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Ungleichheit

Ungarn: Ins Gefängnis für die Pride? Ein Interview mit Organisator Géza Buzás-Hábel

Ungarn: Ins Gefängnis für die Pride? Ein Interview mit Organisator Géza Buzás-Hábel
Géza Buzás-Hábel wird strafrechtlich verfolgt, weil er trotz eines Verbots die Pride in Pécs organisiert hat. Credits: Bálint Rigó
Zum ersten Mal in der Geschichte der EU wird ein Mensch strafrechtlich verfolgt, weil er eine Pride organisiert hat: Géza Buzás-Hábel ist Pädagoge aus Südungarn, ein Rom, offen queer und seit Jahren als Menschrechtsaktivist aktiv. Für die Planung der Pécs-Pride am 4. Oktober droht ihm nun bis zu einem Jahr Haft. Im Interview erzählt er, was das über die Lage queerer Menschen in Ungarn verrät – und was jetzt auf ihn zukommt.

MOMENT: Wie hat sich die Situation queerer Menschen in Ungarn in den letzten Jahren entwickelt?

Géza Buzás-Hábel: Sie hat sich sehr zweischneidig entwickelt. Die gesellschaftliche Akzeptanz, vor allem unter jungen Menschen, ist deutlich gestiegen – auch dank LGBTQ-Influencer:innen, denen viele nicht-queere Jugendliche folgen. Umfragen zeigen etwa auch, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Ehe für queere Personen unterstützt.

Gleichzeitig verschärft die Regierung laufend die Gesetze für queere Personen, was nicht mit dieser gesellschaftlichen Entwicklung zusammenpasst. Die Regierungsparteien repräsentieren nicht die Werte und Vorstellungen der Wähler: innen. Stattdessen versuchen sie die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen mit gezielter Propaganda zu formen.

Oft werden kurzerhand entworfene Gesetze, ohne fachliche Expertise oder Einbezug der Öffentlichkeit beschlossen. Solche Schnellgesetze bezeichnen wir in Ungarn als „saláta törvények“, was so viel wie „Salatgesetze“ heißt. Auf diese Weise wurde auch die Möglichkeit, Geschlecht und Namen rechtlich zu ändern, eingeschränkt. Das Parlament hat darüber hinaus noch weitere Maßnahmen beschlossen, die die Sichtbarkeit queerer Menschen in Schulen, Medien und im öffentlichen Raum einschränken.

MOMENT: Die Pride wurde 2025 gesetzlich verboten. Du hast beschlossen, die Pécs-Pride trotzdem zu veranstalten. Warum?

Buzás-Hábel: Weil ich dafür kämpfe, dass Ungarn ein europäisches Land bleibt und Ministerpräsident Victor Orbán uns nicht weiter in die Autokratie treibt. Versammlungsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht und wir dürfen nicht zulassen, dass politische Entscheidungen die Sichtbarkeit und Rechte unserer Community einschränken.

Die Vorbereitung der diesjährigen Pride war von großer Unsicherheit geprägt. Die Budapest-Pride wurde im Unterschied zur Pécs-Pride als städtische Versammlung organisiert, um das Versammlungsgesetz und somit das Verbot der Pride zu umgehen. Wir haben uns bewusst gegen dieses Schlupfloch entschieden, da wir nicht wollten, dass die Pécs-Pride von der Gemeinde abhängig ist. Die Zukunft einer Community sollte niemals vom politischen Willen der jeweils Regierenden abhängen.

MOMENT: Wie war die Pécs-Pride 2025?

Buzás-Hábel: Sie war einzigartig: befreiend und historisch zugleich. Trotz des Verbots schlossen sich uns mehr als fünftausend Menschen an. Von Beginn an war die unglaubliche Kraft spürbar, die von der Community und den Allies ausging. Unter den Teilnehmer:innen waren nicht nur viele junge Menschen, sondern auch viele Ältere, und es kamen zahlreiche Familien – ein starkes Signal in der heutigen politischen Lage.

Die Atmosphäre blieb durchgehend friedlich, voller Liebe, Solidarität und enormer Energie. Trotzdem bestand die Unsicherheit, dass die Polizei die Pécs-Pride aufgrund des Verbots auflösen könnte. Doch überraschenderweise war diese Pride, gerade weil sie nicht offiziell genehmigt war, noch freier: endlich waren wir nicht wie in früheren Jahren von Barrikaden umstellt. Die Polizeipräsenz war genau richtig, sie sorgten während der gesamten Zeit für professionelle und faire Begleitung. Deshalb wurde dies die freieste Pécs Pride aller Zeiten.

Natürlich gab es einige Gegendemonstrant:innen, aber sehr wenige. Und ganz ehrlich: ich habe kein Problem mit ihnen. Checks and Balances sind die Seele der Demokratie. Jeder hat das Recht, die eigenen Werte auszudrücken, solange es ohne Schaden für andere geschieht.

MOMENT: Wie unterschied sie sich die Pécs-Pride 2025 von den Jahren davor?

Buzás-Hábel: Diese Pécs-Pride war nicht nur ein Marsch wie sonst auch, sondern hatte eine größere Botschaft: queere Menschen existieren, selbst wenn die Regierung versucht, uns zum Schweigen zu bringen oder zu verbieten. Pécs war immer eine Stadt der Freiheit, der Vielfalt und des Zusammenlebens von Minderheiten und wenn wir nicht einmal hier für uns selbst einstehen, wo dann?

