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Arbeitswelt

Versteckte Kündigung statt gesichertem Job: Wie Kettenverträge die Universitäten gefährden

Ein Bild von rostigen Kettengliedern als Symbol für Kettenverträge an der Uni.
Kettenverträge an Universitäten haben für Personal und Unis schwerwiegende Folgen. Foto: Miguel A Padrinan/Pexels
Innerhalb der nächsten acht Jahre könnten bis 80 Prozent der Menschen, die an österreichischen Universitäten lehren und forschen, ihren Job verlieren. Das wären bis zu 35.000 Personen. Das klingt absurd? Der Grund liegt im Universitätsgesetz. Es schafft unsichere Arbeitsverhältnisse.

Die Arbeit an der Universität ist anders. Im Volksmund wird sie gern als Elfenbeinturm verpönt – wird als abgehoben und gemütlich gesehen. In Wirklichkeit ist sie oft von großer Unsicherheit geprägt. 80 Prozent des wissenschaftlichen und künstlerischen sowie zwei Drittel des allgemeinen Universitätspersonals sind nur befristet angestellt. Unter Lektor:innen, die Lehrveranstaltungen halten, sind es sogar 96 Prozent. 

Die Verträge dauern zwischen sechs Monaten und einigen Jahren und werden nach Ablauf – vielleicht – mit einem neuen befristeten Vertrag verlängert: Die Angestellten bekommen sogenannte Kettenverträge. In der Privatwirtschaft wäre das undenkbar. Kettenverträge sind im Arbeitsgesetz nicht erlaubt. Schon ein zweiter befristeter Vertrag muss mit besonderen Gründen gerechtfertigt sein. 

In der Wissenschaft sind Kettenverträge Regel statt Ausnahme. §109 des Universitätsgesetzes erlaubt sie ausdrücklich und nimmt damit Universitätsangestellte aus dem Schutz des Arbeitsrechts aus. Universitäten dürfen ihre Angestellten bis zu acht Jahre befristet halten. Erst danach müssen sie einen unbefristeten Vertrag bekommen – oder gehen.

Wieso gibt es Kettenverträge an Universitäten überhaupt?

Eine Begründung für die Vertragsketten ist Geld, genauer gesagt sogenannte Drittmittel. Das ist Geld, das Forscher:innen selbst für ihre Forschungsprojekte einwerben. Es kommt nicht wie das sonstige Uni-Budget vor allem direkt vom Staat, sondern von Fonds und Stiftungen, wie dem Wissenschaftsfonds FWF. 

Forscher:innen bekommen dieses Geld immer nur für ein bestimmtes Projekt. Deshalb werden sie nur für den Projektzeitraum angestellt. Und weil die Uni nicht ohne Geld auf den Menschen sitzen bleiben möchte, bekommen sie einen Vertrag nach dem anderen. Gerade jetzt, wo das Unibudget sowieso schon extrem knapp und unsicher ist. Universitäten stehen wegen der Teuerungen vor großen Budgetlöchern.

So weit zumindest die Theorie. Denn nur ein Viertel der Angestellten wird wirklich über Drittmittel bezahlt. Und bei Budgetknappheit könnten auch unbefristete Verträge gekündigt werden.

An der kurzen Kette gehalten

Die Folgen dieser unsicheren Verhältnisse tragen die Angestellten. Jahr für Jahr müssen Wissenschaftler:innen bangen, dass Geld für ihre Projekte bewilligt wird und sie ihre Stelle halten können. Das Gleiche gilt nicht nur für die Projektleiter, sondern für alle, die in diesen Projekten angestellt sind – Labormitarbeiter:innen, Techniker:innen, PhD-Studierende – genauso Lehrpersonal und administratives Personal der Universität. Jobsicherheit gibt es für die meisten keine.

Eine Angestellte der Med-Uni Wien wurde zum Beispiel 12 Jahre in befristeten Teilzeitverträgen gehalten. Dann ließ die Uni den letzten auslaufen und sie verlor ihren Job. Sie zog vor das Wiener Arbeits- und Sozialgericht, das 2021 urteilte: Die geltende Regelung war rechtswidrig. Die Politik kam in Zugzwang.

Doch anstatt den §109 abzuschaffen oder gute Arbeitsbedingungen rechtlich zu sichern, überarbeitete das ÖVP-geführte Ministerium die Kettenvertragsregelung: Nach acht Jahren Kettenverträgen soll Schluss sein. Entweder man bekommt dann einen unbefristeten Vertrag oder man muss die Universität verlassen. Und zwar auf Lebenszeit. Für viele kommt das einem Berufsverbot gleich.

Der Mythos vom glänzenden Elfenbeinturm

Dabei stellt man sich das Arbeiten in der akademischen Welt doch sehr prunkvoll vor: Große Säle mit vertäfelten Wänden, hohe Gehälter, akademische Titel und Prestige. An der Universität arbeitet doch die Elite, oder nicht?

