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Ungleichheit
Arbeitswelt

Vermögenssteuer: Warum es nicht gelingt, höhere Steuern für Reiche durchzusetzen

In Umfragen ist die Mehrheit dafür, Steuern für Reiche zu erhöhen. Linke Parteien fordern höhere Vermögenssteuern. Und doch kommen sie nicht. Warum ist das so? Im MOMENT-Interview beantworten der deutsche Wirtschaftsweise Achim Truger und die Ökonom:innen Helena Vitt, Florian Fastenrath und Paul Marx, warum es Politiker:innen nicht gelingt, höhere Steuern für Reiche durchzusetzen.

In Umfragen ist die Mehrheit dafür, Steuern für Reiche zu erhöhen. Linke Parteien fordern höhere Vermögenssteuern. Und doch kommen sie nicht. Warum ist das so? Lobbying der Wirtschaftselite und Kampagnen seien ein Faktor. Aber auch: Progressiven Politiker:innen fehle es an Selbstbewusstsein, dem entgegen zu treten.

„Linke trauen sich nicht zu, mal in eine Talkshow zu gehen und gegen die Wirtschaftselite zu argumentieren“, sagt Paul Marx. Er ist gemeinsam mit dem deutschen Wirtschaftsweisen Achim Truger sowie den Ökonom:innen Helena Vitt und Florian Fastenrath von der Universität Duisburg-Essen Mitautor der Publikation Why is it so difficult to tax the rich? MOMENT traf alle vier per Video zum Interview. 

MOMENT: Sie sprechen von politischem Versagen beim Versuch, Reiche zu besteuern. Worin liegt dieses Versagen?

Helena Vitt: Es kam nicht nur zu keiner stärkeren Besteuerung der Reichen. Sie wurden sogar entlastet. Zwischen 1998 und 2015 wurden die unteren 50 Prozent stärker belastet, die oberen 10 Prozent entlastet. Deren Belastung durch Steuern und Sozialabgaben flacht ab.

MOMENT: In Umfragen spricht sich regelmäßig eine Mehrheit für höhere Besitzsteuern aus. Politisch scheitert es jedoch immer wieder. Gibt es überhaupt einen signifikanten politischen Willen dafür?

Florian Fastenrath: In öffentlichen Umfragen stimmt eine sehr große Mehrheit zu, Vermögenssteuern wieder einzuführen. Der politische Wille dafür ist auch da. Das haben alle Politiker.innen, mit denen wir gesprochen haben, sehr authentisch zum Ausdruck gebracht. Warum die Vermögenssteuer dennoch nicht durchgesetzt wird? Die von uns interviewten Politiker:innen sind überzeugt, dass es eine große Zustimmung dafür gibt, das Thema aber für viele Bürger:innen nicht wahlentscheidend genug ist.

Umfragen kommen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn es von allgemeinen Fragen zu höheren Steuern für Reiche zu konkreten Steuerformen geht. Bürger:innen haben teilweise das Gefühl selber davon betroffen zu sein. Politiker:innen haben den Eindruck, dass offensive Steuerpläne negative Folgen für sie hätten. Sie berichten uns, dass man mit Steuererhöhungen zwar keine Wahlen gewinnen kann, aber durchaus welche verlieren.

Dazu gibt es in den progressiven Parteien, die Vermögen höher besteuern wollen, nicht immer eine einheitliche Linie. Während sich beispielsweise die SPD im diesjährigen Wahlkampf sehr geschlossen für die Vermögensteuer einsetzte, war es in der Vergangenheit so, dass der linke Parteiflügel dafür war, der pragmatische eher dagegen votierte. Das liegt auch daran, dass das Umsetzungspotenzial als eher gering eingeschätzt wird, da Steuergesetze in Deutschland zustimmungspflichtig sind. Dies bedeutet, dass auch eine Mehrheit im Bundesrat erforderlich ist, die derzeit aufgrund der vielen CDU-Beteiligungen an Landesregierungen nicht zu erwarten ist.

MOMENT: Sie haben mit Politiker:innen gesprochen, die für höhere Steuern für Reiche sind. Was sagen die, warum es nicht gelingt, das umzusetzen?

Paul Marx: Als erste Antwort kommt immer: die öffentliche Meinung ist dagegen. Umfragen zeigen: Es gibt unter den Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl, die Ungleichheit ist zu groß und man sollte etwas dagegen tun. Entscheidend sind aber Mehrheiten für ganz konkrete Projekte. Da wird es aus Sicht der interviewten Abgeordneten schwierig.

Ein Grund dafür in der Wahrnehmung der Abgeordneten ist, dass es der Wirtschaftsseite leichtfällt, mit „Steuermythen“ Sorgen zu schüren. So entstehe in der Bevölkerung der Eindruck, sie selbst würden zum Beispiel mit Immobilienbesitz von höheren Vermögenssteuern betroffen, obwohl es hohe Freibeträge gibt. In den Interviews wurde zum Beispiel viel über Kampagnen der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gesprochen.

Linke trauen sich nicht zu, mal in eine Talkshow zu gehen und gegen die Wirtschaftselite zu argumentieren.
Paul Marx, Studienautor

Dazu ist das Thema Steuern sehr komplex. Nur eine Minderheit beschäftigt sich mit den Details. Anders als in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kann ich viel schwieriger verstehen, was eine steuerpolitische Änderung für mich persönlich bedeutet. Das ist wohl ein Einfallstor für Desinformationskampagnen.