Sehr positiv und wirklich neu war, dass erstmals der Bürgermeister sowohl bei der Eröffnung des „Freedom of My Identity“-Menschenrechtsfestivals, das im Auftakt zur Pride und darüber hinaus stattfindet, als auch bei der Pride selbst eine Rede hielt. Das hatte es noch nie gegeben und setzte ein unglaublich starkes Zeichen.

MOMENT: Hast du damit gerechnet, dass du tatsächlich strafrechtlich verfolgt wirst?

Buzás-Hábel: Ja, das war eines der möglichen Szenarien. Ehrlich gesagt wäre ich eher überrascht gewesen, wenn es nicht dazu gekommen wäre. Dennoch macht es mich tief traurig, dass so etwas in einem EU-Mitgliedstaat wirklich passieren kann.

MOMENT: Wie hast du dich gefühlt, als du von der strafrechtlichen Verfolgung erfahren hast?

Buzás-Hábel: Es wurden bisher keine Anklagen erhoben. Die Polizei hat die Ermittlungen abgeschlossen und eine Anklageempfehlung an die Staatsanwaltschaft übermittelt, aber ich habe von der Staatsanwaltschaft noch keine Unterlagen erhalten.

Um ehrlich zu sein, betrifft mich dieses Verfahren emotional nicht sehr. Ich habe im vergangenen Jahr Schlimmeres erlebt. Zum Beispiel wurde ich kurz vor Weihnachten letzten Jahres aus all meinen staatlichen Jobs entlassen. Ich habe fast zehn Jahre an der Gandhi-Schule unterrichtet, und sie mussten mich aufgrund politischer Vorgaben kündigen. Das hat mich wirklich gebrochen, denn ich liebte meine Arbeit dort. Seitdem bin ich arbeitslos. Mit diesem Hintergrund wagt es niemand, mich einzustellen, also versuche ich, mit Gelegenheitsjobs über die Runden zu kommen.

In der Organisation, die ich leite, dem Diverse Youth Network, haben wir keinerlei Finanzierung. Wir leisten all unsere Arbeit freiwillig und aus Überzeugung, obwohl die Arbeitslast enorm ist.

MOMENT: Welche persönlichen Folgen hätte eine Verurteilung für dich?

Buzás-Hábel: Da ich keine Vorstrafen habe, hoffe ich, dass ich im schlimmsten Fall nur eine bedingte Strafe bekomme. Aber selbst das ist beängstigend. Was passiert, wenn ich nächstes Jahr wieder eine Pride organisiere? Komme ich dann ins Gefängnis?

Eine Verurteilung würde auch meinen bisher sauberen Strafregisterauszug ruinieren, sodass ich nicht mehr als Lehrer arbeiten könnte. Und auch andere Jobs im öffentlichen Sektor wären unerreichbar. Trotz allem hoffe ich auf einen positiven Ausgang.

MOMENT: Die strafrechtliche Verfolgung einer Pride-Organisation widerspricht dem EU-Recht. Was erwartest du von der EU – und was tut sie derzeit?

Buzás-Hábel: Ich weiß es nicht, denn von ihrer Seite ist es bisher sehr still.

MOMENT: Was erwartest du von anderen EU-Mitgliedstaaten, zum Beispiel Österreich?

Buzás-Hábel: Ich erwarte von den EU-Mitgliedstaaten, dass sie erkennen, dass es nicht nur um mich persönlich geht, sondern um eine ganze Community. Jede Person in Ungarn kann strafrechtlich verfolgt werden, nur weil sie für ihre Identität einsteht oder eine friedliche, demokratische Veranstaltung organisiert. Wenn andere Mitgliedstaaten schweigen, lassen sie nicht nur die ungarische LGBTQ-Community im Stich, sondern auch die Grundwerte der Europäischen Union.

Ich erwarte, dass die Mitgliedstaaten nicht nur hinter verschlossenen Türen Besorgnis äußern, sondern sich öffentlich und klar zu unserer Unterstützung äußern. Österreich ist dabei besonders wichtig: Es ist ein unmittelbarer Nachbar mit engen historischen und sozialen Verbindungen zu Ungarn. Eine starke, deutliche Botschaft, dass ein derartiger Rückschritt in der EU inakzeptabel ist, würde zum Schutz all jener beitragen, die derzeit in Ungarn in Angst leben und deren Stimmen an den Rand gedrängt werden.

MOMENT: Was erwartest du von deinen Mitbürger:innen in Ungarn nach diesen Repressionen? Bekommst du Unterstützung?

Buzás-Hábel: Ich erwarte, dass die Menschen aufwachen – und das hat bereits begonnen. Sowohl bei der Budapest-Pride als auch bei der Pécs-Pride haben Ungar:innen klar gezeigt, dass sie mit der Politik der Regierung nicht einverstanden sind. Ungarn braucht jetzt viele weitere friedliche, kraftvolle Akte öffentlicher Solidarität wie diese.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, Roma- und Pro-Roma-Gruppen sowie LGBTQ-Organisationen in Ungarn haben mir ihre Unterstützung ausgedrückt. Es tut wirklich gut, die Stärke der ungarischen Zivilgesellschaft zu spüren.

Außerdem bekomme ich rechtliche Unterstützung von Amnesty International, der Háttér Society und von der Hungarian Civil Liberties Union. Das Ungarische Helsinki-Komitee hat mir sogar einen Anwalt zur Seite gestellt.

MOMENT: Angesichts des Strafverfahrens und der möglichen Folgen: Würdest du die Pécs-Pride wieder genauso organisieren?

Buzás-Hábel: Ja, ich würde sie wieder organisieren! Und es wird auch ein sechstes „Freedom of My Identity“-Menschenrechtsfestival und eine sechste Pécs-Pride geben.

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