Frauenstreik in Österreich: “Sie haben uns das Patriarchat ins Hirn geschissen”

Würste waren in vielen Geschäften Islands am 24. Oktober 1975 ausverkauft. Irgendetwas mussten die Männer schließlich für sich und die Kinder kochen – und Würste aufzuwärmen, das schafften die meisten noch. Sehr viele Männer waren an diesem Tag nämlich auf sich alleine gestellt. Frauen verweigerten bezahlte wie unbezahlte Arbeit. Manche Betriebe blieben geschlossen, Zeitungen konnten nicht gedruckt werden, die meisten Flüge fielen aus. Die Frauen Islands hatten anderes zu tun. Sie beteiligten sich am “Frauenruhetag”.
Ihr Beweggrund: Frauen verdienten fast immer deutlich weniger als Männer, ihr Anteil im Parlament war wesentlich kleiner und sie mussten sich in der Regel um Haushalt, Erziehung und Pflege von Angehörigen kümmern. Das kommt einem bekannt vor: Zwischen Island im Jahr 1975 und Österreich im Jahr 2025 liegen vielleicht 50 Jahre – aber leider keine Welten.
“Die Forderungen sind alle bekannt, manche davon seit 100 Jahren. Wir kennen die Ungleichheit. Man kann sie überall sehen – wenn man will”, sagt Julia Zdarsky. Sie und Hedwig Wagner sind zwei der Organisatorinnen des österreichischen Frauen*Streiks, der dieses Jahr am 24. Oktober vor dem Parlament stattfinden soll. “Unabhängig davon, ob wir dabei die Massen erreichen, ist für mich vor allem der Gedanke wichtig: Was passiert, wenn Frauen all ihre Arbeit niederlegen”, so Wagner.
Frauenstreik in Island: Nichts ging mehr
In Island wurde dieser Gedanke einen Tag lang Realität. Der Kampf für einen Frauenstreik begann dort in den frühen 1970ern. Erst mit der Umbenennung zu “Frauenruhetag” konnten auch bürgerliche Frauenorganisationen davon überzeugt werden, mitzumachen – die Bezeichnung “Streik” war ihnen zu radikal gewesen.
Bis zu 25.000 Menschen – überwiegend Frauen – versammelten sich schließlich an diesem Tag in der Hauptstadt Reykjavik. Es war die bis dahin größte Demonstration der Landesgeschichte. Aber nicht nur sie machten mit: Laut Schätzungen nahmen bis zu 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung daran teil. Der Tag hinterließ Spuren in der isländischen Gesellschaft. Ein Jahr später wurden die Auswirkungen des Protests erstmals mit einem Gesetz gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz spürbar.
So ein Gleichbehandlungsgesetz gibt es in Österreich auch seit 1979. Per Gesetz sind Frauen und Männer auch bei uns gleich – wozu also protestieren, wenn die Gleichberechtigung schon so lange gesetzlich festgeschrieben ist? “Wenn mir jemand mit diesem Argument kommt, schleudere ich ihm die Statistiken um die Ohren”, sagt Zdarsky. Besonders die finanzielle Ungleichheit ist für sie absurd: “Frauen kriegen um 39 % weniger Pension als Männer. Und dann soll mir jemand nochmal erklären, dass wir schon alles haben und gleichberechtigt sind.”
Gleichberechtigung ist nicht gleich Gleichberechtigung
Dass rechtliche Gleichberechtigung auch faktische Gleichberechtigung bedeutet, ist ein schöner Gedanke. Die Realität sieht nur leider anders aus. Dazu reicht ein aktueller Blick auf die Gründe, die bereits für den isländischen Frauenstreik von 1975 ausschlaggebend waren: Im österreichischen Parlament sitzen im Jahr 2025 vor allem Männer. Der Frauenanteil liegt dort bei 35,5 Prozent, in der Gesamtbevölkerung hingegen bei 51 Prozent. Frauen haben um insgesamt 34 Prozent weniger Einkommen als Männer. Sie arbeiten aber mehr Stunden – nur weniger davon bezahlt. Denn sie leisten zwei Drittel der unbezahlten Arbeit: etwa bei Hausarbeit, Erziehung, Betreuung oder Pflege. Auch wenn ihnen diese Arbeit nicht bezahlt wird, profitieren andere in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft auch finanziell davon.