Dennoch sollte es möglich sein, Mehrheiten für ein Vorhaben zu organisieren. Den Mindestlohn unterstütze die Bevölkerung auch erst, nachdem es eine ambitionierte Kampagne dafür gab. Das scheint der Politik beim Steuerthema schwer zu fallen. Viele trauen sich nicht zu, mal in eine Talkshow zu gehen und gegen das Framing der Wirtschaftsseite und der FDP zu argumentieren und die Menschen damit zu überzeugen. Im vergangenen Wahlkampf haben wir aber gesehen, dass das durchaus möglich ist.

Fastenrath: Aufgrund der unterschiedlichen Traditionen und Identitäten der Parteien sind sie in Bereichen wie der Steuerpolitik sehr ungleich aufgestellt. Politischer Nachwuchs tritt in linke Parteien eher ein, um sich um Arbeit und Soziales zu kümmern und weniger um Finanzfragen. Bei den Konservativen gibt es Wartelisten dafür, in die Finanzausschüsse zu kommen. Mitte-Links Parteien suchen dafür händeringend Leute. Da die Steuerpolitik nicht das Herzensthema linker Parteien ist, gibt es auch deutlich weniger Politiker*innen, die hier die notwendige Sattelfestigkeit besitzen.

 
Video-Interview mit Fastenrath, Marx, Truger und Vitt (im Uhrzeigersinn)

Screenshot aus Video-Interview mit Fastenrath, Marx, Truger und Vitt (im Uhrzeigersinn).

MOMENT: Oft wird das organisierte Lobbying der Wirtschaft als Barriere beschrieben. Warum ist es so schwer dagegen anzukommen?

Achim Truger: Das Lobbying ist schon sehr intensiv. Da werden bestimmte Wissenschafter:innen und Politiker:innen angesprochen, von denen die Lobbygruppen schon wissen, dass sie das für sie Richtige sagen werden. Verbände gehen auf einzelne Politiker:innen in deren Wahlkreisen zu und sagen, wie problematisch höhere Steuern für Reiche wären. Das sind massive Versuche der Beeinflussung.

Marx: Die Wirtschaftsseite hat es geschafft, Wissenschaft, Journalismus und Politik über Jahrzehnte um relativ simple und konsistente Anti-Steuer-Botschaften zu versammeln. Etwa: Höhere Steuern für Reiche vernichten Arbeitsplätze. Oder: Wenn wir Steuern erhöhen, verlassen Unternehmen das Land. Solche klaren Botschaften haben auf der linken Seite gefehlt. Anders wäre es möglicherweise, wenn Parteien im linken Spektrum, gemeinsam mit Gewerkschaften und anderen Gruppen mit einer Stimme klare Botschaften sprechen würden. Der letzte Wahlkampf ging zumindest in diese Richtung.

 
MOMENT: Gibt es beim öffentlichen Diskurs zum Thema Steuern eine Schieflage zugunsten von Wirtschaftsinteressen und Reichen mit der Folge, dass Wähler:innen am Ende nein zu höheren Steuern für Reiche sagen, obwohl ihnen das gar nichts bringt?

Marx: Höhere Steuern für Reiche sind auch mit Wertefragen verbunden. Etwa zu sagen, Leute die viel besitzen, haben wohl härter gearbeitet und werden es wohl auch verdient haben. Bei der Erbschaftssteuer gibt es moralisch aufgeladene Argumente darüber, dass in der Familie Sachen mehrmals besteuert werden.

Wenn Menschen solche Werte haben, kann es rational sein, gegen Steuern für Reiche zu stimmen. Wir maßen uns da kein Urteil an. Unsere Ergebnisse weisen aber schon darauf hin, dass systematisch Informationen ausgesandt werden, die den Eindruck vermitteln, Steuererhöhungen für eine sehr kleine Gruppe von sehr reichen Menschen, würden einen selber betreffen.

Diese Aspekte breit und vernehmbar zu thematisieren, wäre wünschenswert. Die Menschen sollten im Idealfall schon drüber nachdenken, was höhere Steuern für Reiche konkret für sie bedeuten würde. Und inwieweit das anderen Werten dienen würde, die ihnen auch wichtig sind. Etwa dem Wunsch danach, ökonomische Ungleichheit in Grenzen zu halten.

 
vermoegenssteuern-verlauf-finanzkrise.png

Anteil der Vermögenssteuern am gesamten Steueraufkommen in Österreich. // Quelle: Momentum Institut

MOMENT: Kann man die Ergebnisse der Interviews von Deutschland auch auf andere Länder übertragen?

Fastenrath: In einem anderen Projekt zum Thema vergleiche ich mit Kolleg:innen Deutschland mit Österreich und Spanien. Da kann man ähnliche Prozesse beobachten. In Deutschland ist nach der Finanzkrise bei Vermögenssteuern sehr wenig passiert. In Spanien wurde die Vermögenssteuer wieder eingeführt, die kurz zuvor abgeschafft worden war. In Österreich wurden einige vermögensbezogene Steuern eingeführt, die Vermögenssteuer selbst aber nicht. Hier hat sich allerdings gezeigt: Wenn man in der Steuerpolitik offensiv agiert, kann man einiges erreichen.

Marx: In vielen Ländern lässt sich beobachten, dass die Ungleichheit wächst. Bei der Besteuerung von Reichen herrscht aber eine weit verbreitete Passivität, sie werden in vielen Ländern sogar entlastet. Aber immer wieder gab es Ereignisse, die die Besteuerung von Reichen auf die Agenda gesetzt haben.

In der Vergangenheit waren das häufig Kriege, in denen die Lasten in der Bevölkerung ungleich verteilt waren. Das eignete sich dazu, höhere Steuern für Reiche moralisch zu begründen. Auch in der Finanzkrise 2008 gab es die Gelegenheit dafür, höhere Steuern auf Vermögen erfolgreich zu argumentieren. Für uns ist die Frage, ob die COVID-19-Pandemie ähnlich wirken kann.

 

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