Der Täter: Was Männer zu Tätern macht und wie wir Gewalt an Frauen verhindern
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Nico ist 25 Jahre alt und seit acht Jahren mit seiner Freundin zusammen, sie haben einen Sohn. Als ein Streit zwischen ihnen eskaliert, schlägt er sie. Die Freundin zieht vorübergehend zu ihren Eltern und bricht den Kontakt zu Nico ab. Vier Wochen später sucht er nach Rat in einem Internet-Forum:
„Sie war an dem Streit und der Eskalation nicht unschuldig, sie hat geschrien und mich persönlich beleidigt. Das ist für sie offensichtlich in Ordnung und sie sieht sich als das alleinige Opfer. Ich habe keine Aggressionen, an denen ich arbeiten muss. Sie möchte sich an mir rächen, indem sie mir meinen Sohn vorenthält. Das habe ich bisher verstanden und es ihr zu gestanden. Hatte ich verdient. Nun sollte es aufhören.“
Täter-Opfer-Umkehr ist eine typische Strategie von Gewalttätern. Diese Männer beteuern auch, dass es ja “nur einmal” passierte und nicht wieder vorkommt. Aber häufig bleibt es nicht bei einem Mal. Die Gewalt schaukelt sich in einer Art Zyklus immer wieder aufs Neue hoch – was Expert:innen aus dem Gewaltschutz die “Gewaltspirale” nennen.
Wie können sich Männer wie Nico, die nicht einmal Einsicht zeigen, aus dieser Gewaltspirale befreien? Das weiß Alexander Haydn. Der Psychotherapeut ist seit 14 Jahren in der Männerberatung Wien tätig und arbeitet als forensischer Therapeut auch mit straffällig gewordenen Gewalttätern. Zugleich macht er Einzel- und Gruppentherapien – sogenannte Anti-Gewalt-Trainings.
Gewalt an Frauen: Männer kommen oft “eingeschränkt freiwillig” zur Beratung
In Haydns Männerberatung kommen Gewalttäter aus ganz unterschiedlichen Gründen. Seit Anfang September vergangenen Jahres werden Männern nach einem Betretungsverbot durch die Polizei sechs Stunden Beratung verordnet – zum Beispiel bei der Männerberatung. Auch das Jugendamt und Gerichte können die Männer zur Therapie verpflichten. All diese Männer kommen, weil sie müssen. Andere kommen “eingeschränkt freiwillig”, wie Haydn das nennt – weil die Freundin dem Mann ein Ultimatum stellt oder Freund:innen oder die Familie ihn dazu überreden.
Aber wie therapiert man Männer, sie sich vielleicht gar nicht ändern wollen? Haydn spricht von einem “Widerstand”, der gebrochen werden muss. Das funktioniert, indem eine Beziehung zum Täter hergestellt wird. Im Angesicht dessen, was der Mann getan hat, ist das oft nicht einfach für Haydn: “Es ist teilweise erschreckend, wenn ich einen Doppelmörder vor mir habe, der zwei Menschen umgebracht hat und plötzlich merke: Das ist eigentlich ein sympathischer Typ, der hat einen ähnlichen biografischen Background wie ich.” Es sei wichtig, ein therapeutisches Vertrauensverhältnis zum Täter herzustellen, um seine “Täterstrategien” auszuhebeln “Wenn dieser Widerstand einmal überwunden ist, dann spielt dieser Zwangskontext gar keine Rolle mehr”, sagt Haydn.
Anti-Gewalt-Training: 4 Schritte, um Gewalt an Frauen zu stoppen
Im Anti-Gewalt-Training beschreibt Haydn vier Schritte, um körperliche Gewalt zu stoppen. Den ersten nennt er Verantwortungsübernahme. Der Mann müsse lernen, für seine Tat einzustehen und einzusehen, was er falsch gemacht hat. Das funktioniert zum Beispiel mit Rollenspielen, in denen dem Täter die Perspektive des Opfers verdeutlicht wird.
