Millionär Djaffar Shalchi: "Reich sein ist okay – wenn du Steuern zahlst.”
MOMENT.at: Sie fordern eine Vermögenssteuer für Millionäre und sind selbst einer. Warum wollen Sie sich mit einer Reichensteuer in Ihr eigenes Fleisch schneiden?
Djaffar Shalchi: Ich möchte mir selbst ins Fleisch schneiden, weil ich zum reichsten Prozent der Welt gehöre. Alle Gewinne landen in unseren Taschen, während die normalen Arbeiter:innen die Steuern zahlen. Das ist nicht fair verteilt. Im Laufe meines Berufslebens habe ich mitbekommen, wie kaputt unser System ist.
Unsere Demokratie ist außer Kontrolle geraten. Denn das oberste Prozent sind auch die Leute, die unsere Politik in jedem Land stark beeinflussen. Wir müssen zu einem fairen System zurückkehren. Zu einem demokratischen System, in dem jeder seinen gerechten Anteil zahlt und wir nicht das Geld die Politik bestimmen lassen.
MOMENT.at: Gefährden reiche Menschen die Demokratie?
Shalchi: Ja, das tun sie. Vor ein paar Jahren veröffentlichten zwei Professoren einen Bericht dazu. Ihre Schlussfolgerung: Das reichste Prozent setzt sich bei rund 85 Prozent aller politischen Vorschläge durch. Für den Rest der Bevölkerung blieben 10 bis 15 Prozent. Wir Millionäre können unsere Positionen vertreten und durchsetzen.
Mein Reichtum schießt in die Höhe. Ich muss nichts dafür tun, weil das System für mich funktioniert.
Das politische System ist für uns gebaut. Ich weiß das, weil ich Teil dieses Systems bin. Ich sehe, wie mein Reichtum in die Höhe schießt. Ich muss eigentlich nichts dafür tun, weil das System für mich funktioniert. Das ist ein großes Problem in unserer heutigen Demokratie.
MOMENT.at: Sollte es Menschen überhaupt möglich sein, so reich zu sein wie Sie? Oder gibt es irgendwann zu viel Reichtum in der Hand einzelner Personen?
Shalchi: Reich sein ist okay – wenn du deine fairen Steuern zahlst. Es ist aber nicht okay, Milliardär:in zu sein, Monopole aufzubauen und Lobbyarbeit für eigene Interessen zu machen. Das ist, was sie heute tun. Das ist ein Problem.
MOMENT.at: Ihr Lebensweg klingt wie die wahrgewordene Erzählung vom Selfmade-Millionär. Sie sagen: Das stimmt nicht, so etwas gibt es nicht. Warum?
Shalchi: Meine eigene Geschichte zeigt sofort, was ein faires System wie die dänische Gesellschaft für jemanden wie mich tun kann. Ich bin aus dem Iran nach Kopenhagen gekommen. Ich kam aus einer normalen Familie, die kein Geld hatte, das mich nach vorne bringen konnte.
Aber in Dänemark gibt es ein Wohlfahrtssystem, kostenlose Bildung, ein kostenloses Gesundheitssystem, Sicherheit und so weiter. Ich konnte zur Schule gehen, dann zur Universität und Bauingenieur werden. Danach konnte ich mein Unternehmen gründen. Aber das ist mehr als fünf Jahrzehnte her.
MOMENT.at: Was hat sich seitdem verändert?
Shalchi: Inzwischen ist selbst die dänische Gesellschaft auf dem Weg nach unten. Jetzt kommen die Privatschulen, die privaten Krankenhäuser. Reiche können in Dänemark in Krankenhäuser gehen und sich behandeln lassen. Der Rest muss schonmal Jahre warten, um operiert zu werden. In Dänemark haben wir mehr als 55.000 arme Kinder, die an Schul-Aktivitäten nicht teilnehmen können, weil sie heute dafür bezahlen müssen. Früher war das kostenlos.
Wir sind auf dem Weg in eine unsichere Welt, in der eine kleine Gruppe allen Reichtum besitzt.
Ich halte das für eine Schande. Die dänische Gesellschaft ist heute viel reicher als vor fünf Jahrzehnten. Damals gab es aber auch keine Top 10 Prozent der Bevölkerung, die mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens besaßen. Dabei ist Dänemark noch eine der gleichberechtigten Gesellschaften. Wenn so etwas dort passiert, was passiert im Rest von Europa, in den USA und der Welt? Auch im Iran häufen die oberen 10 Prozent den gesamten Reichtum an.
