Wer sind „die Arbeiter“?
Die Nachwahlbefragungen und Motivforschungen liefern ein detailliertes Ergebnis. Besonders hervor sticht das starke Ergebnis der FPÖ bei „Erwerbstätigen mit niedriger formaler Bildung und geringem Einkommen“.
Das wird dann sehr gerne als “Arbeiter” in den öffentlichen Diskurs getragen. Doch das greift zu kurz. Einige Missverständnisse über “die Arbeiter”:
„Arbeiter:innen“ und „arm“ sind nicht dasselbe
Eines der größten Missverständnisse ist es, dass sich Arbeiter:innen pauschal als Geringverdiener:innen oder Menschen in prekären Lebensverhältnissen zusammenfassen lassen. Das ist schlicht falsch. Facharbeiter:innen verdienen besser als die meisten Akademiker:innen (ohne dieselbe offene Karriereleiter nach oben zu haben). Sie verdienen auch früher Geld. Dementsprechend unterschiedlich sind oft die Lebensverhältnisse, vor allem wenn man eine Stadt-Umfeld-Land-Unterscheidung beachtet.
Facharbeiter:innen sind zudem oft formell gut ausgebildet. Man kann und soll sich eingehend darüber unterhalten, ob und warum auch diese Gruppe FPÖ wählt. Es ist aber ein Kurzschluss, diese als Gruppe zu sehen, der es materiell an Wichtigem fehlt. Anders sieht es dabei bei Hilfsarbeiter:innen und Gelegenheitsarbeiter:innen aus, die ohne formelle Bildung oft in Bereichen mit nicht so starker gewerkschaftlicher Bindung arbeiten.
Sehr viele Arbeiter:innen dürfen nicht wählen.
Der Clou bei dieser Gruppe ist allerdings, dass die meisten überhaupt nicht wählen dürfen – oder nicht wählen gehen. Das bedeutet, dass das Wahlergebnis nur einen kleinen Ausschnitt dieser Gruppe bildet, die sehr verzerrt deren Einstellung wiedergibt. Je niedriger eine Berufsgruppe in der Berufshierarchie ist, desto weniger Beschäftigte haben das Wahlrecht.
In Wahrheit hat man längst wieder ein Zensuswahlrecht, in dem die Arbeiter:innen in diesem Land zu einem guten Teil vom Wahlprozess ausgeschlossen sind. Gleichzeitig ist es ihnen nicht so leicht möglich, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Auch dass sie vielleicht länger in diesem Land leben, als Opern- oder Sportstars, die die Staatsbürgerschaft ohne Auflagen bekommen, hilft ihnen nicht.
Arbeiter:innen sind nicht (nur) die männlichen Industriearbeiter
Außerdem wird der Begriff der Arbeiter oft nostalgisch und romantisierend auf den Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts angewandt, der in dieser Form nur noch selten existiert. Dabei werden aber andere Gruppen übersehen.
Dazu zählt die Sorgearbeit, die vorwiegend von Frauen erledigt wird und die unbezahlt und bedankt, still verrichtet wird. Es gibt einen ganzen zweiten Arbeitstag nach der Erwerbsarbeit für viele Frauen, der einfach als normal hingenommen wird. Dazu zählt die Sorge um Kinder, aber auch pflegebedürftige Angehörige. Diese riesige Gruppe an Arbeiterinnen bleibt im öffentlichen Diskurs unerwähnt.
Arbeiter:innen und der Stammtisch
Zu den grob geschnitzten Bildern von “den Arbeitern” zählt auch der berühmte Stammtisch, an dem sich die Kumpel nach getaner Arbeit Ruß-verschmutzt versammeln, als wäre man in einem Roman von Charles Dickens. Der Stammtisch existiert, aber er ist virtuell und wird von Fake News-Schleudern und der extremen Rechten bombardiert. An diesem Stammtisch sitzen längst nicht nur Arbeiter:innen. Ein Geschäftsmodell ist es meist für Millionäre. Zumal auch beim ursprünglichen Stammtisch-Bild immer die Frage bleibt, wer eigentlich da sitzt – und wer nicht, weil diese Person z.B. Kinder versorgt.
Das bedeutet nicht, dass die Arbeiter:innen-Klasse nicht existiert oder überholt ist. Das Gegenteil ist wahr: In einer Krisenzeit wird nur allzu deutlich, wie groß die Kluft zwischen denen, die von ihrem Einkommen und jenen, die von ihrem Vermögen leben, ist. Alle, die von ihrer Hände oder Hirne Arbeit leben, sind Teil dieser diversen, großen Arbeiter:innenklasse. Ein zu kurz greifender Blick oder ein schwarzseherisches “Die FPÖ ist die neue Arbeiterpartei”-Geraunze sind dabei ebenso hinderlich wie selbstzufriedene Folklore.