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Gesundheit
Ungleichheit

Worüber die Politik spricht und worüber nicht: Teilzeit vs. Medikamentenmangel

In einer Welt, wo Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, kann man Themen durch immer provokantere Techniken breit streuen. Themen können aber auch unsichtbar gemacht werden. Teilzeit-Debatte und Medikamentenmangel sind aktuelle Beispiele, kommentiert Natascha Strobl.

Es gibt ein inoffizielles Ranking der Themen, die im öffentlichen Diskurs präsent sind. Umso aktueller, umso neuer, umso einschneidender, umso krasser, umso besser. Politische Akteur:innen spielen schon lange mit diesen medialen Logiken.

Worüber man redet: Teilzeit 

Ein aktuelles Beispiel: Ohne jeden Zweifel wird gerade gegen die Teilzeit kampagnisiert. Wirtschaftsminister Kocher wollte Teilzeit-Angestellten anfangs die Familienleistungen kürzen. Das betrifft hauptsächlich Frauen in ohnehin schlecht bezahlten Berufssparten, wie dem Handel. In Zeiten der Teuerungen Arbeitnehmer:innen Geld kürzen zu wollen, ist ohnehin eine Chuzpe. 

Diese Debatte zeigt aber auf, wie strategische politische Kommunikation funktioniert: Ein Thema wird zur Chefsache erklärt. Der rückt mit einem über-provokanten Vorstoß aus. Andere springen ihm bei. Und schon läuft eine Debatte über einige Wochen. 

Worüber man nicht redet: Medikamentenmangel

Wenn Themen aufkommen, die unangenehm sind, will man natürlich das Gegenteil. Das Thema soll untergehen. Also reden Politiker:innen einfach nicht darüber. Immer dann, wenn etwas gerade nicht so gut läuft oder sogar Fehler gemacht wurden. 

Das klingt logisch, Politiker:innen wollen schließlich Wahlen gewinnen und überbringen nur ungern schlechte Nachrichten. Diese Logiken verschieben aber öffentlich die Prioritäten, was wichtig und drängend ist und was nicht.

Auch das radikale Nicht-Thematisieren passiert gerade. Die „Teilzeit-Debatte“ drängt nämlich andere Themen aus der Öffentlichkeit bzw. nimmt den medialen Raum, der anderswo fehlt, etwa beim Medikamentenmangel.

Mangelwirtschaft bei Medikamenten 

In Österreich sind derzeit ganz übliche Medikamente nicht zu kriegen. Es betrifft vor allem auch Medikamente für Kinder, etwa einen beliebten fiebersenkenden und schmerzstillenden Saft. Es fehlt aber mittlerweile auch an Antibiotika, Blutdrucksenkern oder Herzmedikamenten. Online gibt es immer wieder verzweifelte Aufrufe von verzweifelten Menschen, dass man dieses oder jenes Medikament sucht. Ein Online-Tauschhandel für Medikamente, die schon im Privatbesitz sind. 

So etwas sollte eigentlich in einem Land mit einem funktionierenden Gesundheitssystem eigentlich nicht existieren. Es erinnert eher an die unmittelbare Nachkriegszeit, als am Karlsplatz ein reger Schwarzhandel mit Gütern entstanden ist, die in der Mangelwirtschaft nach dem Krieg nicht zu bekommen waren, zum Beispiel Medikamente.

Es gibt keine Krise, wenn man nicht darüber spricht

Der Grund für das Problem ist eine Mischung aus Krisen, schlechter Planung, Abhängigkeiten von Lieferketten, dem Outsourcen der Arzneimittelproduktion und mangelnden staatlichen Eingriffen. Das Spannende in der aktuellen Situation ist, dass es offiziell gar nicht als Mangel oder gar Krise kommuniziert wird. Da sind viele andere Themen, allen voran offenbar Teilzeitarbeit, wichtiger. 

Währenddessen spielen sich in Apotheken immer wieder kleine Dramen ab. Verzweifelte Eltern, die schon in der fünften Apotheke sind und daheim ein fieberndes Kleinkind haben. Oder Menschen mit Herzproblemen, die auf ein bestimmtes Medikament eingestellt sind und es nicht mehr bekommen. 

Wer Ressourcen hat und sich selbst zu helfen weiß, kommt vielleicht nach ein paar Stunden noch an Restbestände irgendwo. Wer diese Ressourcen nicht hat, vielleicht eine andere Erstsprache als Deutsch hat und sich im Gesundheitssystem weniger auskennt, der bleibt über.

„Eigenverantwortung“ wurde das in der Pandemie genannt. Jeder und jede für sich.  Apotheken bemühen sich, Alternativen zu organisieren, aber oft heißt es einfach „Haben wir nicht“. Es ist längst eine Mangelwirtschaft, die in einem so wichtigen Sektor wie der Medikamentenversorgung herrscht. 

Das Schweigen dazu ist dröhnend. Auch das ist ein bewusstes Spiel mit medialer Aufmerksamkeit. Man kann etwas zum Thema machen oder man kann sich ausschweigen.

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