Selbst wenn man Themen wie sexualisierte Gewalt, finanzielle Abhängigkeit oder Diskriminierung im Beruf komplett ausblendet, ist das vor allem eines: anstrengend. Das ist auch Thema des Frauen*Streiks: “Wir legen uns einfach hin – und machen nichts. Das soll einerseits unsere Erschöpfung im Patriarchat zeigen. Aber im Nichts-Tun steckt auch eine gefährliche Drohung”, so Wagner.
Das Nichts-Tun als Drohung hat in Island funktioniert. Das Land führt seit mittlerweile 16 Jahren den “Global Gender Gap Index” des Weltwirtschaftsforums an. Der Index betrachtet, wie weit es um die Gleichstellung in einem Land bestellt ist. Dafür berücksichtigt er verschiedene Kriterien wie wirtschaftliche und politische Beteiligung, Gesundheit oder Bildungsmöglichkeiten. Island erreicht dort einen Wert von 92,6 Prozent und ist demnach nur ein paar Prozentpunkte von tatsächlicher Gleichstellung entfernt. Österreich? 75,5 Prozent.
Trotz dieser Führungsrolle gibt es auch in Island noch keine absolute Geschlechtergerechtigkeit. So haben 2023 über 100.000 Frauen – darunter auch die damalige Premierministerin Katrín Jakobsdóttir – und non-binäre Personen wieder bezahlte und unbezahlte Arbeit niedergelegt. Gender Pay Gap, geschlechtsspezifische Gewalt und sexualisierte Belästigung sind auch dort noch nicht gelöst.
Österreichs Gleichstellung im Leerlauf
Von Gleichstellung ist Österreich noch weiter entfernt als Island. Lagen wir vor fünf Jahren im Gleichstellungsindex noch an 21. Stelle, hat es Österreich 2025 nur mehr an die 56. von 148 Stellen geschafft. Veränderung passiert, wenn überhaupt, nur in sehr kleinen Schritten. Bis der Gender Pay Gap geschlossen ist, werden bei aktuellem Tempo noch mehr als 300 Jahre vergehen.

Dabei ist es keinesfalls garantiert, dass die Gleichstellung weiter – wenn auch langsam – voranschreitet: “Wir haben eine Partei, die bei über 30 Prozent steht, Frauen am Herd sehen will und ein traditionelles Familienbild propagiert”, so Hedwig Wagner vom Frauen*Streik. Die frauenpolitischen Pläne der FPÖ würden Frauenrechte tatsächlich in längst vergangene Zeiten zurückkatapultieren. Dass reaktionäre Politiker:innen grundsätzlichen Errungenschaften sehr schnell wieder zunichtemachen können, sehen wir aktuell nicht zuletzt an Trumps Umbau der USA.
Der Frauen*Streik will aber nicht bloß gegen diesen Rückschritt ankämpfen, sondern vor allem zeigen, was möglich wäre: “Das Patriarchat haben sie uns alle ins Hirn geschissen. Es ist ein Selbstverständnis, das uns umgibt, dem wir nicht entkommen”, sagt Zdarsky. Beim Frauen*Streik seien deswegen auch alle Menschen willkommen und eingeladen – schließlich seien auch alle betroffen: “Und eine Gesellschaft mit weniger Ungleichheit ist doch für alle gut – auch für Männer.”
Der Frauen*Streik findet am 24. Oktober ab 17 Uhr vor dem Parlament in Wien statt. Mehr Informationen dazu findest du hier.