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Arbeitswelt
Ungleichheit

Eine Mindestsicherungsempfängerin erzählt: „Manchmal packt mich die Angst und ich bekomme keine Luft“

Die dreifache Mutter Laila (40, Name von der Redaktion geändert) ist mit 17 Jahren nach Österreich gekommen. Nach einer gescheiterten Ehe ist sie von Sozialhilfe abhängig. Sie berichtet uns von ihrem täglichen Kampf mit der Bürokratie – und warum sie oft verzweifelt, aber nie aufgibt.

Die dreifache Mutter Laila (40, Name von der Redaktion geändert) ist mit 17 Jahren nach Österreich gekommen. Nach einer gescheiterten Ehe ist sie von Sozialhilfe abhängig. Sie berichtet uns von ihrem täglichen Kampf mit der Bürokratie – und warum sie oft verzweifelt, aber nie aufgibt.

Ich beziehe Mindestsicherung. Beziehungsweise will ich sie wieder beziehen. Das ist aber gar nicht so einfach. Die Bürokratie ist streng. Mir “fehlt” eine Unterlage, die es gar nicht gibt. Und deshalb hänge ich in der Schleife.

 

Viele sind der Meinung, dass Bedürftige oft Betrüger und zu faul zum Arbeiten seien. Das ärgert und kränkt mich maßlos. Ich möchte gerne arbeiten und auf eigenen Beinen stehen. Nur leider habe ich jung eine falsche Entscheidung getroffen, die mein gesamtes Leben bestimmt.

Ich komme aus Marokko. Ich war eine gute Schülerin, stand kurz vor der Matura und hätte bestimmt studieren können. Ich habe mich mit 17 in meinen Mann verliebt. Meine Eltern haben mich gewarnt, doch ich habe leider nicht auf sie gehört. Ich habe die Schule abgebrochen und bin mit ihm nach Wien gegangen. Mit 19 habe ich geheiratet und ein Jahr später kam mein Sohn zur Welt, mit 23 habe ich eine Tochter bekommen.

Dann begann er gewalttätig zu werden 

Zuerst war alles wunderbar: Mein Mann hat gut verdient und ich musste nicht arbeiten. Aber dieses schöne Leben hat nicht lange angehalten. Mein Mann kam immer später nach Hause, irgendwann fand ich Casino-Jetons in seinem Sakko und eine Nachbarin hat mir erzählt, dass er eine andere hat.

Dann begann er gewalttätig zu werden. Mit 27 habe ich endlich den Mut gefasst und mich getrennt. Er ist einfach abgetaucht. Die Kinder, besonders mein Sohn, leiden bis heute unter dem Kontaktabbruch des Vaters. Nicht einmal einen Cent an Unterhalt bekamen sie von ihm. 

Ich habe überlegt nach Marokko zurück zu gehen, aber Österreich ist die Heimat meiner Kinder.

Und hier waren wir – ohne Geld. Ich wusste damals nicht einmal, wie ich einen Erlagschein einzahlen kann – das hat immer mein Mann erledigt.

Es war eine schreckliche Zeit, ich habe mit meinen Kindern in einer 1-Zimmer-Wohnung auf 45 Quadratmetern gelebt. Manchmal hatte ich Hunger, aber ich konnte mir einfach nichts zu essen leisten. Ein Marmeladebrot musste für den ganzen Tag reichen. 

Einmal im Monat gehen wir in ein Restaurant essen, das ist unser Luxus

Ab dann begann der Lauf von einem Amt zum anderen und einer Behörde zur nächsten. Zum Glück haben mir viele Leute geholfen: Bei den Anträgen fürs Sozialamt, mit einer leistbaren Wohnung und einem Job als Kellnerin.

Wegen meinen Kindern konnte ich nie Vollzeit arbeiten. Ich hatte ja niemanden, der mir bei der Betreuung half. Das Geld war immer knapp. Einmal im Monat gehen wir in ein Restaurant essen, das ist unser Luxus. Immer wieder muss ich das Konto überziehen. Zum Beispiel gerade eben, weil meine Tochter dringend einen Laptop für die Schule gebraucht hat.

Vor fünf Jahren habe ich mich wieder verliebt und mein drittes Kind bekommen, ein Mädchen. Doch auch diese Beziehung ist gescheitert. Von diesem Mann erhalte ich ebenfalls keine Unterstützung. Meine Eltern haben nicht verstanden, warum ich ein weiteres Kind bekommen habe. Ich hatte einfach die Hoffnung, dass diesmal alles gut wird. 

Ich laufe jeden Tag zu Ämtern und Behörden. Es ist ein täglicher Kampf, eine Endlosschleife

Die letzten eineinhalb Jahre habe ich als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet. Doch im Sommer wurde ich gekündigt. Derzeit müssen ich und die Kinder mit 1140 Euro im Monat auskommen. Die Miete macht 730 Euro aus – bleiben rund 400 Euro für alle anderen Rechnungen und Lebensmittel.

Wenn ich die Mindestsicherung bekomme, erhalte ich 335 Euro mehr. Das ist nicht viel, aber ich brauche dieses Geld dringend. 

Doch wegen einer lächerlichen Formalität wird dem Antrag nicht stattgegeben. Meine Tochter geht noch zur Schule. Sie hat in den Sommerferien drei Schnuppertage in einem Geschäft verbracht. Das Sozialamt möchte nun unbedingt einen Lohnzettel für diese drei Tage sehen. Meine Tochter hat fürs Schnuppern aber gar kein Geld bekommen. Es gibt einfach keinen Lohnzettel. Das glaubt mir das Sozialamt aber nicht.

Ich laufe jeden Tag zu Ämtern und Behörden. Es ist ein täglicher Kampf, eine Endlosschleife. Und ein Teufelskreis, denn mir wird auch jede weitere finanzielle Unterstützung wie Wohnbeihilfe verwehrt, da alles von der Anerkennung der Mindestsicherung abhängt. 

Ich habe manchmal das Gefühl, dass mir das Leben ein Hindernis nach dem anderen in den Weg legt

Zum Glück hat mir in meiner aktuellen, brenzligen Situation die Sozialberatung der Caritas geholfen. Sie unterstützt mich bei der Miete, ich habe auch Gutscheine für Supermärkte bekommen. Das ist eine schnelle und unbürokratische Hilfe, von der ich bislang nichts gewusst habe.

In all der Misere gibt es immer wieder solche kleinen Hoffnungsschimmer. Vergangene Woche hatte ich einen Probetag. Wenn alles gut geht, kann ich 15 Stunden als Kosmetikerin arbeiten. Aber der Kindergarten meiner fünfjährigen Tochter meint, dass Nachmittagsbetreuung nur möglich ist, wenn ich mehr als 20 Stunden arbeite. 

Mein Sohn beginnt im Herbst mit dem Zivildienst, bis dahin kann er die Kleine vom Kindergarten abholen. Was ich danach mache, weiß ich noch nicht.

Ich habe manchmal das Gefühl, dass mir das Leben ein Hindernis nach dem anderen in den Weg legt. Ich habe große Sorgen, bin oft traurig und depressiv.  Manchmal wache ich nachts auf und dann packt mich die Angst und ich bekomme keine Luft.

Aber ich muss für meine Kinder da sein und weitermachen. Ich habe einfach keine andere Wahl.

 
 

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