Wasserstoff gegen die Klimakrise? "Konzept, das keine Lösung ist"
Im Kampf gegen die Klimakrise und für saubere Energie, ist Wasserstoff ein Versprechen. Zu Unrecht, so Physiker Florian Aigner. "Das positive Image des Wasserstoffs ist nicht gerechtfertigt", sagt er zu MOMENT. Für den Alltag sei es zu teuer und ineffizient. Es herzustellen sei heute oft genauso klimaschädlich wie Erdgas zu verbrennen.
Im Kampf gegen die Klimakrise und für saubere Energie, ist Wasserstoff ein Versprechen. Zu Unrecht, so Physiker Florian Aigner. „Das positive Image des Wasserstoffs ist nicht gerechtfertigt“, sagt er zu MOMENT. Für den Alltag sei es zu teuer und ineffizient. Es herzustellen sei heute oft genauso klimaschädlich wie Erdgas zu verbrennen.
MOMENT: Warum soll der emissionsfreie Energieträger Wasserstoff klimaschädlich sein?
Florian Aigner: Die entscheidende Frage lautet, wie der Wasserstoff entsteht? Leider wird ein Großteil des Wasserstoffs heute aus Erdgas erzeugt, hauptsächlich Methan, also CH4. Davon kann man Kohlenstoff und Wasserstoff abtrennen. Aber der Kohlenstoff muss ja irgendwo hin und wird zu CO2. Wenn das in die Atmosphäre gelangt, ist es genauso schlimm, wie wenn ich das Gas einfach verbrenne. Das positive Image des Wasserstoffs ist nicht gerechtfertigt.
Dann gibt es den grünen Wasserstoff. Das ist der, von dem jetzt alle reden. Der grüne Wasserstoff wird aus Wasser durch Elektrolyse mithilfe von elektrischem Strom gewonnen. Das ist eine elegante Lösung, es sind keine fossilen Rohstoffe im Spiel. Allerdings nur, wenn ich dafür Strom aus erneuerbaren Energien verwende.
MOMENT: Das klingt doch gut. Man könnte im großen Stil Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen und damit Wasserstoff gewinnen.
Aigner: Die Frage ist: Haben wir genug alternative Energien, um das nachhaltig werden zu lassen. Da muss man vorsichtig sein. Wenn ich einer Windkraftanlage betreibe und der Wind weht so stark, dass ich nicht weiß, wie ich den produzierten Strom wegkriege, könnte ich damit Wasserstoff herstellen und den einlagern. Das ist auch, was passieren wird und was Experten hervorsagen.
Aber es herrscht bei vielen Menschen die Fantasie vor, man baut große Solar- oder Windkraftanlagen, die dann die ganze Zeit Wasserstoff produzieren. Das ist unrealistisch. Wenn wir den motorisierten Verkehr zukünftig mit Wasserstofffahrzeugen machen wollen, benötigen wir eine gewaltige Menge Wasserstoff und damit eine gewaltige Zahl neuer Kraftwerke.
MOMENT: Um von Verbrennerautos auf Elektrofahrzeuge umzusteigen, braucht es aber auch gewaltige Mengen an Strom und somit Kraftwerke. Warum also nicht Wasserstoff?
Aigner: Bei der Umwandlung in Wasserstoff geht immer etwas an Energie verloren. Das Wasserstoffauto steht in Konkurrenz zum Elektroauto. Da kann ich den Strom direkt in die Batterie einspeisen. Oder ich verwende die Energie, um Wasserstoff herzustellen, den ich dann ins Auto tanke und aus dem dann wieder elektrischer Strom gewonnen wird, der den Motor antreibt. Das ist nicht sehr effizient.
MOMENT: Klingt, als sei Wasserstoff überhaupt keine Lösung für irgendwas.
Aigner: Nein, Wasserstoff ist eine kluge Option, Strom zu verwenden, den ich sonst nicht nutzen kann. Windkraftwerke müssen abgeschaltet werden, wenn gerade kein Abnehmer für den Strom da ist. Anstatt die Energie verpuffen zu lassen, ist es gut, stattdessen Wasserstoff zu erzeugen und zu speichern.
Wasserstoff ist nicht immer eine schlechte Idee: Denken wir an Nischen wie Schwerlaster oder Baufahrzeuge, die viel Power benötigen und eine große Batterie bräuchten. Oder Flugzeuge: Vielleicht ist Wasserstoff eine Lösung, die klimaneutral zu bekommen. In der Industrie wird Wasserstoff für viele Prozesse benötigt. Zu glauben, dass Wasserstoff für alles verwendet werden kann und jeder ein Wasserstoffauto in der Garage hat, ist unrealistisch. Da muss man aber nicht traurig drüber sein. Denn das Elektroauto gibt es ja schon.