Haydn erzählt davon. Ein Mann habe ihm gesagt: “Ich hab sie nur geschubst.” Haydns Kollegin, mit der er die Gruppe leitet, ist 1,62. Der Mann war 1,90 m und 120 Kilogramm schwer. Haydn habe sie beide gebeten sich nebeneinander zu stellen und gesagt, der Mann solle das noch einmal wiederholen. “Nur geschubst, ja? Das war jedem augenscheinlich klar, wenn dieser Mann irgendjemanden schubst, dann fliegt der 3 Meter gegen die Wand und bricht sich alle Rippen.”
Im zweiten Schritt erlernen die Männer verschiedene Techniken, wie sie ihre Impulse besser unter Kontrolle kriegen. Es geht um sogenannt “Time-Out-Strategien”, die dabei helfen sollen, Gewalt im Akutfall zu stoppen. Im dritten Schritt erlernen Männer eine Gefühlssprache: Vielen fällt es oft schwer, über ihre Emotionen zu reden. Haydn fragt sie deshalb: Wieso fühlst du dich so, wie du dich fühlst? Zuletzt, im vierten Schritt, geht es um Biografiearbeit. Haydn versucht herauszufinden, was im Leben des Täters passiert ist, wieso es zur Gewalttat kam.
Männerberater Haydn: Gewalttäter sind nicht alle gleich
In den Biografien der Täter lässt sich ein gemeinsames Merkmal der Gewalttäter feststellen: “Viele haben als Kinder in der Familie oft selbst Gewalt durch den Vater oder die Mutter erfahren, oder zumindest beobachtet”, erzählt Haydn. Gewalterfahrungen in der Kindheit ist keine Seltenheit. Männliche Gewalt bekommen viele in der Erziehung “antrainiert” – für Haydn ist das die auffälligste Gemeinsamkeit.
Haydn nennt auch Alkohol- und Drogensucht. Substanzen wirken enthemmend auf Gewalttäter und begünstigen die Eskalationen. Süchte seien generell ein großes Thema: So kommen auch Männer mit Sex- oder Spielsucht zu ihm. Auf der Ebene der Persönlichkeitsstörungen habe Haydn viel mit Borderline-, oder narzisstischen Persönlichkeitsstörungen zu tun. Aber auch Männer mit antisozialen Störungen, die früher “psychopathisch” genannt wurden, kommen zu Haydns Therapie.
Entgegen Erzählungen aus dem rechten Spektrum spiele die Herkunft der Täter laut Haydn keine große Rolle. “Es wird insbesondere seit der Flüchtlingskrise 2015 gesagt, dass Gewalt in der Familie ein importiertes Problem ist”, erzählt Haydn. Dabei gebe es Gewalt in der Familie und patriarchale Strukturen in Österreich und Europa schon seit Jahrhunderten.
Ein Screening Report über Femizide im Jahre 2018 zeigt: In 10 von 18 Fällen war der Täter arbeitslos. Spielt das Einkommen also eine Rolle? Haydn denkt nicht. Er sieht, dass Männer aus allen sozialen Schichten zu ihm kommen. Für ihn ist der größte einende Faktor das Rollenbild, das der Mann in der Familie einnehmen will: “Es geht sehr häufig um Macht und Kontrolle. Aber ein einheitliches Bild davon, wie ein Mann aussieht, der seine Frau schlägt? Das gibt es nicht.”
Das Bild vom “starken, echten Mann”: Österreich hat nach wie vor traditionelle Geschlechterrollen
Das patriarchale Rollenbild vom dominanten Mann in Beziehungen untersucht der Männerforscher Erich Lehner seit rund 30 Jahren. Während Haydn in der Praxis Gewalttäter die Aggressionen abtrainiert, analysiert Lehner den Mann in der Gesellschaft – und wie man ihn ändern kann. “Unser Männlichkeitsbild ist noch sehr traditionell in romantischen Beziehungen. Wir haben dieses Muster vom starken Mann zum Anlehnen, der dominant ist.” Die Gleichstellung von Frauen und Männern sei laut Lehner in Österreich “noch nicht sehr ausgeprägt.”
