Verkehrsplanung der Marke Wien: Ohne Stadtstraße gibt’s auch keine Straßenbahn
Alles hängt an der Stadtstraße
In Wiens Osten hängt alles an der Stadtstraße: Werde sie nicht gebaut, könnten Wohnungen für 60.000 Menschen nicht hochgezogen werden. Das zumindest behauptet die Stadt immer wieder. Und noch mehr: Solange die Stadtstraße – eher eine Autobahn mit Tempolimit 50 – nicht fertig gebaut ist, werde auch keine Hand daran gerührt, etwa die Straßenbahnlinie 25 in die bereits gebaute und bewohnte Seestadt Aspern zu verlängern.
So steht es in einer Antwort der Stadt auf einen Bürger:innenbrief. „Herzlichen Dank für Ihr Interesse an den Planungen der Stadt Wien!“, heißt es in dem Schreiben, das MOMENT vorliegt. Darin geht es um die Frage, wann denn die Straßenbahn ins Neubaugebiet fährt, wie es auf der Website der Stadt Wien schon länger angekündigt ist.
Die Auskunft der Stadt: Die derzeit im alten Ortskern Aspern endende Linie 25 zur U2-Station Aspern Nord zu verlängern, „ist erst nach Fertigstellung der Stadtstraße Aspern geplant“. Frühestens im Jahr 2026 sei damit zu rechnen, die verlängerte Trasse in Betrieb zu nehmen. Das Datum könne sich je nach Baufortschritt „noch nach hinten verschieben“. Die Straßenbahn in Etappen zu verlängern, „ist nicht mehr vorgesehen“. Es sind Auskünfte, die man nicht auf den Seiten der Stadt Wien finden kann.
Planerische Logik erschließt sich nicht sofort
Und sie bedeuten: Besser mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen und angebunden werden soll die Seestadt erst, wenn auch eine vierspurige Straße daran vorbeiführt. Die planerische Logik erschließt sich nicht sofort. Warum wird die Verlängerung einer Straßenbahnlinie davon abhängig gemacht, dass die Stadtstraße fertiggebaut ist?
„Die Straßenbahn 25 zu verlängern, daran besteht schon heute dringender Bedarf“, sagt Verkehrsplaner Ulrich Leth von der TU Wien zu MOMENT. Denn: „Der 25er geht durch den Teil der Seestadt, der ja schon gebaut ist.“ Leth kennt die Argumente der Stadt. Etwa: Werden die neuen Schienen entlang des Asperner Siegesplatz verlegt, könnten auf der verkehrsbelasteten Bundesstraße 3 zwischen Wien und Groß-Enzersdorf zumindest während des Baus keine Autos fahren. Erst die Stadtstraße könne eine Umfahrung bieten, so das Rathaus.
„Dieses Argument zieht nicht wirklich“, sagt Leth. Denn wenn die Stadtstraße jetzt gebaut würde, gäbe es nach der Absage des Lobau-Tunnels „keine Verbindung von der B3 zur Stadtstraße“. Und ohne die gibt es laut der Stadt Wien keine Verkehrsentlastung im Stadtkern Aspern, die ja Voraussetzung sein soll, die Straßenbahn zu bauen. Leths Schluss: „Wenn man nicht weiß, ob es diese Verbindung überhaupt je geben wird, ist es schwierig, deswegen mit der Straßenbahn zu warten.“
Das war eine politische Entscheidung – auch, um die Stadtstraße durchzubekommen.
Ulrich Leth, Verkehrsplaner TU Wien
Den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel davon abhängig zu machen, dass die Stadtstraße fertig gebaut ist, „war eine politische Entscheidung – auch, um die Stadtstraße durchzubekommen“. Das liest sich dann so: Wer Straßenbahnen und Radwege in die Seestadt haben will, muss auch die Stadtstraße nehmen.
Wohnungen & Öffis nur, wenn Stadtstraße auch kommt
Gegenüber MOMENT bleibt die Stadt Wien dabei: Die Straßenbahnverlängerung „ist erst nach der Umsetzung der Stadtstraße sinnvoll“, so Anita Voraberger, Sprecherin der zuständigen Stadträtin Ulli Sima. Sie in die Seestadt zu legen mache auch „nur Sinn, wenn der Nordteil der Seestadt Aspern weitergebaut werden kann“, so Voraberger.
Der Bau neuer Wohnungen hier, „hängt ebenfalls an der Stadtstraße“. Denn die sei laut Umweltverträglichkeitsprüfung „behördliche Auflage für die Seestadt Nord, aber auch für weitere Stadtentwicklungsgebiete notwendig“, betont Voraberger die vermeintliche Alternativlosigkeit des Baus der Stadtstraße.
Ulrich Leth sieht das anders. Er sagt: „Man könnte die UVP für die aktuellen Pläne ändern und andere UVP für die neuen Baugebiete ausarbeiten, um von der Abhängigkeit von der Stadtstraße wegzukommen.“ Schaffe man das, könnten die neuen Stadtentwicklungsgebiete sogar schneller gebaut werden, als wenn vorher noch ein 3 Kilometer langes Asphaltband um 450 Millionen Euro gelegt werden müsste.
Stadträtin Sima: Geht nur noch um geordneten Abzug
Am vergangenen Sonntag begleitete Leth Aktivist:innen von Jugendrat, Fridays for Future und System Change bei einem Gespräch mit Stadträtin Ulli Sima. Die hatte recht robust und kurzfristig auf den Termin gedrängt, heißt es von Aktivist:innen gegenüber MOMENT. Leths Eindruck aus dem Gespräch im Rathaus: „Es geht nicht darum, die Stadtentwicklungsgebiete zu bauen, sondern die Stadtstraße zu bauen“, sagt er.
Nach 5 Minuten des Gespräches hätten die Karten auf dem Tisch gelegen: Sima will die Stadtstraße genau so gebaut haben, wie geplant. „Ich hatte den Eindruck, dass die Stadträtin stark unter Druck steht vonseiten des Bürgermeisters, dass etwas weitergeht“, sagt Leth. „Es war bald klar, dass inhaltlich nix zu holen sein wird.“
Diesen Eindruck mussten die Aktivist:innen schon vor dem Gespräch bekommen haben. In der erst am Tag zuvor von Sima ausgeschickten „Einladung“ per E-Mail schreibt Sima: „Jetzt können wir nur noch über einen geordneten Abzug der BesetzerInnen mit Euch reden.“ Bis zum Donnerstagnachmittag war die Baustelle noch immer besetzt.