Nicht alle Angestellten der Universitäten sind von Kettenverträgen betroffen. Über 86 Prozent der Professor:innen sind unbefristet angestellt. Sie verdienen nach Kollektivvertrag mindestens 5.437 Euro pro Monat. Das ist eine sehr komfortable Position. Aber: Nur knapp vier Prozent der Angestellten sind Professor:innen. Im Senat, dem Entscheidungsgremium der Universität, stellen sie dennoch 9 von 18 Personen.

Der Rest verweilt in jahrelanger Probezeit

Stefan Ossmann gehört nicht zu diesen vier Prozent. Er ist Lektor an der Universität Wien und hält im Semester zwei Lehrveranstaltungen. Als er 2013 sein PhD-Studium startete, wusste er, worauf er sich einlässt. Zwei Lehraufträge sicherten ein Grundgehalt, mit dem man zumindest sozialversichert war. Die Lehre hatte ihn schon immer fasziniert. Auch wenn er teilweise nur für 6 Monate Verträge bekam. In der übrigen Zeit konnte er Projektanträge schreiben und an geförderten Projekten arbeiten. Obwohl der akademische Weg prekär ist, hatte er zumindest die ferne Aussicht auf eine normale Anstellung – bis zur Novelle des Universitätsgesetzes 2021.

Nach acht Jahren in befristeten Verträgen wurden nur sehr selten Menschen in unbefristete Stellen übernommen. Gemäß der alten Regelung musste man dann ein Jahr die Universität verlassen, um die Kette zu unterbrechen. „Nach der zweiten Kette ist die Wahrscheinlichkeit höher, entfristet zu werden. Aber da war man schon 16 Jahre auf Probezeit“, erzählt Ossmann.

Jetzt kann und will er dieses Spiel nicht mehr mitspielen – vor neun Monaten wurde er Vater. Die Kettenverträge verhinderten bereits, dass er als Mann in Karenz gehen konnte. Denn der gesetzliche Karenzanspruch wäre länger als sein Vertrag gewesen.

 
Kettenverträge an der Uni: Ein Bild von einem leeren Hörsaal.

Kettenverträge schaden der Lehre, denn wer nicht forscht, bekommt keine unbefristeten Verträge

Lehre alleine zahlt kaum die Fixkosten

Anfang Dezember organisierten die Universitätsangestellten einen Demonstration gegen den §109. „Ich will keine große internationale Karriere. Alles, was ich will, ist in Würde von meinen Lehrverträgen leben zu können“, sagte Ossmann dort in seiner Rede.

Das war bis jetzt schon schwierig. Weil Ossmann nur lehrt, bekommt er keinen Arbeitsplatz. Laptop, Drucker, Strom, Heizung – Dinge, die er für seine Arbeit braucht, muss er sich selbst zahlen. Dafür bekommt er knapp 1.000 Euro brutto pro Monat. „Ich mache es total gerne, aber momentan zahle ich von meinem Ersparten drauf. Mit meinem Kind habe ich höhere Fixkosten als mein Gehalt“, erzählt Ossmann. Mit dem prunkvollen Elfenbeinturm der Wissenschaft hat das nichts zu tun.

Der neue §109 verschlechtert das Studienangebot

In sieben Jahren endet seine Kettenfrist und die Universität Wien muss ihn hinauswerfen – auf eine unbefristete Lehrstelle wagt er nicht zu hoffen. Denn momentan sind von etwa 2.000 Lektor:innen an der Universität Wien nur 63 unbefristet. Er befürchtet, dann mit 54 vor einer Art Berufsverbot zu stehen. Denn einfach alle acht Jahre Uni und Stadt zu wechseln ist niemandem zumutbar und für die meisten nicht möglich.

Wieso gibt es auch für Lektor:innen keine unbefristete Stellen? Eine Lehrperson wie Ossmann kostet die Universität monatlich etwa 1.500 Euro. Kontinuität und Stabilität in der Lehre würde die Qualität für Studierende verbessern. Mit der aktuellen Auslegung spielt die Universität Forschung und Lehre gegeneinander aus. Denn beide zählen zur gleichen Vertrags-Frist. Nach einem Forschungsprojekt eine Lehrveranstaltung zu übernehmen, nimmt wertvolle Monate von der Kettenfrist für das nächste Projekt.

Die Wissenschaft verliert an Vielfalt

Was bedeutet das für Österreichs Universitäten? Wenn weiterhin 80 Prozent der Angestellten befristet bleiben, müssen sie alle acht Jahre ausgetauscht werden. Langfristig könnten sich nur die wenigen etwas aufbauen, die sich bereits etabliert haben. Inhaltlich bedeutet das mehr von dem, was es schon gibt – und weniger Innovation.