Aber woher kommt das Bild vom dominanten Mann? Oft spricht man von biologischen Faktoren, die dazu führen, dass Männer grundsätzlich aggressiver sind. Dem erteilt Lehner eine klare Absage. Es sei nicht die Natur, sondern die erlernte Rolle und Persönlichkeit des Mannes: “Die Biologie hat bewiesen, dass ein einzelnes Hormon wie Testosteron kein Programm hat. Männlichkeit ist eine soziale Konstruktion, die Männer in Krisenfällen dazu anleitet, zu Gewalt zu greifen.” Krisen könnten durch Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, aber auch Trennung entstehen.
Mehr Männer in der Care-Arbeit: “Da braucht es politische Entscheidungen”
Um dieses sozial erlernte Rollenbild durch ein moderneres Bild des Mannes zu ersetzen, setzt Lehner zum einen auf Erziehung. An Schulen brauche es geschlechtersensibles Personal, das jungen Männern ein neues Rollenbild vermittle. “Aber es wird nicht reichen, nur auszubilden”, sagt Lehner. “Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen sich ändern.”
Damit meint Lehner, dass Männer aus ihrem rein männlich Umfeld herausgenommen werden müssen. “Dominante Männlichkeit entsteht, wenn Männer unter sich sind. Da tragen sie ihre Konkurrenzkämpfe aus.” Er nennt als Beispiele Politik und Wirtschaft.
Um Männer aus diesen sogenannten Männerbünden zu befreien, müsse man sie etwa vermehrt in die Familie bringen: “Wir brauchen Männer, die sich um ihre Kinder sorgen und ihre kranken Verwandten pflegen”. Nur so können sie Empathie erlernen, sagt Lehner. “Ich möchte aber nicht jeden einzelnen Mann darum bitten müssen.” Für mehr Männer in der Care-Arbeit bräuchte es auch politische Entscheidungen. “Damit klar ist: Jeder Mann muss seinen geschlechtergerechten Anteil in der Karenz erfüllen.”
Haydn: Im Gewaltschutz noch Lücken in der Vernetzung
Erich Lehner stellt sich eine Gesellschaft vor, in der Männer sich ganz selbstverständlich um ihre Familie sorgen, Kinder erziehen, den Haushalt schmeißen. Einfach: emotional gesunde und gleichgestellte Vorbilder sind. Wir alle wissen: Von so einer Gesellschaft sind wir noch weit entfernt. 4 von 5 Vätern gehen nach wie vor überhaupt nicht in Karenz.
Und es wird dennoch wird es immer Männer geben, bei denen das nicht ausreicht. Die nach wie vor zu Gewalt greifen werden. Doch es gibt Hoffnung. Männer können sich durchaus aus diesen Mustern befreien. Aber dafür müssen sie in Therapie gehen. Und die sollte laut den beiden Männertherapeut:innen nichts kosten.
Alexander Haydn fordert, dass Männer nach einem Betretungsverbot oder einer Wegweisung zu mehr als nur sechs gratis Stunden Beratung verpflichtet werden. “Da darf nicht die Frage aufkommen, wer zahlt das überhaupt, kann ich mir das leisten?” Es sei Aufgabe der Gesellschaft, dass Männer, die sich nicht korrekt verhalten, durch die Therapie ein anderer Weg gezeigt wird. “Für Straftäter im Gefängnis kommen auch die Steuerzahler:innen auf. Aber es gibt viel effektivere Alternativen”, sagt Haydn.
Zudem kritisiert der Therapeut, dass nach wie vor der Datenschutz über Opferschutz stehe. So müssen Täter eine Einwilligung unterschreiben, damit Haydn und sein Team Kontakt zur therapeutischen Einrichtung des betroffenen Opfers aufnehmen darf. “Viele Männer weigern sich, zu unterschreiben. Das ist ein großer Fehler im System.” Bei der Vernetzung der verschiedenen Opferschutzeinrichtungen klaffen laut Haydn noch große Lücken.
Auch Haydn und Lehner wissen allerdings: Wer Gewalt einmal antrainiert hat, wird sie so schnell nicht wieder los. Manche Männer werden trotzdem rückfällig. In der nächsten Folge werfen wir deshalb einen Blick auf das System, das bei Gewalt eigentlich eingreifen sollte. Wir hören die Geschichte einer Frau, die sich unter Todesangst aus einer Gewaltbeziehung befreit hat, um dann bei Polizei und vor Gericht vor ganz neuen Hürden zu stehen.