Wenn Fakten irrelevant werden – wie MAGA die Realität verdreht
Melissa Hortmann und ihr Ehemann Mark wurden bei einem gezielten Anschlag in ihrem Haus kaltblütig und gezielt erschossen. Sie war “Speaker”, also die Klubobfrau der demokratischen Fraktion in der Abgeordnetenkammer im Bundesstaat Minnesota. Ihr Kollege John Hofmann und seine Ehefrau wurden vom selben Täter niedergeschossen, sie befinden sich in Spitalsbehandlung. Der Täter wurde mittlerweile geschnappt. Es handelt sich um einen rechtsextremen, christlichen Fundamentalisten, der es augenscheinlich auf Politiker:innen, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch eingesetzt haben, abgesehen hat.
Wie kommen Rechtsextreme als nun dazu, einen offensichtlichen Fall so zu verdrehen?
Spin zuerst, Fakten später
Das wichtigste Prinzip für gezielte faschistische Desinformation war Zeit. Bevor auch nur irgendetwas klar war, wurde der Spin lanciert. Von Minute 1 nach Bekanntwerden der Morde wurde über zig Kanäle, vor allem auf Twitter, ventiliert, dass der Täter ein Linker war. Man hatte keine Fakten, also hat man sie schnell gebastelt. Anhaltspunkt war, dass Hortman einige Tage zuvor (aus einer Not heraus) mit Republikanern gestimmt hat, den Zugang zur Gesundheitsversorgung für undokumentierte Migrant:innen zu streichen. Warum hat sie das getan? In der Abgeordnetenkammer in Minnesota gibt es einen Gleichstand zwischen Republikanern und Demokraten. Um ein Budget durchzubekommen, muss es also einen Kompromiss geben, sonst kann die öffentliche Verwaltung nicht aufrechterhalten werden. Hortman hat nach der Abstimmung unter Tränen erklärt, dass diese Maßnahme die einzige war, die die Republikaner akzeptiert haben und sie die Verantwortung übernahm, den Kompromiss für ein Budget zu ermöglichen. Nun kann man allerlei strategische Einwände gegen dieses Vorgehen haben, aber eine Überzeugungstäterin klingt anders. Schnell wurde in der MAGA-Bubble aber suggeriert Hortman war kurz davor zu den Republikanern zu wechseln und sei deswegen umgebracht worden. Ihre Stimme für den Vorschlag der Republikaner war in dieser Lesart ein bewusstes Abweichen der demokratischen Linie zu Migration und Gesundheitsversorgung. Nichts davon ist wahr, das ist öffentlich, für alle einsehbar, dokumentiert. Aber in der großen ersten Aufregung wird es nicht nachgeprüft und die Fakes verfangen schnell.
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Multiplikator:innen
Es ist ein Spiel gegen die Zeit, umso mehr reale Fakten herauskommen, umso instabiler wird das Narrativ von der politischen Dissidentin auch bei den eigenen Anhänger:innen. Als das Auto des Täter gefunden wurde, machte ein Bild die Runde, dass darin selbstgemalte Zettel mit “No Kings” gefunden wurden. Am selben Tag fanden die “No Kings”-Proteste gegen Trump und seine Militärparade statt. Das gab dem rechtsextremen Narrativ wieder Aufschwung. Das gleichzeitig gefundene und bestätigte Manifest samt Todesliste wurde dadurch diskursiv weggedrückt. Denn diese Todesliste zeigte ganz klar das Motiv: Lauter demokratische Politiker:innen und Betreiber von Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche ermöglichen, standen oben. Allein, dass es mehrere Ziele gab (Hoffman und seine Frau waren von Anfang an bestätigt), sprach klar gegen die Idee der Beseitigung einer einzelnen Dissidentin. Zu diese Zeitpunkt schalteten sich aber prominente Multiplikator:innen ein, die stur und unbeleckt von Fakten oder logischem Denken das faschistische Narrativ des linken Täters verbreiteten. Die wichtigsten waren Laura Loomer, ein YouTube-Sternchen und Beraterin Trumps; Senator Mike Lee aus Utah und Elon Musk. Alle drei propagierten und propagieren die Idee, dass es sich hierbei um ein Attentat von Links handelt.
Übergeordnete Motive
Wieso behaupten diese Leute steif und fest etwas, das nicht stimmt? Weil es ihnen nicht um Aufklärung des Falles geht. Faschisten brauchen keine Fakten, sondern Gründe. Es geht nicht darum, was wirklich passiert ist, sondern welchen Anlass sie für Gewalt haben können. Die Morde kommen genau zum Zeitpunkt der größten Proteste gegen Trump und des sichtbaren Widerstands gegen das ungesetzliche Vorgehen der Abschiebebehörde ICE. Dies wird nun zusammengenommen, um eine Notlage und einen Kriegszustand zu rechtfertigen. Dieser erlaubt es, das Militär im Inneren einzusetzen und so für immer neue Eskalationen zu sorgen. Am Ende soll gar nichts aufgeklärt oder friedlich ausverhandelt werden. Am Ende soll autoritär durchgegriffen werden. Das geht aber nur mit grotesken Feindbildern. Die Linke wird als unfassbar mächtige und winzige Minderheit gleichzeitig dargestellt, die nun mit aller Gewalt vernichtet gehört. Der Mord wird, ungeachtet aller Fakten, genau in dieses Narrativ eingepasst. Auch beim Reichstagsbrand war es am Ende egal wer wirklich das Feuer gelegt hat.
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