„Außergewöhnliche Ideen, wie die von Anton Zeilinger [Nobelpreisträger für Physik, Anm. der Red.], haben keine institutionelle Anbindung“, erklärt Ossmann. Besonders für Themen, die heute schon vernachlässigt werden, wird es noch schwieriger. Das betrifft auch ihn selbst. Sein Schwerpunkt ist Beziehungs- und Sexualitätsforschung. Im deutschsprachigen Raum gibt es dafür bald keine ordentliche Professur mehr. „Es wird weniger Vielfalt bei den Themen in Lehre und Forschung geben“, erwartet er.

Besonders Frauen haben es in diesen Bedingungen schwer

Auch bei den Menschen, die sich für einen Beruf in Wissenschaft und Lehre entscheiden, wird es weniger Vielfalt geben. Professuren sind heiß begehrt und gehen meist an Menschen mit internationalem Lebenslauf. Wer sich nicht leisten kann, alle paar Jahre das Land zu wechseln, oder sich um Kinder und Familie kümmern muss, hat es schwer.

Das merkt man bereits jetzt im Geschlechterverhältnis. Obwohl knapp 42 Prozent des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals an Universitäten weiblich sind, liegt die Frauenquote bei Professuren und Dozent:innen nur bei 27 Prozent. 

Die Situation könnte sich nun aber noch weiter verschärfen. Der neue §109 wird die Chancen für Frauen verschlechtern, vermutet Beate Lichtenberger. Sie leitet ein Labor am Institut für Dermatologie an der Med-Uni Wien.  „Diese Unsicherheit spielt für Frauen eine größere Rolle. Wenn man überlegt, Kinder zu bekommen, fühlt man sich in so einem Verhältnis nicht wohl“, sagt sie zu MOMENT.at.

Lichtenberger selbst hat mittlerweile eine unbefristete Stelle. Doch wegen des neuen §109 durfte sie bereits mehrere Mitarbeiter:innen aus ihrem Team nicht mehr anstellen – obwohl sie Geld gehabt hätte. Für die kann das ein schwerwiegender Einschnitt sein. Eine der Mitarbeiterinnen war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Weil sie keinen weiteren Vertrag an der Universität bekommen konnte, erhielt sie nur das gesetzliche Kinderbetreuungsgeld. Mit ihrem alten Vertrag wären ihr pro Monat 1.000 Euro mehr zugestanden.

Schöne Idee, schlechte Umsetzung

Das Bildungsministerium schreibt auf seiner Website, dass „insbesondere attraktive Karrieremöglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs eine entscheidende Rolle“ bei der Novelle des Universitätsgesetzes gespielt haben. Stefan Ossmann beschreibt diesen Satz als Schlag ins Gesicht. „Die Idee war ja gut, aber es ist einfach nicht gut gemacht. Und die Katastrophe kommt langsam auf uns zu.“

So sieht es auch Lichtenberger: „Ein Karrieremodell zu schaffen, um die Kettenverträge auszusetzen, wäre fantastisch. Aber wenn es nicht in Verbindung damit steht, dass die Universitäten mehr Geld bekommen, um solche Positionen zu schaffen, geht dieses Gesetz nach hinten los.“ Das Ministerium gab bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme auf unsere Anfrage.

Jede Universität reagiert anders auf die Regelung

Momentan reagiert jede Universität offenbar anders auf den Paragrafen. Selbst für die Angestellten sind die Entscheidungen schwer nachvollziehbar. So versucht die Universität für Bodenkultur (BOKU) vermehrt, durch Drittmittel finanzierte Verträge trotzdem zu entfristen, wie ein:e Forscher:in MOMENT.at erzählt. 

Dass Universitäten diese Möglichkeit haben, wusste wiederum Lichtenberger gar nicht. Wieso sich ihre Med-Uni Wien nicht stärker gegen den §109 einsetzt, kann sie nicht nachvollziehen: „Keine private Firma würde alle acht Jahre gut ausgebildete Leute rauswerfen. Das kann nicht im Sinne der Universität sein.“

Ein Faktor bleibt in der Rechnung über: Wenn es schwieriger wird, sich an einer Universität zu etablieren, wird langfristig das gleiche Geld auf weniger Leute aufgeteilt. In Zukunft wird dieser Effekt noch stärker zu spüren sein. „Viele junge Leute werden nicht mehr in die Wissenschaft einsteigen“, vermutet Ossmann – oder sie eben früh wieder verlassen.

Der paradoxe Paragraf

Der §109 des Universitätsgesetzes ist widersprüchlich. Einerseits erlaubt er befristete Kettenverträge extra noch, um erste Anstellungen zu erleichtern, andererseits schließt er Angestellte genau damit nach acht Jahren für immer von ihrer Universität aus. 

Dass das so gewollt ist, scheint unwahrscheinlich. Außer Frage steht, dass die Regelung Schaden anrichtet. Gut ausgebildete Menschen werden gezwungen, den Job und oft sogar das Land zu verlassen. Qualität von Lehre und Forschung leiden. Für Frauen und finanziell schlechter abgesicherte Menschen wird es noch schwieriger, an den Universitäten Fuß zu fassen. Wenn Universitäten nicht noch elitärer werden wollen, muss sich das ändern.

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