Was steckt hinter dem Begriff „Kulturkampf“?

Was ist Kulturkampf?
Kulturkampf beschreibt den Kampf um die Frage, welche Seite mit ihrer Moralvorstellungen und Weltbildern “recht” hat. Das ist nicht automatisch unwichtig oder schlecht. Aber mittlerweile werden diese Fragen politisch instrumentalisiert – und dabei stehen oft extrem kleine Themen im Mittelpunkt. Sie haben objektiv gesehen geringe Auswirkungen auf das Leben der Menschen, aber ihnen wird eine große Bedeutung zugeschrieben. Sie sollen dann zumindest angeblich für das große Ganze stehen.
Kulturkampf ist ein Kampf um die “Wahrheit”, der vor allem emotional geführt wird.
Wie funktioniert Kulturkampf?
Kulturkampf setzt auf Emotionen und auf Schwarz-Weiß-Malerei. Wer nicht zustimmt, wird sehr schnell zum Gegner. Gemeinsamen Boden für Diskussionen gibt es dabei nicht. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse treten in den Hintergrund. Je mehr Themen aufregen können, desto eher sind sie dazu geeignet.
Das alles ist gewollt. Man kann das eigene Lager hinter sich vereinen, erhält Zustimmung und ein Feindbild.
Gab es immer schon Kulturkämpfe?
Natürlich gab es ähnliche Konflikte früher auch. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA kann auch als Kulturkampf gesehen werden – ein Teil der Bevölkerung setzte sich für mehr Rechte für diskriminierte Gruppen ein, der andere sah dadurch seine (rassistische) Lebensweise bedroht.
Doch klassische politische Grenzen sind in den vergangenen Jahrzehnten in den Hintergrund getreten. Sachthemen werden weniger interessant, Fragen nach Identität und Moralvorstellungen nehmen dafür immer mehr Raum ein. Kulturkampf hat Klassenkampf ersetzt.
Hohe Teuerungsraten, die die meisten Menschen betreffen, führen zu weniger Aufregung, als etwa die Frage, ob man gendergerechte Sprache verbieten sollte. Dabei hat eigentlich nur eines der Themen große Auswirkungen auf die Menschen – ganz besonders wenig auf die, die sich besonders darüber aufregen.
Wo finden Kulturkämpfe statt?
Überall, wo politische Debatten stattfinden. Früher wurden Kulturkämpfe auf der Straße oder in klassischen Medien ausgetragen. Mittlerweile haben sie sich stark ins Internet verlagert.
Mit ein Grund, warum Kulturkämpfe so zugenommen haben, sind soziale Medien. Sie sind wie geschaffen für Kulturkampf: Aufregung und negative Emotionen führen zu mehr Reaktionen, werden deswegen von Plattformen, die davon profitieren, sichtbarer gemacht und häufiger geteilt. Und alle Menschen haben die Möglichkeit, schnell und einfach zu teilen, was sie aufregt.
Soziale Medien ermöglichen es Politiker:innen zudem viel einfacher als früher, direkt mit Wähler:innen zu reden. Und sie wissen, auf welche Art man die Menschen dort am ehesten abholt.
Was ist ein Beispiel für einen Kulturkampf?
Bei den olympischen Spielen von Paris machte die Falschinformation die Runde, dass eine Boxerin eigentlich ein Mann sei. In sozialen Medien brachen erbitterte Diskussionen aus, bis zum Finalkampf von Imane Khelif schaukelte sich die Stimmung auf.
Sehr wenige Menschen interessieren sich für Frauenboxen oder Lösungen zum Aufwerten von Frauensport. Warum also die Aufregung? Weil man sich dabei scheinbar zu größeren Fragen positionieren konnte: Was ist eine “echte” Frau? Wer bestimmt das?
Es entwickelte sich ein Kampf zwischen zwei Seiten, von denen sich jede als die Gute sah. Was danach passiert ist, zeigt, wie wenig Bedeutung die Sache an sich bei Kulturkämpfen oft hat. Ein paar Tage nach dem Finalkampf gab es keine Diskussionen mehr, mittlerweile interessiert es kaum noch jemanden. Konsequenzen aus der ganzen Debatte gab es nur für die Boxerinnen, die massiv angefeindet wurden.
Warum ist Kulturkampf von Rechts so erfolgreich?
Kulturkampf bedient sich typischer Feindbilder, negativer Emotionen und hat oft keine wissenschaftliche Basis. Tatsächliche Lösungen bietet er selten an.
Rechte und extrem rechte Parteien und Gruppierungen benutzen Kulturkampf, um Spaltung zu verstärken. Menschen, die finanziell zu kämpfen haben und von Krisen bedroht sind, sind oft auch wütend und frustriert. Das lässt sich mit Kulturkämpfen leicht verstärken und vereinnahmen. Linke, Migrant:innen oder “Eliten” sind dann schuld daran, dass die Gesellschaft verweichlicht, Traditionen sterben und man bald nicht mehr leben darf, wie man will. Wer das nicht möchte, wählt logischerweise die Partei, die das bekämpft. Das eigentliche Problem, dass jemand oft trotz Beruf zu wenig Einkommen hat, wird dadurch nicht gelöst.
Zu welchen absurden Ergebnissen so ein Kulturkampf führt, zeigt etwa die Diskussion um Wärmepumpen in Deutschland. Sie sind klimaschonend, effizient und schon lange etabliert und wären ein gutes Mittel, um weniger abhängig von fossilen Brennstoffen zu sein. Dann hat sie die deutsche Rechte zum Symbol des politischen Zwangs erhoben, Parteien und Prominente haben dagegen demonstriert, es wurden Falschinformationen verbreitet.
Gibt es auch Kulturkampf von Links?
Natürlich gibt es auch Kulturkampf von Links. Auch hier kämpfen Menschen oft um Kleinigkeiten, die eigentlich für etwas Größeres stehen. Sie wollen ebenso, dass ihre Moralvorstellungen und Lebenskonzepte zur Mehrheitsmeinung werden.
Linke Kulturkämpfe funktionieren meistens nach denselben Spielregeln. Die damit verbundenen Emotionen sind aber häufiger nicht so stark.
Ein Beispiel: Dass Gendern angeblich die Sprache “zerstört”, verursacht bei vielen Menschen Angst oder Wut. Die wird wiederum instrumentalisiert. Gendern wurde bald zum Symbol für abgehobene Eliten, die einer Minderheit eine Sprachregelung aufzwingen wollen. Schon ist die eigene Lebensweise in Gefahr.
Dass Gendern eigentlich eine Aufforderung zu Veränderung und Inklusion von möglichst vielen Menschen sein soll, liefert keine starken Emotionen. Für die Politik ist es uninteressant. Und so sind Gegner:innen des Genderns immer lauter als Befürworter:innen.
Woher kommt der Begriff „Kulturkampf“?
Die heutige Bedeutung hat der Soziologe James Davison Hunter bereits 1991 geprägt. Als “Culture War” bezeichnete er damals bereits die Spaltung der USA bei gewissen Themen wie Abtreibung. Seine Bedeutung wurde nach und nach auch im deutschsprachigen Raum übernommen.
Kulturkampf bezeichnete hier lange Zeit nur eine Auseinandersetzung zwischen der Katholischen Kirche und Preußen und Kanzler Otto von Bismarck. In der ging es um die Trennung zwischen Kirche und Staat und wer die Deutungshoheit über bestimmte Themen hat – also durchaus nicht unähnlich zu dem Begriff heute.