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Ungleichheit

Geflüchteten Menschen vorschreiben, wo sie wohnen müssen? Das bedeutet die Wohnsitzauflage

Bis jetzt können asylberechtigte Menschen selbst bestimmen, wo sie in Österreich leben wollen. Ist das bald nicht mehr der Fall? Foto: Symbolbild Pexels/ Alex Souza
Die Stadt Wien fühlt sich bei der Betreuung von Schutzsuchenden von den anderen Bundesländern alleingelassen. Sie fordert eine faire Verteilung von geflüchteten Menschen im Asylverfahren. Dabei soll eine Art Gebietsbeschränkung helfen. Der Vorschlag gehe aber am Problem vorbei, sagt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination.

Bis jetzt können asylberechtigte Menschen selbst bestimmen, wo sie in Österreich leben wollen. Die meisten zieht es dorthin, wo der Zugang zu finanzierbarem Wohnraum, einem Job und Communitys leichter ist – auch dann, wenn man die neue Sprache (noch) nicht beherrscht. In Großstädten ist das eher der Fall, als auf dem Land. Laut Asylkoordination wohnen aktuell circa 70% der Asylberechtigten und circa 82% der subsidiär Schutzberechtigten in Wien. 

Für die Wiener Stadtregierung eine Herausforderung. Sie könne den Familiennachzug von Asylberechtigten “nicht mehr alleine stemmen” heißt es in einer Resolution vor dem Landtag. Die Lösung? Mit einer sogenannten Wohnsitzauflage soll verhindert werden, dass – so wie bisher – der größte Teil an schutzsuchenden Menschen nach Wien zieht. Auch von AMS-Chef Johannes Kopf gibt es Zuspruch. Sollten Asylberechtigte trotz Residenzpflicht dennoch in die Hauptstadt kommen, würde er ihre Sozialhilfe streichen. Das würde geflüchtete Personen eher in Regionen halten, wo es bessere Chancen auf Arbeit gibt. 

Altes Thema, alte Versäumnisse 

Konkret heißt das: Nicht berufstätige Menschen müssen nach abgeschlossenem Asylverfahren drei Jahre lang in dem Bundesland leben, in dem ihr Verfahren absolviert wurde. “Auf den ersten Blick erscheint das gar nicht mal so unlogisch”, sagt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich. “Statistiken belegen uns die relativ starke Konzentration von Asyl- und Schutzberechtigten, die die Grundversorgung oder Mindestsicherung in Wien beziehen”. 

Bevor darüber gesprochen wird, wie man dieses “Problem” angeht, müsse man laut Gahleitner-Gertz aber einen Schritt zurücktreten. Denn eine Vorschrift, wo sich Menschen zeitweise aufhalten müssen, wenn sie nach Österreich kommen, gibt es bereits. Sie betrifft Asylwerber:innen, die in der Grundversorgung aufgefangen werden, bevor sie zu einem Asylverfahren zugelassen sind. Mit ihrem Wohnsitz sind sie an ein zugeteiltes Bundesland gebunden. “Und hier sehen wir, dass dieses Verfahren schon bisher nicht funktioniert”. 

Bundesländer nehmen “Angebot” nicht an

Denn bereits in der ersten Stufe des Asylprozesses kommt es zu einer ungleichen Verteilung zwischen den Bundesländern. Eigentlich sollten Asylwerber:innen, subsidiär Schutzberechtigte oder Vertriebene nach einer festgelegten Quote auf die einzelnen Länder verteilt werden. In der Praxis klappt das eher weniger gut. Denn die Bundesländer bekommen Asylwerber:innen vom Bund “angeboten”, können sie aber ohne Angabe von Gründen ablehnen”. Sanktionen gibt es dafür bisher keine. 