MOMENT.at: Wie wichtig ist Erben für Menschen, die reich werden wollen? Wie groß ist dieser Startvorteil?
Shalchi: Wenn Sie in einer reichen Familie geboren werden, sind Sie im Vergleich zu den Kindern, die in normalen Familien geboren werden, in der Spitzenposition. Stellen Sie sich ein Klassenzimmer mit 45 Schüler:innen vor. Die Lehrperson sagt, jede:r hat einen Ball. Sie müssen ihn schnell in einen Korb legen, und der steht neben ihr. Natürlich ist es für die Schüler:innen vorne viel einfacher, dort hinzukommen, als für die hinten. Das ist heute die Situation im größten Teil der Welt.
MOMENT.at: Um wie viel Geld geht es, wenn wir vom oberen Prozent der Vermögenden sprechen?
Shalchi: Nach der Krise liegt der gesamte Reichtum des obersten Prozent bei 200 Billionen US-Dollar. Auf den Rest, also 99 Prozent, fallen ebenfalls 200 Billionen. Eine kleine Gruppe hat so viel wie 8 Milliarden Menschen auf der Welt. UN-Generalsekretär António Guterres warnt davor, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre das oberste Prozent sogar schon 75 Prozent des gesamten Reichtums der Welt haben werden. Wir sind auf dem Weg in eine unsichere, instabile Welt. Eine Welt, in der eine sehr kleine Gruppe von Menschen den ganzen Reichtum besitzt. Und dann haben sie alle anderen: 8 Milliarden Menschen kämpfen um die restlichen 25 Prozent.
MOMENT.at: Warum ist diese Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten so explodiert?
Shalchi: Seit Ronald Reagan und Margaret Thatcher und deren Vorstellung von Trickle-Down-Ökonomie wurden die Reichen entlastet. Der Gedanke war, wenn die Reichen immer reicher werden, wird der Kuchen immer größer, den wir in der Gesellschaft aufteilen können. Aber das stimmt nicht und ist in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht passiert. Und deshalb ist es Zeit für eine Vermögenssteuer – jetzt.
MOMENT.at: Wie hoch soll diese Reichensteuer sein und wie viel Geld könnte das bringen?
Shalchi: Die UNO hat 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung definiert. Um die zu erreichen, brauchen wir etwa 4 Billionen US-Dollar. 193 Länder haben das im Jahr 2015 unterzeichnet. Aber keines von ihnen hat seinen Finanzierungsteil davon aufgebracht. Die UNO schreit jedes Jahr mehrmals, dass es an der Zeit ist, dass die Regierungen dieses Geld einsammeln. Unser Vorschlag war: Eine Steuer von nur 1 oder 2 Prozent auf das oberste Prozent der Vermögenden würde ausreichen. Es fehlt kein Geld. Es fehlt daran, das Problem zu sehen und eine Denkweise zu entwickeln, dass das zum Wohle aller ist – und auch besonders der reichen Leute.
MOMENT.at: Warum soll das auch gut für die reichen Leute sein?
Shalchi: In den nächsten zehn Jahren werden wir allein in Afrika eine Milliarde Menschen mehr haben. Während des Kriegs in Syrien sind 500.000 Menschen nach Europa geflüchtet. Das war etwas, das wir in Europa und sogar in Dänemark kaum bewältigt haben. In zehn Jahren werden noch viel mehr Menschen nach Europa kommen. Was werden wir tun? Werden wir sie auf dem Weg hierher über den Ozean herunterschießen oder was? Wir sagen: Nein! Lasst uns ein faires System schaffen, damit jeder einen Platz zum Wohnen, Arbeit und ein menschenwürdiges Leben hat.
Die Reichensteuer macht uns nicht weniger reich. Sie nimmt nur ein wenig von unserem Gewinn.
Das wird jemandem wie mir und meinen Kindern und Enkelkindern zugutekommen. Ich möchte nicht, dass sie in einem Schloss leben, mit Wachen und Polizist:innen um sie herum. Das gibt es schon: Einige meiner Freund:innen in Brasilien, die reich sind, leben unter solchen Bedingungen. Sie leben hinter Gittern und wenn ihre Kinder zur Schule gehen, bringt sie ein Auto mit Wachen dorthin. Wollen wir das in Europa? Ich glaube nicht, dass reiche Leute diese Art von Gesellschaft wollen.
