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Ungleichheit

Der Hintergrund: Warum die Beziehung der gefährlichste Ort für Frauen ist

Der Hintergrund: Warum die Beziehung der gefährlichste Ort für Frauen ist

Die Beziehung ist für Frauen der gefährlichste Ort. Alleine 2021 gab es 29 weibliche Mordopfer - die meisten Täter waren (Ex-)Partner. Was hinter diesen Zahlen steckt. Wir begleiten die zweite Staffel vom MOMENT Podcast "Man tötet nicht aus Liebe" auch mit Texten. Hier kannst du den Podcast über Gewalt an Frauen hören.

Wir begleiten die zweite Staffel des MOMENT Podcasts „Man tötet nicht aus Liebe“ auch mit Texten. Hier kannst du den Podcast über Gewalt an Frauen auf Spotify, Apple Podcast oder im Web (mit vielen weiteren Abo-Möglichkeiten in anderen Apps) hören.

Die Trafik ist immer noch abgebrannt. Hier, im 9. Bezirk in Wien, wurde eine Frau angezündet. An den Folgen ist sie verstorben. Nadine, die Trafikantin, wollte sich von ihrem Freund trennen. Sie merkte offenbar schon, dass sie in Gefahr sein könnte und engagiert einen Privatdetektiv. Der Täter aber überwachte sie längst und hörte das Gespräch zwischen den beiden mit. Er fuhr zur Trafik, überwältigte Nadine und zündete sie an. Die Tür schloss er hinter sich ab. Passant:innen konnten die Glastür zertrümmern. Nadine schaffte es noch, den Rettungskräften den Namen des Täters zu sagen. Wochen später starb sie im Krankenhaus.

Nadine ist eine von 29 Frauen, die im Jahr 2021 in Österreich getötet wurden. Die meisten Täter waren Partner oder Ex-Partner. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Männer werden viel seltener von (Ex-)Partnerinnen getötet. In manchen Jahren gab es überhaupt keinen Fall, bei dem eine Frau den Partner getötet hat.

Für Barbara ist es schwierig, diese Zahlen mit Nadine zu verbinden. Sie ist Nadines Cousine, wohnt nur ein paar Minuten vom dem Tatort, der Trafik, entfernt.

Nach Femizid: „Bevor das passiert ist, hätte ich mehr Antworten gehabt“

„Ich beschäftige mich seit dem Studium mit Feminismus, mit Gewalt an Frauen. Man liest die Statistiken, auch die Motivationen und Gründe dahinter. Das weißt du alles im Kopf. Wenn es dann eine Verwandte ist, die du kennst, seitdem du ein Kind bist, denkst du anders. Man denkt nicht: Das ist eine von vielen Opfern. Bevor das passiert ist, hätte ich mehr Antworten gehabt als jetzt.“

Barbara erzählt von Nadine als selbstbewusste und kampferprobte Frau, die ihren Mund aufgemacht hat, wenn ihr etwas nicht gepasst hat. Ihr Leben hat sich vor allem um die Arbeit gedreht. Mit Mitte 20 hat sich Nadine mit der Trafik selbstständig gemacht und ist dafür sechs Tage die Woche aus Niederösterreich nach Wien gependelt.

„Sie hat sich nichts gegönnt. Sie war ein bisschen reiten, ist mit dem Hund spazieren gegangen. Sonst war da nur Arbeit. Aber ich glaube, das hat sie gemocht.“

Eine offene Wunde in der Familie

Die Familie erfuhr von der Tat teilweise aus den Medien. Eine Tante von Barbara hat die Trafik in einem Artikel wiedererkannt. Als Nadine noch im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte, sammelte Barbara Spenden für die Reha. Aber sonst gab es für die Angehörigen nicht viel zu tun. Barbara beschreibt die Tat als offene Wunde in der Familie.

