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Ungleichheit

Wieso bleiben Frauen in Gewaltbeziehungen?

"Wieso bist du nicht gegangen?" Diese Frage begleitet Opfer von Gewalt in Beziehungen schon lange. Sie kommt von der Familie, von Freund:innen, bei der Polizei, sogar vor Gericht. Wir geben in der zweiten Folge von "Man tötet nicht aus Liebe" Antworten.

Hier kannst du den Podcast über Gewalt an Frauen auf SpotifyApple Podcast oder im Web (mit vielen weiteren Abo-Möglichkeiten in anderen Apps) hören.

 

 

Wenn eine Frau ermordet wird, dann war der Täter wahrscheinlich der Partner oder der Ex-Partner. Oft war das Opfer jahrelang mit dem Täter zusammen – trotz Gewalt in der Beziehung. Als Außenstehende denkt man vielleicht: „Mir könnte das nicht passieren. Ich würde beim ersten Anzeichen von Gewalt den Schlussstrich ziehen.“

Doch Gewaltbeziehungen sind kompliziert. Das weiß auch Kathi. Seit sie denken kann, hatte ihre Mutter gewalttätige Partner. So war es auch bei ihrem neuen Freund. Anfangs ist er liebevoll, bald wird er eifersüchtig und aggressiv. Dreimal muss Kathis Mutter seinetwegen in Österreich ins Frauenhaus. Dann findet sie einen Job im Ausland.

„Er ist ihr sofort nachgereist und sie waren wieder das glückliche Paar. Nur diesmal in einem Land, wo es weniger Versorgung von gewaltbetroffene Frauen gibt. Ein paar Monate später habe ich sie über Weihnachten besucht. Da war alles in Ordnung. Er hat sich zusammengerissen.“

„Er war der festen Überzeugung davon, sie hätte ihn betrogen“

Die neue Harmonie hält nicht lang. Kathis Mutter verliert ihren Job. Das Paar lebt eine Zeit lang auf der Straße. Sein Drogenproblem verschärft sich weiter. Im Frühling 2020 erreicht die Corona-Pandemie das Land und Kathis Mutter wird positiv auf das Virus getestet.

„Sie hat ihn angerufen, um Bescheid zu sagen. Er ist komplett ausgerastet. Er war der festen Überzeugung davon, sie hätte ihn betrogen, weil: Wo hätte sie sich sonst Corona einfangen sollen?“

Aus Angst bleibt ihre Mutter stundenlang in einem Café sitzen. Sie traut sich nicht nach Hause, ruft dafür Kathi an, schreit ins Telefon, lässt ihre Wut und Verzweiflung an ihr aus. Als sie endlich nach Hause kommt, tobt er. Zwei Tage lang geht der Streit. Immer wieder haut er ab, kommt zurück, bedroht sie, verlässt das Haus wieder.

Zwischendurch ruft Kathis Mutter sie an, um sie anzuschreien. Sie selbst fühlt sich hilflos, fleht ihre Mutter an, ins Frauenhaus zu gehen und sucht Kontakte zu Hilfseinrichtungen heraus.

Der Mann sitzt im Gefängnis, wird jetzt alles gut?

„Er ist durch die Hintertür eingebrochen, hat sie mit einem Messer bedroht und wollte sie abstechen. Sie hat schnell die Hilfseinrichtung angerufen, die hat die Polizei verständigt. Die Polizei war gerade noch rechtzeitig da.“

Mittlerweile sitzt er im Gefängnis. Kathis Mutter ist vor ihm sicher. Aber für Kathi ist die Sache trotzdem nicht abgeschlossen. Sie sagt, das Problem hinter diesen Beziehungen und der Co-Abhängigkeit ihrer Mutter wurde nicht gelöst.

„Die psychische Symptomatik ist genau die gleiche wie vor 5 Jahren, vor 10 oder 15. Mein Vater war auch so ein Mensch. Ich hoffe, dass es nicht wieder passiert, aber ich kann mich nicht darauf verlassen.“

Die Beziehung zu ihrem Ex-Freund war nur für kurze Zeit schön. Wieso also ist Kathis Mutter geblieben, bis es zum Angriff mit dem Messer kam?

