung von Demokratie.“

Derzeit ist das Buch nur auf Englisch erhältlich. Anfang nächsten Jahres erscheint es auf Deutsch. Das sind die wichtigsten Punkte daraus:

#1 Das reichste Prozent zieht allen davon

Ein Kernkonzept im Buch und die Grundlage der Berechnungen ist das sogenannte „Nationaleinkommen“. Dieses stellt grob gesagt alle Einkommen eines Landes dar – egal ob sie von Unternehmen oder von einzelnen Menschen eingefahren wurden. Das haben die Forscher auf die jeweiligen Bevölkerungsschichten gelegt und dadurch ihre Steuerlast berechnet. Auch bei Unternehmenssteuern sind es im Endeffekt immer Menschen, die das Geld bekommen und Steuern zahlen. Die Autoren stellen in ihrer Forschung fest, dass es bei den Einkommen keine Spaltung in der Mitte der Gesellschaft oder auch nur zwischen der Oberschicht und dem Rest gibt. Sie zeigen, dass sie zwischen dem obersten Prozent und den restlichen 99 Prozent der Bevölkerung verläuft. Der Anteil der Reichen und Superreichen am Nationaleinkommen steigt explosiv an. Diese Tendenz sei zwar in den USA besonders stark, ist aber überall auf der Welt zu beobachten.

#2 Gerechte Steuersysteme werden zerstört

Das passiert, weil das ehemals „progressive“ Steuersystem der USA (progressiv bedeutet: je reicher man ist, desto mehr trägt man auch bei) vollkommen zerstört wurde. Die Daten zeigen: 2018 zahlten die 400 reichsten AmerikanerInnen gemessen an ihren Möglichkeiten erstmals überhaupt sogar weniger Steuern, als die untersten 10 Prozent der Bevölkerung. Die unteren Einkommen zahlen währenddessen mehr als früher.

#3 Steuern für Reiche sind im Sturzflug

Reiche zahlen heute viel weniger als über weite Strecken des 20. Jahrhunderts, weil Unternehmen, Vermögen und Kapital nach vielen Reformen anders und vor allem niedriger besteuert werden, als Steuern auf Einkommen, Sozialabgaben und Konsum. Unternehmen, Vermögen und Kapital haben aber nur reiche Menschen zur Verfügung. Konsum- und Sozialabgaben wirken hingegen „regressiv“ (das bedeutet: sie belasten Menschen mit kleinen und normalen Einkommen stärker, weil sie einen größeren Teil ihrer Ausgaben fressen). 

Die einzige wirklich „progressive“ Steuer ist in den USA (und vielen anderen Ländern) die Einkommenssteuer. Sie wird aber unterwandert und der Grundsatz, dass jedes Einkommen gleich stark besteuert werden soll, stimmt nicht mehr. Kapitaleinkommen werden immer weniger besteuert, Löhne immer mehr. Und es gibt zu viele Ausnahmen, die eine gewaltige Steuervermeidungs-Industrie auszunützen versucht. Reiche Menschen gliedern zum Beispiel ihre Einkommen in Unternehmen aus, die dann viel geringer besteuert werden. Unternehmenssteuern sind deshalb für Zucman und Saez die „Mindestbesteuerung“ der Reichen. Und überall auf der Welt sinken sie.

#4 Es gibt einen Teufelskreis

Denn seit ungefähr 1980 befinden wir uns in einem Teufelskreis. Bis dahin war das US-Steuersystem „progressiv“. Mit der Amtszeit von Ronald Reagan als Präsident in den USA hat sich das aber geändert. Donald Trump hat es nun auf die Spitze getrieben mit seiner „größten Steurreform aller Zeiten“, die ebenfalls vor allem Unternehmen und Reiche entlastet. Ab den 1980ern sei Steuervermeidung (die prinzipiell nicht-verbotene Methoden verwendet, aber dafür Schlupflöcher nutzt, die es nicht absichtlich gibt) und Steuerflucht (die illegal ist) zum Volkssport für die Reichen geworden. Denn die Ideologie von Reagan und anderer PolitikerInnen der Welt habe den Staat zu verteufeln begonnen – und es plötzlich als legitim oder sogar gut dargestellt, Steuern zu vermeiden. 

Argumentativ beobachten die Wissenschafter dabei immer dieselben Muster beim Steuerabbau für Reiche: Reiche und ihre Unternehmen finden eine neue Möglichkeit, Steuern zu vermeiden. Die Regierungen beklagen dann, dass es schwieriger oder unmöglich werde, diese Unternehmen zu besteuern. Und dann werden die betroffenen Steuern gesenkt, um es überhaupt unnötig zu machen, die Steuern zu vermeiden. Wer schon einmal das Argument gehört hat: „Wenn man die Steuern nicht senkt, dann wandern die Reichen alle aus“, weiß, worum es geht.

#5 Der Steuerwettbewerb dient nur den Reichen

Möglich ist die Steuervermeidung und Steuerflucht überhaupt nur durch einen Steuerwettbewerb zwischen Ländern. Dadurch können Steuersümpfe entstehen. In diese verschieben Superreiche und ihre Unternehmen dann Gewinne, um wenig oder gar keine Steuern zahlen zu müssen. Ein Steuersumpf zu sein, lohnt sich für die Finanzminister in Kleinstländer, geht aber immer auf Kosten der Menschen in anderen Ländern.

