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Ungleichheit

Mindestsicherung in Wien: Der Kampf gegen den Sozialstaat war erfolgreich

Mindestsicherung in Wien: Der Kampf gegen den Sozialstaat war erfolgreich
Die Mindestsicherung bei Kindern zu kürzen und gleichzeitig Kinderarmut bekämpfen wollen? Das wird wohl schwierig. Foto: Bastian Riccardi/pexels
Die Inflation ist weiter enorm hoch, Menschen können sich das Leben immer weniger leisten, die Arbeitslosigkeit steigt - und die Stadt Wien spart bei armutsbetroffenen Kindern. Die Einschnitte bei der Mindestsicherung sind ein Armutszeugnis und ein Einknicken vor Attacken auf den Sozialstaat.

Wir erleben gerade den zweiten Sommer in Folge, in dem Boulevard und rechte Politiker:innen gegen die Mindestsicherung in Wien ausgerückt sind. Es ist für sie ein gefundenes Fressen: Wahlweise kann man gegen angeblich faule Menschen, Migrant:innen oder eine Politik hetzen, die sich für ein würdevolles Leben aller Menschen einsetzt.

Solche Attacken sind erbärmlich, aber nicht überraschend. Parteien wie die FPÖ können aufstacheln und Medien wie die Heute leben gut von der Empörung. Schockierender ist zu sehen, wie eine vermeintlich soziale Politik langsam davor einknickt.

Kürzung bei Mindestsicherung: Eh nur “kleine Korrektur”?

In Wien wird künftig ein Teil der Mindestsicherung für Kinder für Wohnkosten zweckgewidmet, wie Bürgermeister Ludwig in einem Interview angekündigt hat. Klingt wenig aufregend, in der Praxis bedeutet das aber 400 Euro weniger im Monat für eine fünfköpfige Familie. Diese 400 Euro fehlen Menschen, die bereits von Armut gefährdet sind.

Noch im Sommer hat Ludwig zu den Angriffen auf die Mindestsicherung betont: “Die Mindestsicherung ist das unterste soziale Netz. Kinderarmut ist für mich inakzeptabel.” Doch wer bei armutsbetroffenen Kindern spart, bekämpft Kinderarmut nicht.

Es ist nicht nur ein kleiner Finger

Bisher war der Wiener Zugang relativ eindeutig: Armutsbetroffene Menschen müssen unterstützt werden, damit man sie aus der Armut heben kann. Die Stadt hat auf Angriffe um einzelne Mindesthilfe-Fälle bisher relativ nüchtern reagiert. Sie hat sich damit auch gegen falsche Klischees gewehrt. Dass Bezieher:innen von Mindestsicherung “faul” wären, etwa.

Tatsächlich sind nur drei von zehn arbeitslos, und diese Personen müssen ohnehin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Oder dass Menschen von der Mindestsicherung in Saus und Braus leben. Selbst die von manchen Medien gerne ausgebreiteten “Extremfälle” leben mit den skandalisierten Unterstützungsleistungen  knapp an der Armutsgrenze.

Jetzt bröckelt mit dem Einknicken der Wiener Stadtregierung diese Unterstützung. Es ist ein bedenkliches Signal für die Zukunft. Kritiker:innen gehen diese Einsparungen natürlich nicht weit genug. FPÖ und ÖVP haben sich bereits zu Wort gemeldet. Denn einen zentralen Punkt hat die Stadtregierung nicht angefasst: In Wien erhalten Familien für jedes Kind gleich viel Geld. Noch. Boulevardmedien werden sich von dieser Änderung ebenfalls nicht beeindruckt zeigen. Sie werden weiter gemeinsam Aufreger-Artikel über zu hohe Sozialhilfe schreiben. Sie haben Blut geleckt.

Die Attacke war erfolgreich

Wieder einmal war eine Attacke auf den Sozialstaat erfolgreich. Worüber kaum jemand spricht: Was bringen sie uns eigentlich? Klar, die Stadt spart sich damit im besten Fall jetzt kurzfristig, scheinbar etwas Geld. Für die Zukunft bedeutet es, dass mehr Menschen in Armut leben müssen. Denn dass Betroffene bisher einfach zu viel Geld vom Staat erhalten und sich nach der Kürzung mehr “bemühen”, Arbeit zu finden, hat nichts mit der Realität zu tun. Das zeigen die Zahlen und haben bereits andere Beispiele widerlegt.

Dafür verbaut man mit diesen Kürzungen armutsbetroffenen Kindern die Zukunft und hält sie in Armut gefangen – und so belasten sie in Zukunft das Budget noch stärker. Für die Folgen von Armut zu bezahlen, ist praktisch immer teurer, als Armut von vornherein zu verhindern. Damit verlieren alle: Menschen, Stadt und Budget.

Die Ärmsten sind nicht das Problem

Wien hat damit dem Druck einer Lobby nachgegeben, die den Ton angibt – weil sie es kann. Weil sie die finanziellen und medialen Mittel dazu hat. 

Wir müssen darüber sprechen, wie wir die Gesellschaft gerechter machen können. Wie wir die Schere verkleinern, die immer weiter auseinandergeht. Dann müssten wir bei denen ansetzen, die oben stehen. Die von zusätzlichen Maßnahmen wie einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer nicht in ihrer Existenz gefährdet wären. Die nicht mehr leisten, wie armutsbetroffene Menschen, sondern vor allem mehr Glück gehabt haben.

Dazu bräuchte es eine mutige Politik, die sich dieser mächtigen Lobby entgegenstellt. Von der ist in diesem Land aber kaum etwas zu sehen.

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