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Klimakrise
Ungleichheit

Zwischen staatlicher Härte und Klarkommen: Wo ist die Letzte Generation heute?

Zwischen staatlicher Härte und Klarkommen: Wo ist die Letzte Generation heute?
Foto: Letzte Generation Österreich, Anja Windl beim Protest vom 07.11.2022 in Graz
Auch wenn die Letzte Generation im Sommer 2024 aufgab, tragen die ehemaligen Mitglieder bis heute die Folgen ihres Aktivismus für unseren Lebensraum. Afra Porsche und Anja Windl aus dem damaligen Kernteam der Gruppe erzählen von ihrem Leben nach den großen Straßenblockaden.

Die erste Blockade und die Folgen

Es ist Montagfrüh in der Grazer Innenstadt, als der Autoverkehr am Joanneumring stillsteht. Anja und zwei weitere Mitglieder der Letzten Generation blockieren die Straße – es ist Anjas erste Protestaktion. Das Ziel: Friedlich gegen fossile Zerstörung protestieren. Konkret fordern sie ein Tempolimit auf Autobahnen. Es ist kalt und nass.

Passant:innen lassen ihrer Wut freien Lauf und beschimpfen die Demonstrierenden. Andere filmen sie mit ihrer Handykamera. Ein Autofahrer fährt sogar einen stehenden Demonstranten um, bis er direkt vor der Stoßstange des Autos am Boden sitzt. Ein weiterer fährt den Banner um, den Anja und ein anderer Demonstrant halten, und fährt zwischen ihnen durch.

Anja ist hier nicht zum Spaß – sie sitzt hier, weil sie alles andere schon versucht hat. Der Planet erhitzt sich, die Politik tut nichts. Sie frustriert, dass die Regierung selbst die einfachsten kostenlosen Maßnahmen, wie ein Tempolimit, nicht umsetzt. Eine Stunde lang steht der Verkehr still. Die Polizei wartet auf einen von ihnen gerufenen Juristen, der die Demonstrant:innen über ihre Rechte aufklärt. Als er ankommt, fordert er sie auf, die Straße zu verlassen.

Weil sie nicht freiwillig gehen, trägt sie die Polizei schließlich von der Fahrbahn. Anja kommt mit auf die Wache. Dort befragen die Beamten:innen sie zum Protest, bevor sie eine Geldstrafe von über 1.000 Euro bekommt – viel Geld für die Studentin. Sie selbst kann die Strafe nicht zahlen. Im Zweifelsfall ist ihr klar, dass sie eine Ersatzhaftstrafe absitzen muss.

Klimaschutz als Grundrecht: Worum es der Letzten Generation ging

Es ist der Winter 2022 als Anja sich der Gruppe der Letzten Generation anschließt. Ihr erster Protest folgt im November. Die 25-jährige Studentin war zuvor auf Demonstrationen von “Fridays for Future” unterwegs. Als sie nach Graz zieht, sucht sie aktiv eine Gruppe mit “Vision”, und findet sie in der Letzten Generation. Die forderte nämlich nicht nur das Tempolimit 100, sondern auch, dass Klimaschutz als Grundrecht in der Verfassung verankert wird und die Vorschläge des Klimarates umgesetzt werden. Forderungen, die auch von Wissenschaftler:innen unterstützt wurden.

Afra kommt im Frühjahr 2022 während ihres Erasmus-Semesters in Norwegen mit der Letzten Generation in Berührung. Zurück in der Heimat engagiert sich die deutsche Staatsbürgerin erst einmal in Deutschland bei der Gruppe. “Ich wusste, aus Deutschland kann ich nicht ausgewiesen werden”, erklärt Afra. Letzten Endes entscheidet sie sich dafür, in Österreich bei der Letzten Generation tätig zu werden, da sie dort auch studiert und wohnt.

Vom Ehrenamt in die Erschöpfung

Afra berichtet von 60- bis 70-Stunden-Wochen, während ihrer Tätigkeit bei der Letzten Generation. Ihr Studium ging während dieser Zeit nicht gut voran. “Es gibt einen Grund, warum ich sechs Jahre für meinen Bachelor gebraucht habe”, sagt Afra und lacht. 

Ihren Protest finanzierten sie teilweise durch Spenden. “Wie wir dieses Arbeitspensum geschafft haben, weiß ich nicht. Dass wir mit Gleichgesinnten etwas erreicht haben, hat uns aber Energie gegeben – auch wenn es natürlich total anstrengend und auslaugend war”, erzählt sie.

Afra und Anja waren Teil des Kernteams und damit für die Strategie, aber auch für die Vernetzung der Gruppe zuständig. Seien es Politiker*innen oder Kirchenvertreter*innen – sie wollten mit allen Akteur:innen der Zivilgesellschaft in Kontakt treten. 

“Uns war klar, dass wir zivilen Ungehorsam nur gemeinschaftlich erreichen können“, sagt Afra. Die Letzte Generation war außerdem hierarchisch organisiert. Deshalb konnte das Kernteam schnell Entscheidungen treffen. Sie saßen fast täglich zusammen.