Ein Beispiel: Das Unternehmen Skype hat einst seine Kerntechnologie an eine eigene Tochterfirma in Irland um 25.000 Dollar verkauft. Dort sind die Steuern für Unternehmen niedrig. Da die Kerntechnologie nie am Markt gehandelt wurde, konnte Skype den Preis praktisch nach Gutdünken selbst festlegen. Wenig später wurde das Unternehmen um 2,6 Milliarden Dollar gekauft. Diese Einnahmen wurden nun so verrechnet, dass sie in Irland sehr niedrig versteuert werden konnten. Skype sparte sich hunderte Millionen an Steuern.

Mit solchen Konstruktionen arbeiten fast alle multinationalen Unternehmen. 40 Prozent aller Profite von multinationalen Konzernen werden in Steuersümpfen gemeldet. 250.000 Menschen bei spezialisierten Unternehmens- und Steuerberatern arbeiten laut dem Buch daran, Schlupflöcher für sie zu finden. Dieser Steuerwettbwerb, der überall auf der Welt Sozialstaaten unterwandert  und ein ständiges Rennen um immer niedrigere Unternehmenssteuern und Steuern auf Kapital ist, ist keine Naturgewalt, sondern eine politisch gewollte Entscheidung ist. Würde man die derzeitige Entwicklung logisch zu Ende denken und den Kurs der letzten Jahrzehnte beibehalten, könnten Unternehmenssteuern bis Mitte des Jahrhunderts bei 0 Prozent liegen. 

#6 Steuersümpfe kann man austrocknen (man muss aber wollen)

Die Autoren präsentieren Maßnahmen und Vorschläge, wie man Steuervermeidung stoppen könnte (im Buch sind die natürlich detaillierter dargestellt, als die Zusammenfassung das wiedergeben kann): Zuerst müssten Staaten anfangen, ihre eigenen multinationalen Konzerne konsequent zu besteuern. Damit diese davor nicht flüchten können, müssten sich die großen Staaten der Welt auf eine Mindeststeuer für Unternehmen einigen (Saez/Zucman schlagen 25 Prozent vor). Das geht etwa auf Ebene der G20 oder auch nur in Handelsverträgen zwischen der EU und den USA. 

Dank der OECD gibt es alle Informationen, die es braucht, um jene Steuern einzuheben, die mit verschobenen Gewinnen vermieden werden. Würden im Ausland versteckte Gewinne oder übersiedelte Unternehmen nachträglich besteuert werden, gebe es mit einem Schlag keine Anreize mehr, in einen Steuersumpf zu gehen. Staaten, die dieses System unterwandern, sollten scharf sanktioniert werden. Und es solle keine Handelsverträge mehr geben, in denen Steuerkooperation nicht vorkommt.

#7 Die Reichen können wieder gerecht besteuert werden

Wenn Steuerflucht erst einmal minimiert oder verhindert ist, könne man auch wieder eine gerechte Besteuerung der Reichen, Superreichen und ihrer Konzerne erreichen. Die gab es immerhin über den größten Teil des 20. Jahrhunderts. Dazu müssten prinzipiell alle Einkommensarten gleich besteuert werden und drei Maßnahmen geschaffen werden: Unternehmenssteuern, eine progressive Einkommenssteuer und progressive Vermögenssteuern.

Anstelle von regressiven Steuern wie Mehrwertsteuern und Sozialangaben soll eine „Nationaleinkommenssteuer“ treten. Auch dafür legen die Autoren recht detaillierte, technische Konzepte vor und lassen sich sogar zu einer Zahl hinreißen, was die optimale Besteuerung des reichsten Prozents anbelangt: Wenn man alle Steuern zusammennimmt, sollten ihre Einkommen mit 60 Prozent besteuert werden, sagen sie – damit etwa doppelt so stark wie NormalverdienerInnen.

 
The Triumph of Injustice

Fazit

„The Triumph of Injustice“ zeigt, wie billig die Reichen bei den Steuern nach vier Jahrzehnten wirtschaftsliberaler Politik wegkommen. Und es zeigt wie gefährlich es ist, dass es für sie noch billiger werden könnte. Das unterwandert nämlich das Vertrauen in unsere Demokratien und auch in die Globalisierung, die aber auch ganz anders funktionieren könnte. Beim Lesen der Analyse wird man abwechselnd wütend und verwundert darüber, wie die derzeitigen Zustände entstanden sind. Aber das Buch ist keine Wutschrift und führt keine Neiddebatte. Es zeigt lediglich die Folgen dieser Politik und belegt, dass andere, ärmere Menschen wirklich die Rechnung für diese Reichen-Rabatte zahlen müssen. Die 99 Prozent sind es, die auf teils lebenswichtige staatliche Leistungen verzichten oder mit ihren viel kleineren Mitteln selbst die Steuerlast stemmen müssen.

Und dann stiftet es auch noch Hoffnung. Würden Superreiche und Reiche ihren gerechten Beitrag an Steuern leisten, hätten die Staaten viel mehr Spielraum, um bessere Bedingungen für alle zu schaffen. Um den Sozialstaat der Zukunft zu schaffen und finanzieren zu können, müsse und könne man den Trend wieder umkehren. Anders als andere Analysen, zeigen Zucman und Saez dafür auch Möglichkeiten und Vorschläge auf. Sie legen für aktuelle oder kommende Regierungen eine Bedienungsanleitung für mehr Gerechtigkeit auf den Tisch.

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!