Aktuell halten sich rund 75.000 Menschen in Österreich auf, die einen Anspruch auf Grundversorgung haben. Laut Zahlen der Asylkoordination sind das 17.000 Asylwerber:innen, die in einem offenen Verfahren sind. 11.000 subsidiär Schutzberechtigte, 4.000 Asylberechtigte und 40.000 Vertriebene aus der Ukraine. Der Rest sind andere hilfs- und schutzbedürftige Fremde. 1.600 der asylberechtigten Menschen befinden sich noch in der Betreuung durch den Bund, weil sie in keinem Land eine Aufnahme gefunden haben. Die einzelnen Bundesländer scheinen also nicht besonders motiviert, mehr Menschen aufzunehmen. “Was eine Residenzpflicht für Asylberechtigte an der grundsätzlich ablehnenden Haltung der Bundesländer ändern sollte, hat bis jetzt noch niemand erklären können”, sagt Gahleitner-Gertz. 

Statt des gewünschten politischen Lenkungseffekts durch eine Wohnsitzauflage, fürchtet der Asylkoordinator genau das Gegenteil: “Die Bundesländer werden dadurch künftig noch zurückhaltender sein, wenn es um die Verantwortung geht, Menschen unterzubringen und zu versorgen.” Der scheinbare finanzielle Mehraufwand scheint über der Solidarität zu stehen. 

Kann man Menschen zwingen, wo sie wohnen sollen? 

Rechtlich müsste auch noch einiges geklärt werden. Zwar gibt es ein maßgebliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das unter engen Voraussetzungen Wohnsitzbeschränkungen festlegen kann. Eine Regelung, wo man als schutzberechtigte Person wohnen darf und wo nicht, gilt aber nur dann, wenn der Person Angebote gemacht werden, die ihre Integration fördern. “Diese Angebote können mitunter Arbeitsplätze, Sprachkurse oder auch Sporteinrichtungen sein”, sagt Gahleitner-Gertz. “Sie müssen aber auf jeden Fall rechtfertigen, dass es der Person besser geht, wenn sie an diesem Ort bleibt”. 

Diese Integrationsangebote gibt es in Österreich aber nicht flächendeckend. Vor allem in den Bundesländern außerhalb Wiens sieht es dürftig aus. “Aus rechtlicher Sicht scheint eine Wohnsitzbeschränkung ironischerweise deshalb wohl nur in Wien zulässig”, sagt Gahleitner-Gertz.

Es braucht andere Maßnahmen 

Auch das Argument  “Geld als Pull-Faktor” von AMS-Chef Kopf sieht der Asylkoordinator kritisch. “Selbst die höchsten Sozialhilfeleistungen in Österreich liegen unterhalb der Armutsgrenze von 1.392 Euro monatlich”. Geht es um die Gewährung von Sozialhilfe, müssen anerkannt geflüchtete Menschen außerdem wie Österreicher:innen behandelt werden. Das legt das EU-Recht fest. Eine Wohnsitzauflage müsste dann also auch für Inländer:innen gelten, die Sozialhilfe beziehen. “In einem politischen Wahljahr undenkbar”, sagt Gahleitner-Gertz. Und darüber hinaus in einer freien Gesellschaft hoffentlich auch.

Anstatt also über die Frage einer Wohnsitzbeschränkung zu diskutieren, fordert Gahleitner-Gertz nachhaltige Integrationsmaßnahmen in den einzelnen Bundesländern. “Da es während des Asylverfahrens ja schon Gebietsbeschränkungen für Schutzsuchende gibt, sollte man diese Zeit nutzen und den Menschen bereits hier Anknüpfungspunkte geben, in den Regionen zu bleiben”. Gäbe es Integrationsangebote schon während dieser Phase, würden viele Menschen eher dort bleiben und eigene Netzwerke aufbauen, anstatt ihre Community in der Hauptstadt zu suchen. “Aber so wie die derzeitige Situation läuft, wird das Pferd von hinten aufgezäumt”, sagt Gahleitner-Gertz.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    25.04.2024
    sehr wohl aber kann die bundesregierung BUNDESLÄNDER zwingen, ihre verteilungsfunktionen zu erfüllen! anstandslos klappt z.b. das einfliegen von erntehelfern aus Bulgarien/Rumänien,. es gibt im kleinräumigen ländlichen umfeld mehr integrationsmöglichkeiten als in der großstadt.
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