MOMENT: Kanzler Sebastian Kurz will Österreich zur Wasserstoffnation Nummer 1 machen. Das steht auch so im Regierungsprogramm. Wenn Wasserstoff als Energieträger so wenig alltagstauglich ist, warum wird vonseiten der Politik so viel Hoffnung da reingesteckt?
Aigner: Ich bin nicht dagegen. Ich halte es für klug eine Wasserstoffstrategie zu haben. Man soll aber ehrlich sein: Wir sollten aufhören so zu tun, als wäre Wasserstoff aus Erdgas umweltfreundlich. Das ist nur eine Chance für die Erdgasindustrie, sich ein grünes Mäntelchen umzuhängen. Das sollten wir denen nicht durchgehen lassen.
Unter Energieökonomen gibt es den Spruch, Wasserstoff sei der Champagner unter den Energieträgern: Etwas ganz Tolles, das man gerne hat. Aber auch etwas, das sehr sehr teuer ist. Wenn man es sich leisten kann, trinkt man mal Champagner. Man wäscht aber nicht sein Auto damit. Es geht, aber es ist nicht klug. Mit Wasserstoff ist es genauso. Ich kann damit Strom erzeugen und alles Mögliche antreiben. Aber es ist sehr teuer und deshalb nicht sinnvoll.
MOMENT: Für Österreich gibt es aktuell keine Zahlen zu den Kosten. In Deutschland sieht die Wasserstoffstrategie 9 Milliarden Euro an Förderungen vor, Expert:innen rechnen mit bis zu 60 Milliarden Euro Kosten. Ist das nicht rausgeworfenes Geld?
Aigner: Es gibt noch immer Fragezeichen zur Technologie. Ich bin keiner Politikerin böse, wenn Geld in Anlagen und Forschungsprojekte gesteckt wird und 20 Jahre später kommt man drauf: Das war nicht die richtige Idee. Ich finde das legitim. Ich selbst kann nicht sagen, was die klügsten Strategien sind und erwarte das auch nicht von einer Umweltministerin.
Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, geht das nur, indem wir viele Dinge ausprobieren. Da ist klar, dass manche von den Dingen nicht funktionieren werden. Was ich als Steuerzahler aber nicht okay finde: Auf Konzepte zu setzen, von denen wir heute schon wissen, dass sie keine Lösung sind. Wasserstoff, für den Erdgas verwendet wird, ist so etwas.
MOMENT: Verfolgt man die Debatten darum, kann der Eindruck entstehen, Wasserstoff werde von vielen als bequeme Lösung und Hoffnung für die Zukunft gesehen, damit man sich heute nicht um notwendige Änderungen im Lebensstil und Energieverbrauch bemühen muss. Ist da was dran?
Aigner: Das ist auch meine Wahrnehmung. Wasserstoff ist bequem, weil es nicht so der radikale Schritt ist. Es fühlt sich als Klimaschutz mit wenig Umstellung an. Gasleitungen haben wir in den Häusern. Der Unterschied zwischen Benzinauto und Wasserstoffauto ist nicht groß. Aber es geht nicht darum, einen weichen schwellenlosen Übergang zur CO2-neutralen Welt hinzukriegen. Sondern wir haben uns sehr viel Zeit gelassen, jetzt muss wirklich gehandelt werden.
Wir sollten keine Angst haben vor disruptiven Prozessen, die alles davor Gewesene umwerfen. Das haben wir in der Wirtschaft und Technik ständig. Beim Smartphone wurde auch nicht gesagt, wir warten jetzt mal 20 Jahre, um die Menschen langsam ans mobile Internet heranzuführen. Vorher gab es Versuche mit Handys, die nur einzelne Webseiten anzeigen. Das hat niemanden interessiert, das war zu wenig. So ähnlich kommt es mir mit Wasserstoff vor. Wir brauchen den richtigen Schritt, der dann dauerhaft funktioniert.
Alles andere birgt die Gefahr, dass es das Gewissen beruhigt, anstatt eine echte positive Auswirkung zu haben. Für Gewissensberuhigung allein sollten wir nicht viel Geld ausgeben.
Zur Person: Florian Aigner (geb. 1979) promovierte am Institut für theoretische Physik der TU Wien. Sein Fachgebiet ist die Quantentheorie. Seit 2013 ist er Wissenschaftspublizist und Buchautor. In seiner Arbeit versucht er über Wissenschaftsmythen aufzuklären und unwissenschaftliche sowie esoterische Visionen zu widerlegen. Er ist Vizepräsident der „Gesellschaft für kritisches Denken“ (GWUP Wien).
Zuetzt erschien von ihm das Buch: Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl – Eine Liebeserklärung an die Wissenschaft, Brandstätter Verlag, 256 Seiten.