„Ich habe sie das oft gefragt. Manchmal habe ich ihr direkt gesagt: Mama, geh doch einfach. Dann war sie sofort böse und hat geantwortet: Wo soll ich denn hin? Mir hilft doch niemand.“

Keine Freundinnen, keine Familie, kaum Geld

Das hat nicht gestimmt. Kathi hätte ihrer Mutter geholfen. Aber es fällt auch nicht schwer, nachzuvollziehen, woher der Gedanke kommt. Kathis Mutter hat keine Freundinnen, keine Familie mehr, das Geld war immer schon knapp. Sie hat nur ihre Tochter – und eben immer wieder Männer, die sie schlecht behandeln. Was ihr fehlt, ist eine Perspektive. Die realistische Chance auf ein gutes Leben. Das Wissen, dass es nicht so schlimm bleiben muss, wie es jetzt ist.

„Er hat es geschafft, ihr das Gefühl zu geben, dass sie komplett alleine ist auf der Welt. Er hat es geschafft, sie im Glauben zu lassen, dass sie keine Wahl hat als von seiner Pension zu leben und sich zwischendurch den Schädel einschlagen zu lassen.“

Mehr zu Kathis Geschichte liest du hier.

So wie Kathis Mutter geht es unzähligen Frauen. Andrea Brem kennt viele von ihnen. Sie ist die Leiterin der Wiener Frauenhäuser und arbeitete schon seit 30 Jahren im Gewaltschutz. Dort finden Frauen Schutz, die akut von Gewalt betroffen sind.

Gewalt an Frauen: Sieben Anläufe bis zur Trennung

„Man sagt, dass man sieben Anläufe braucht, um sich wirklich zu trennen“, erklärt Andrea Brem. Aber wieso? „Die Frau hat sich für den Mann entschieden, weil sie ihn liebt. An der Beziehung ist nicht alles schlecht. Es gibt Phasen der Gewalttätigkeit, aber auch welche, in denen sich die Männer wieder sehr bemühen.“

Die sogenannte „Honeymoon-Phase“ beschreibt das Phänomen, dass Täter nach dem Angriff oft besonders aufmerksam sind. Sie geloben, sich zu ändern, zeigen sich von ihrer besten Seite. Dann geht es wieder von vorne los. Der Ruf, Frauen sollten sich einfach trennen, kann sie in eine gefährliche Lage bringen. „Es ist ein Fakt, dass die Zeiten der Trennung die gefährlichsten für Frauen sind“, sagt Andrea Brem.

Tatsächlich wissen wir aus Medienberichten, dass sich einige der weiblichen Mordopfer vor ihrem Tod trennen wollten oder gerade getrennt hatten.

Politische Probleme im Hintergrund

Was oft als gefährliche Dynamik zwischen zwei Menschen dargestellt wird, findet außerdem vor dem Hintergrund politischer Probleme statt, erklärt Andrea Brem:

„Es gibt Frauen, die mit ihrem Visum an den Mann geknüpft sind und ohne ihn den Aufenthaltstitel verlieren könnten. Es gibt Frauen, die kein eigenes Einkommen und Angst davor haben, mit den Kindern alleine dazustehen. Bei manchen ist es auch die Angst vor Einsamkeit. Die Vorstellung, gerade für ältere Frauen, alleine in der Wohnung zu sitzen, ist auch nicht prickelnd.“

Frauenhäuser können die Betroffenen nur auffangen, die Probleme dahinter müssen Politiker:innen lösen. Opfer müssen Hilfe bekommen, aber wichtiger wäre, zu verhindern, dass Männer überhaupt zu Tätern werden.

In der nächsten Folge von „Man tötet nicht aus Liebe“ untersuchen wir die Frage, wie das gelingen kann und recherchieren, wie Täter sich ändern können.

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