Geldstrafen und Primärarreste: Der Preis des Protests

Jeder Person bei der Letzten Generation war von Anfang an klar, dass sie von der Polizei Strafen für ihren Protest bekommen würde. “In den meisten Fällen waren es Geldstrafen. Wenn man die nicht bezahlen kann, muss man mit einer Ersatzhaftstrafe rechnen”, erzählt Afra. 

Neben diesen Strafen bekamen sie Primärarreste – eine Form der sofortigen Festnahme. Dabei kann ein Polizeijurist Haftstrafen vergeben, von denen man sich eben nicht freikaufen kann. Die Dauer dieser Freiheitsstrafe beträgt mindestens zwölf Stunden und kann bis zu sechs Wochen dauern. Dass die Polizei gleich selbst die Haftstrafe festlegt, statt eines Richters, wäre in Deutschland nicht möglich. 

Im März 2024 bekommt Afra ihren ersten Primärarrest plus eine Geldstrafe, die zu einer Ersatzhaftstrafe führt. Trotz aller Vorbereitung steht sie unter Schock. 39 Tage sollten es sein. Dank Spenden konnte sie es auf 18 Tage verringern.

In der Haft fühlt sich Afra trotz allem privilegiert: “Ich bekam zweimalzwei Mal die Woche Besuch. Ich habe unfassbar viel Post zugeschickt bekommen – das hat wahnsinnig geholfen.” 

Trotzdem: “In einer gerechten Gesellschaft darf es so etwas wie Ersatzhaftstrafen für arme Menschen gar nicht geben”, sagt Afra. Andere Menschen sitzen Ersatzhaftstrafen ab, weil sie zum Beispiel die Geldstrafe für ihre Parkstrafen nicht bezahlen können. Es ist eine Form der Strafe, die vor allem finanziell arme Menschen trifft – weil Strafen nicht ans Einkommen angepasst werden. 

Im Gefängnis gebe man jede Privatsphäre und Persönlichkeit auf. “Die Wärter:innen machen, was sie wollen und du weißt nie was passiert”, sagt Afra.

Harte Bedingungen und psychische Folgen

Auch Anja erzählt von den harten Haftbedingungen: “Wir haben uns dort mit Krätze angesteckt und uns wurde wochenlang nicht geglaubt. Stattdessen wurde uns vorgeworfen, dass wir die Krätze in die Haftanstalt gebracht hätten.” 

In einer Woche soll es nur zweimal eine Stunde Hofgang gegeben haben, gesetzlich vorgeschrieben ist eine Stunde pro Tag – die restliche Zeit waren sie in Zellen eingesperrt. “Es gibt Menschen innerhalb der ehemaligen Letzten Generation mit posttraumatischen Belastungsstörungen aufgrund ihrer Haftbedingungen und den sich wiederholenden Gewalterfahrungen bei Protesten. Das macht etwas mit der Psyche von Menschen”, sagt Anja.

Immer wenn sie viel mediale Aufmerksamkeit und somit Erfolg mit einer Protestaktion hatten, wurden auch die Strafen immer härter. “Immer wenn stärkere Repressionen kamen, wussten wir: Wir haben wieder etwas ausgelöst”, sagt Afra. 

So kamen zu den üblichen Anzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, Anzeigen wegen schwerer Sachbeschädigung, Gemeingefährdung, das Androhen eines Aufenthaltsverbots in Österreich für Anja oder der Vorwurf der kriminellen Vereinigung dazu. Der für viele lästige, aber immer friedliche Protest wurde medial und politisch zunehmend kriminalisiert.

Psychischer Preis des Widerstands

Die Polizei hält die Studentin regelmäßig auf der Straße auf und kontrolliert sie – obwohl sie sich ja derzeit ganz normal in Österreich aufhalten darf. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat Anja ein Aufenthaltsverbot in Österreich für zwei Jahre erteilt. Die 28-Jährige legte Beschwerde aber ein. “Das Aufenthaltsverbot greift jeden einzelnen Bereich in meinem Privatleben an”, sagt Anja. Im Dezember soll das Grazer Bundesverwaltungsgericht entscheiden. 

Für Afra findet Bestrafung auch auf einer psychischen Ebene statt. “Ich fühle mich immer noch nicht sicher zu telefonieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass irgendwer hier gerade mithört”, sagt sie. Auch wenn Afra das nicht beweisen kann, die vergangenen Jahre haben sie teilweise paranoid gemacht.

In ihrer WG wüssten mittlerweile alle, dass sie ganz sanft oder in einem witzigen Rhythmus klopfen müssen, um sie nicht zu erschrecken. “Wenn jemand heute an meiner Wohnungstür klopft, bekomme ich einen Herzkasper”, erzählt sie. Mit jedem Klopfen kommen Erinnerungen hoch, als sie die Polizei zu ihrem Haftantritt abholte. Alle sechs Monate kommt eine Gerichtsvollzieherin ohne Vorwarnung vorbei, um nach Wertgegenständen zu suchen. “Ich bin ja gepfändet, weil ich kein Geld habe”, erklärt Afra. 

