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Ungleichheit
Demokratie

Debatte über Sozialhilfe: Das sind die Fakten

Debatte über Sozialhilfe: Das sind die Fakten
Sozialhilfe und Mindestsicherung sollen als letzter Schutzschirm vor Armut schützen.
Die Sozialhilfe soll uns wenigstens vor Armut schützen. Selbst das schafft sie nicht immer. Dennoch wird politisch und medial regelmäßig darüber diskutiert, ob sie zu hoch ist. Fakten spielen dabei selten eine Rolle. Wir haben deswegen die wichtigsten Informationen zu Sozialhilfe und Mindestsicherung gesammelt.

Was sind Sozialhilfe und Mindestsicherung?

Sozialhilfe und Mindestsicherung dienen als allerletztes finanzielles Auffangnetz. Menschen bekommen sie dann, wenn sie kein oder nur ein geringes Einkommen beziehen. Sie haben erst Anspruch darauf, wenn Ersparnisse bis zu einer bestimmten Grenze aufgebraucht sind.

Was ist der Unterschied zwischen Sozialhilfe und Mindestsicherung?

Sozialhilfe und Mindestsicherung sind von der Idee her dieselbe Grundleistung. Die Leistungen unterscheiden sich in Details.

2010 hat die “bedarfsorientierte Mindestsicherung” die Sozialhilfe abgelöst. Eine der wichtigsten Änderungen: Die Mindestsicherung wurde daran geknüpft, dass sich arbeitsfähige Menschen um Arbeit bemühen mussten.

2019 wurde unter der Türkis-Blauen Regierung die Mindestsicherung wieder von der “Sozialhilfe neu” abgelöst. Bundesländern wurde in der Ausgestaltung mehr Freiheit gegeben, statt Mindestbeträgen wurden von der Regierung Höchstbeträge festgesetzt. Einige Vorschriften wurden vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben.

Die Sozialhilfe wurde in sechs Bundesländern umgesetzt. In Wien und Tirol ist bis heute die Mindestsicherung in Kraft, im Burgenland ist es die Sozialunterstützung.

Wie hoch ist die Sozialhilfe?

Bei der Sozialhilfe sind Höchstbeträge festgeschrieben. Alleinlebende erhalten maximal 1.156 Euro im Monat, Paare nicht mehr als 1.618 Euro. Die Beträge können von den Ländern um bis zu 30 Prozent erhöht werden, um Wohnungskosten zu decken. Für Kinder gibt es zusätzliche Unterstützung, die mit der Anzahl der Kinder sinkt. In Wien bekommt man hingegen für jedes Kind gleich viel.

Zusätzlich ist man über die Sozialhilfe krankenversichert. Nur 3 von 10 Bezieher:innen bekommen tatsächlich den vollen Betrag (siehe Aufstocker:innen). Im Schnitt wurde eine “Bedarfsgemeinschaft” 2022 mit 743 Euro unterstützt.

Zum Vergleich: Die Armutsgefährdungsschwelle für einen 1-Personen-Haushalt liegt aktuell bei 1.572 €.

Wer kann Sozialhilfe oder Mindestsicherung bekommen?

Sozialhilfe oder Mindestsicherung bekommen Menschen, deren Einkommen geringer ist als die Unterstützungsleistung. Berücksichtigt wird dabei das Haushaltseinkommen und nicht nur das Einkommen einer Person. Zuvor muss das eigene Vermögen fast aufgebraucht werden – mehr als einen Betrag von 6.935 Euro darf man nicht besitzen.

EU-Bürger:innen bekommen die Leistung nur, wenn sie bereits fünf Jahre in Österreich sind oder hier arbeiten. Drittstaatsangehörige bekommen sie ausnahmslos erst nach fünf Jahren. Asylberechtigte erhalten sie ab dem Zeitpunkt, in dem ihnen ein Schutzstatus zuerkannt wird.

Erhalten Asylwerber:innen Sozialhilfe oder Mindestsicherung?

Nein. Sie haben keinen Anspruch darauf. Asylwerber:innen bekommen Mittel aus der Grundversorgung, die noch einmal weit unter der Sozialhilfe liegt.

Wie viele Menschen beziehen in Österreich Sozialhilfe oder Mindestsicherung?

2022 haben im Jahresschnitt laut Statistik Austria 189.957 Menschen Sozialhilfe oder Mindestsicherung bezogen. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Bezieher:innen in jedem Jahr gesunken. 2017 waren es noch 239.481 Personen.

Wie viel geben wir für Sozialhilfe oder Mindestsicherung aus?

Es kostet uns jährlich 974 Millionen Euro, das letzte finanzielle Sicherungsnetz zu spannen. Das sind 0,7 Prozent aller Sozialausgaben, die insgesamt 136 Milliarden Euro ausmachen.

Zum Vergleich: 15 Milliarden Euro erhielten Unternehmen alleine als Corona-Hilfsgelder. Mindestens 1,4 Milliarden Euro davon gelten als Überförderung.

Was sind „Aufstocker:innen“?