Und komm schon! Wir reden über eine Steuer von 1 oder 2 Prozent. Das führt nicht einmal dazu, dass wir weniger reich sind. Es nimmt nur jedes Jahr ein wenig von unserem Gewinn ab. Unser Reichtum wächst im Schnitt Jahr für Jahr um 8 bis 10 Prozent. Sie werden diese Steuer gar nicht spüren. Ich gebe mehr als die Hälfte meines Vermögens weg, um zu tun, was ich heute tue. Und mir fehlt nichts. Ich habe immer noch mein schönes Leben.
MOMENT.at: Viele Millionär:innen und Milliardär:innen betätigen sich als sogenannte Philanthropen. Sie lehnen das ab. Warum funktioniert diese Wohltätigkeit nicht?
Shalchi: Es reicht nicht aus und ist nicht der richtige Weg. Ich möchte auch nicht, dass wir ein System haben, in dem wir alles kontrollieren, alle Gewinne nehmen und danach ein paar kleine Gelder für wohltätige Zwecke spenden. Es ist so klein, dass es nichts lösen kann. Und es sollten nicht Privatpersonen sein, die bestimmen, was zu tun ist. Wir brauchen ein demokratisches System der Verteilung.
MOMENT.at: Sie haben „Millionaires for Humanity“ auf den Weg gebracht und fordern, dass sie stärker besteuert werden. Wenn so viele Reiche das wollen, dann muss es doch jetzt funktionieren?
Shalchi: Ja, wenn Millionär:innen und Milliardär:innen sagen: Hey, besteuert mich, dann hören die Leute zu, dann hören die Medien zu. Deshalb machen wir das. Wenn wir unsere Stimme erheben, kann es weitere geben, die erkennen, dass das der richtige Weg ist. Wir Reiche müssen ein Teil der Lösung sein, um die Nachhaltigkeitsziele zu finanzieren.
MOMENT.at: Wie können vermögende Menschen überzeugt werden, dass es im Interesse aller und auch ihnen ist, etwas abzugeben?
Shalchi: Wir sollten sie motivieren. Sie müssen sich fragen: Willst du eine Gesellschaft, auf die du schauen und stolz sein kannst? Willst du deinen Kindern und Enkelkindern eine Gesellschaft geben, die sicher ist? Eine Gesellschaft, in der sie nicht von Wachpersonal geschützt werden müssen? Willst du eine Welt, in der sie gute Luft atmen können, in der sie gutes Essen bekommen?
Zu welchem Zweck verstecken reiche Menschen mehr als 12 Billionen US-Dollar in Steuersümpfen?
Oder willst du eine Gesellschaft hinterlassen, die viel schlimmer ist als zum Zeitpunkt, an dem du gestartet bist? Und was soll dein Endziel sein? Ist es nur, so viel Geld wie möglich anzuhäufen, dann zu sterben und es deinen Kindern zu geben, und sie sammeln einfach mehr an und geben es ihren Kindern wieder? Wozu? Warum verstecken wir mehr als 12 Billionen US-Dollar auf den Kaimaninseln und den Bahamas? Zu welchem Zweck?
Etwa 700 Millionen Menschen leben in extremer Armut, drei Milliarden leben von weniger als 10 US-Dollar am Tag. Man sollte eine Art Moral und Menschlichkeit in sich haben, zu sagen: Ein paar Prozent meines Reichtums abzugeben, werden mir überhaupt nicht schaden. Stattdessen können wir viel Gutes tun für die Milliarden von Menschen, die nichts haben.
Zur Person: Djaffar Shalchi, geboren 1961, kam im Alter von 8 Jahren von Teheran nach Dänemark. Der Bauingenieur und Immobilienunternehmer gründete die Human Act Foundation und die Initiative Millionaires for Humanity. Er setzt sich für eine Vermögenssteuer auf Millionär:innen ein.
Am 16. Mai ist Shalchi zu Gast in Wien. Um 18:30 Uhr stellt er im Theater am Spittelberg seine Arbeit und seine Visionen vor. Danach gibt es Podiumsdiskussion mit Verteilungsökonom Martin Schürz, Millionenerbin Marlene Engelhorn und Barbara Blaha, Leiterin des Momentum Instituts. Hier findest du alle Infos dazu.