Hass in Direktnachrichten

Nach bestimmten Aktionen war der Hass gegen die Letzte Generation besonders stark zu spüren. Zum Beispiel, als sie im Februar 2023 Öl auf eine abgesperrte Straße kippten. “Ich habe etliche Morddrohungen bekommen. Dass auf Straßenblockaden grundsätzlich derart reagiert wird, zeigt ja bereits, dass es nicht um die Protestform selbst geht – die ist ja nicht neu”, erzählt Anja.

Teilweise hatten sie versucht, Hassnachrichten anzuzeigen – meistens ohne Erfolg. Sie bekamen lediglich Wochen oder Monate später die ganzen Mitteilungen, dass die Verfahren eingestellt wurden, zugeschickt.

“Letztens habe ich aber einen Fall gewonnen”, erzählt Anja. Der Angeklagte musste ihr inklusive Gerichtskosten 2.500 Euro bezahlen. “Heute lasse ich mir das nicht mehr gefallen. Menschen, die insbesondere Frauen wegen ihrer öffentlichen Haltung mit Beleidigungen und Drohungen klein zu halten versuchen, sollten nicht ohne Konsequenzen davon kommen.”

Das Ende des organisierten Protests

Die größte mediale Aufmerksamkeit bekam die Letzte Generation, als sie ihren Protest im Sommer 2024 beendeten. “Wir waren die erste Klimagerechtigkeits-Bewegung, die gesagt hat: Nein, wir machen nicht mehr weiter – es lohnt sich nicht mehr”, erzählt Afra.

“Wir sehen ein, dass Österreich weiter in fossiler Ignoranz bleiben will und damit in Kauf nimmt, für den Tod von Milliarden von Menschen mitverantwortlich zu sein”, hieß es in einer Aussendung. Die verbliebenen Mittel sollten die Kosten ihrer Kriminalisierung und Ermittlungen decken. 

Anja erklärt sich die immense Berichterstattung zum Ende der Gruppe so: “Die Letzte Generation hat den Menschen noch Hoffnung gegeben. Wenn wir dann auch aufhören, fragt man sich als Gesellschaft schon: Fuck – was machen wir jetzt?” 

Auch wenn beide am Entscheidungsprozess beteiligt waren, die Letzte Generation aufzugeben, ging mit ihrem Ende eine tiefe Traurigkeit einher. “Wir wären abhängig davon gewesen, noch Kipppunkte aufhalten zu können – dafür war es dann zu spät”. 

Seit Jahrzehnten warnen Wissenschafter:innen davor, welche katastrophalen Folgen die globale Erwärmung um 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau mit sich bringt. 2024 wurden die 1,5 Grad Erwärmung zum ersten Mal überschritten.

Das Erbe der Letzten Generation

“Für mich war es ein absolut strategisch notwendiger Schritt, mit der Letzten Generation sozusagen den Feueralarm der Gesellschaft auszulösen”, sagt Anja rückblickend. 

Sie meint, man müsse reflektieren, wie wir so solidarisch, mitfühlend und demokratisch wie möglich unsere Zukunft gestalten, ohne dass wir gesellschaftlich aufgrund der Konsequenzen des Klima- und Biodiversitätskollaps vollends in den Faschismus und autoritäre Muster reinkippen, die wir teilweise jetzt schon spüren. 

Ich frage Anja, ob sie sich in schwachen Momenten schon einmal gefragt hat, ob es das alles wert war: “Natürlich. Ich bin auch bloß ein Mensch. Du gibst einfach wahnsinnig viel von deinem Leben auf. Gleichzeitig gelten keine Sicherheitsversprechen mehr: Ich kann mich nicht einfach auf das Studium, Karriere oder Familie konzentrieren, wenn wir das hier nicht irgendwie bestmöglich hinbekommen.”

Mit dem Ende der Letzten Generation endet ihr Engagement nicht. Aktuell engagiert sich Anja bei “Peacefully Against Genocide”. Sie erklärt: “Es ist wichtig, eine Verbindung zwischen all den vermeintlich verschiedenen Kämpfen herzustellen, wie den Kampf gegen Kolonialismus, Genoziden und Klimakatastrophe, weil die Wurzel des Übels dieselbe ist: die bestehenden Machtstrukturen.“ Nach dem Interview trifft Anja sich noch mit Freund:innen. Sie lacht: “Ein bisschen leben muss man ja auch noch.”

Afra hat sich bisher keinen neuen Gruppen angeschlossen hat. “Ich habe einfach wahnsinnig lange extrem viel gemacht. Als es vorbei war, habe ich erst einmal Zeit gebraucht, um mich wieder zu erholen.” 

Im Rückblick hätte sie es wohl trotzdem nicht anders gemacht. Es nicht wenigstens versucht zu haben, friedlich für mehr Klimaschutz zu demonstrieren – diese Untätigkeit hätte sie vor sich selbst nicht verantworten können. “Auch wenn das kitschig klingt  – mich motivierte die Liebe zu den Menschen und der Welt.”

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