Nur ein kleiner Teil der Bezieher:innen erhält wirklich die gesamte Sozialhilfe oder Mindestsicherung. Sieben von zehn Personen sind “Aufstocker:innen”. Sie haben ein Einkommen – etwa aus Arbeit, Arbeitslosengeld oder Unterhalt – das unter der Grenze der Beihilfe liegt. Sie können die Differenz aufstocken.

Wollen Menschen, die Sozialhilfe oder Mindestsicherung beziehen, einfach nicht arbeiten?

Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Denn Menschen, die Sozialhilfe oder Mindestsicherung beziehen, müssen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Verweigern sie das, werden ihnen Leistungen gekürzt.

Eine Tortengrafik über die Aufteilung der Beziehung von Mindestsicherung.

Von allen Bezieher:innen sind nur etwa drei von zehn arbeitslos. Jede:r Zehnte arbeitet, bekommt dabei aber nicht genug gezahlt. Die restlichen Bezieher:innen sind nicht arbeitsfähig. Sie sind entweder zu jung, zu alt, haben eine Behinderung oder müssen andere betreuen.

Wie lange beziehen Menschen Sozialhilfe oder Mindestsicherung?

Im Schnitt beziehen Betroffene neun Monate lang Sozialhilfe oder Mindestsicherung.

Warum ist der Anteil an Asylberechtigten in der Sozialhilfe und der Mindestsicherung so hoch?

Asylberechtigte machen knapp 40 Prozent der Bezieher:innen aus, das sind knapp 75.400 Menschen. Auch bei ihnen gilt: Nur ein kleiner Teil ist arbeitsfähig und arbeitet nicht. Der Großteil stockt entweder auf oder ist nicht arbeitsfähig.

Dass Asylberechtigte nach Erhalt ihres Aufenthaltstitels oft Mindestsicherung oder Sozialhilfe beziehen, ist vor allem ein politisches Versagen. Denn für die ständig geforderte Integration braucht es Maßnahmen. Darauf haben Asylwerber:innen in einem oft Jahre andauernden Verfahren keinen Anspruch. Ihnen kann gesetzlich Integrationshilfe gewährt werden – muss aber nicht. Sie dürfen nur unter ganz bestimmten Bedingungen in wenigen Bereichen arbeiten und haben kein Recht auf Sprachkurse. Im Anschluss an diese ausgrenzende Zeit findet nicht jede:r sofort Arbeit.

Würde eine Kürzung der Sozialhilfe dazu führen, dass sich Menschen eher Arbeit suchen?

Diese Annahme geht davon aus, dass Menschen gerne an oder unter der Armutsschwelle leben. Denn in Saus und Braus leben Bezieher:innen von Sozialhilfe und Mindestsicherung nicht – auch wenn Boulevardmedien ein anderes Bild zeichnen.

Den Druck auf arme Menschen zu erhöhen, hat Großbritannien in den vergangenen zehn Jahren versucht. Dort wurden Sozialleistungen für arme Familien eingeschränkt und gedeckelt. Das Ergebnis: Man hat zwar nicht mehr Menschen in Erwerbsarbeit gebracht. Dafür ist aber die Kinderarmut stark gestiegen.

Eine Großfamilie bekommt sehr viel Geld, ohne etwas dafür zu tun. Andere Familien erhalten viel weniger. Ist das nicht unfair?

Eine Geschichte ging kürzlich durch die Medien. Eine 9-köpfige Familie, die 4.600 Euro Mindestsicherung erhält, musste für eine Neid-Kampagne herhalten. Was dabei übersehen wird: Die Familie kommt damit und sogar mit weiteren Unterstützungen im besten Fall nur knapp über die Schwelle zur Armutsgefährdung. Über ihre genaue Situation wissen wir im übrigen sehr wenig. An dieser Geschichte ist vor allem ein Aspekt unfair: Dass wir Familien mit Kindern nicht gut genug unterstützen – besonders diejenigen, die es nötig haben.

Anstatt Kürzungen bei denen zu fordern, die es am dringendsten brauchen, sollten wir für eine Verbesserung der Situation für alle einstehen. Die Sozialleistungen sind eher zu niedrig als zu hoch. Worüber wir uns eher unterhalten sollten, ist, warum die Löhne vieler Menschen zu niedrig sind.

 

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • frizzdog
    21.08.2024
    was auffällt: der ORF, dem wir als staatsbürger pflichtgemäß die "haushaltsabgabe" abführen, präsentiert uns diese fakten ausschließlich im rahmen der polarisierenden parteiberichterstattung. keine spur von neutraler aufklärung oder demokratischem bildungsauftrag. auch die anderen medien unterstützen lieber die widerliche keiferei der wahlwerbenden inserenten als die soziale aufklärung. was für eine zeit!
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    • johanna
      24.08.2024
      Sohn mit 52, der schon jahre durch Krankheit nicht arbeitsfähig ist, wird jetzt genötigt Eitern Mutter Mindestpension auf Unterhalt zu Klagen. Und nicht nur das, auch gleich drei Jahre rückwirkend innerhalb 14 Tagen zu zahlen. Alles würde natürlich das Sozialamt behalten. Weil der Sozialhilfeempfänger hst ja sein ganzes Geld bekommen in den 3 Jahren. Darf denn das sein,???