„Du hast nichts zu tun. Du kannst dich nicht ablenken. Das Gefühl hatte ich davor noch nie. Es nimmt einem die Zuversicht.“

Ein Mord wie der an Nadine ist so etwas wie die sichtbare Spitze eines Eisbergs an Gewalt. Was davor passiert, bleibt aber meistens unsichtbar. In einer Analyse der Universität Wien zu 18 Femiziden zeigt sich, dass fast alle Opfer vor der Tat mit dem Täter zusammengelebt haben – 8 von ihnen sogar länger als 6 Jahre.

Die Datenlagen zu geschlechtsspezifischen Morden ist in Österreich schlecht. Femizide werden nicht laufend dokumentiert und analysiert. Zwar gab das Innenministerium ein extra Dokument zu weiblichen Mordopfern 2021 heraus. Darin fehlen aber wichtige Informationen, wie zum Beispiel die Beziehung zwischen Opfer und Täter. Auch Risikofaktoren werden nicht laufend untersucht. Dazu zählen etwa Alkoholmissbrauch, Arbeitslosigkeit oder Kinder im Haushalt, die nicht die leiblichen Kinder des Täters sind. Andere Länder machen das besser.

Gewalt an Frauen: Die Datenlage ist grottenschlecht

“In Spanien werden Daten zu geschlechtsbezogener Gewalt detailliert erfasst. Es gibt sogar ein eigenes Kompetenzzentrum, das Kriminalanalysen fürs laufende Jahr durchführt”, sagt Isabel Haider von der Universität Wien. Sie hat an der Analyse der Femizide mitgearbeitet und kritisiert die schlechte Datenlage offen.

Laut Haider könnte auch Großbritannien ein Vorbild für Österreich sein. Dort analysiert ein Team aus Opferschutz und Polizei jeden Mord, der in einer Partnerschaft begangen wird und untersucht, ob die Behörden den Mord hätten verhindern können.

Nicht nur bei der Erfassung von Femiziden ist Österreich schlecht. Auch zum größeren Thema der Gewalt in der Familie und in der Beziehung gibt es keine aktuellen Zahlen. Zwar weist die Anzeigenstatistik zum Beispiel aus, wie viele Frauen Opfer einer Körperverletzung geworden sind, aber nicht, wie oft Männer dabei Täter waren.

Jede achte Frau hat körperliche Gewalt in der Beziehung erfahren

Um ein Bild davon zu bekommen, wie verbreitet Gewalt in der Beziehung ist, müssen daher ältere Studien herangezogen werden. Laut einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2012 haben 13 Prozent der Frauen in Österreich schon einmal körperliche oder sexualisierte Gewalt durch eine:n Partner:in erfahren. 38 Prozent geben an, Opfer von psychischer Gewalt geworden zu sein. 11 Prozent haben schon einmal wirtschaftliche Gewalt in einer Beziehung erfahren.

Die Gewaltformen erklärt findest du in diesem Artikel.

Auch Männer werden häufig Opfer von Gewalt in Beziehungen, wie eine Studie aus dem Jahr 2011 zeigt. Dort geben 18 Prozent der Männer (und 29 Prozent der Frauen) an, in Beziehungen körperliche Gewalt erlebt zu haben. Der gefährlichste Ort für Männer ist aber der öffentliche Raum – für Frauen ist es die Partnerschaft. Dazu kommt, dass männliche Gewalt viel öfter tödlich endet.

Deswegen beschränkt sich der Podcast “Man tötet nicht aus Liebe” auf Gewalt an Frauen. In den kommenden Folgen werden wir die Frage beantworten, wieso Frauen in Gewaltbeziehungen bleiben. Wir sehen uns an, wieso Männer zu Tätern werden, wie wir das verhindern können und wie Täter therapiert werden. Die Rolle von Polizei und Justiz beleuchten wir ebenso wie die der Medien.

Ab 8. März findest du an jedem Dienstag eine neue Folge von “Man tötet nicht aus Liebe” von MOMENT in deiner Podcast-App.

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