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Klimakrise

Greenwashing: Warum die Milchindustrie so gerne grüne Versprechen gibt

Die neuen Werbeplakate der NÖM AG.
Dass Milch über Jahrzehnte als gesund galt, lag vor allem an großen Werbekampagnen. Unter dem Slogan “Zeig schon beim Frühstück Haltung” behaupten derzeit die neuen Werbeplakate der NÖM, dass ihre Kuhmilch zum Tierwohl und Klimaschutz beitrage. Das ist schlaues Marketing - aber Greenwashing. In der Milchindustrie funktioniert das erstaunlich gut.

Die wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise sind bekannt: Wir müssen unser Wirtschaftssystem und unsere Energieversorgung verändern, unsere Lebensweise überdenken und eine Politik einfordern, die sich und uns für Nachhaltigkeit stark macht. Die NÖM AG hat da einen einfacheren Vorschlag: Wer das Klima schützen will, trinkt laut der neuen Werbekampagne einfach deren Kuhmilch. Am besten direkt zum Frühstück. 

Wie kann das sein? Produkte aus Rinderhaltung – und damit auch Kuhmilch – gehören zu den CO2-intensivsten Nahrungsmitteln. 

 

 

Mogelpackung “umweltfreundlich”

Folgt man dem „Kuh-R-Code“ auf dem NÖM-Werbeplakat, landet man auf einer digitalen Almwiese. Blauer Himmel, Milchkühe vor Bergkulisse und darunter die Mission des Betriebs mit Sitz in Baden: Verantwortung für die nächsten Generationen übernehmen. Beschrieben werden mutmaßliche Fortschritte, die aber bei genauerer Betrachtung eher “etwas weniger schädlich” als wirklich “gut” für das Klima sind. Die “klimaneutrale Molkerei” wirbt auf der Webseite, dass sie CO₂-Emissionen in ihren Betrieben seit Jahren nachhaltig verringert. NÖM arbeitet mit Wärmerückgewinnung und österreichischer Wasserkraft. Seit 2017 setzt die Molkerei laut eigenen Aussagen auf “umweltfreundliches” Erdgas. 

Aber was bedeutet “umweltfreundlich” überhaupt? Der Begriff ist nicht nur unklar, er kann auch von jedem Unternehmen einfach so verwendet werden. Konzerne nutzen dabei eine rechtliche Lücke aus, denn in den meisten Fällen ist gesetzlich nicht geregelt, was ein Produkt „nachhaltig“, „umweltfreundlich“ oder „grün“ macht. Nur wenige Begriffe sind geschützt. 

Klima: schädlich, freundlich, neutral 

„Wir sind die erste und bisher einzige klimaneutrale Molkerei in Österreich”, liest man auf der Webseite von NÖM. Klimaneutral ist ein Unternehmen aber nur dann, wenn seine Treibhausgas-Bilanz null beträgt. Entweder weil keine Emissionen mehr entstehen, oder weil diese über freiwillige Kompensation ausgeglichen werden. Kompensation bedeutet, dass ein Unternehmen zwar Emissionen hat, aber in anderen Projekten das CO₂ bindet. Etwa durch Baumpflanzungen. Für diesen Ausgleich gibt es allerdings weder ein zentrales Anerkennungsverfahren noch einen einheitlichen Standard. Viele Kompensationsprojekte beziehungsweise ihr tatsächlicher Nutzen sind umstritten.

Strom kommt bei der NÖM unter anderem aus Erdgas. Das kann nicht umweltfreundlich sein. Kompensiert werde das mit der Unterstützung von Umweltprojekten, heißt es auf Nachfrage. 2022 hatte die NÖM einen CO₂-Fußabdruck von über 18.000 Tonnen. “Um den zu verringern, prüfen wir intensiv erneuerbare Energieträger als Alternative zu Erdgas”, sagt Pressesprecherin Christina Keil.

Grün verkauft sich gut 

Ein grünes Image wird gleichzeitig immer wichtiger. Unsere Welt steckt inmitten mehrerer Nachhaltigkeitskrisen. Konsument:innen sollen ein gutes Gewissen haben, wenn sie besonders “naturnahen”, “schonenden” oder “klimafreundlichen” Käse essen oder eben Milch von Kühen trinken. Gegen bewussten Konsum spricht erstmal nichts. Das Problem: Für fast die Hälfte der 230 in der EU erhältlichen, privaten Umweltsiegel gibt es aber nur sehr schwache oder gar keine Überprüfungsverfahren, es fehlt an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Eine Studie der Europäischen Kommission zeigte, dass über 40 Prozent der untersuchten Onlinehändler falsche oder irreführende Informationen über das Thema Nachhaltigkeit verbreiten. Die Konsument:innen können da praktisch nicht durchblicken. Die Milchindustrie macht mit. 

Ein Beispiel: Die Landmilch des deutschen Discounters Aldi wurde bis 2022 als “klimaneutral” beworben. Aber statt die Emissionen der Milchherstellung zu verringern, kaufte Aldi zum CO₂-Ausgleich Zertifikate von Kompensationsprojekten. Im vergangenen Jahr behauptete auch die österreichische ARGE Heumilch in einem Werbespot, dass ihre Heumilch zum Klimaschutz beitrage. Denn: Die traditionelle Heuwirtschaft würde wertvolle Böden schützen, die sogar mehr CO₂ speichern als der Wald. Wer das Klima schützen will, müsse also nicht unbedingt einen Baum pflanzen – Heumilch trinken helfe auch. 

Der Verein für Konsumenteninformation klagte und enttarnte das Versprechen als falsch. Die ARGE verteidigte ihre Aussagen erst, zog den Werbespot dann schließlich doch zurück. In den meisten Fällen geht das grüne Marketing aber auf und die Unternehmen profitieren. Zum Leid der Tiere und unseres Lebensraums. 

Klimakiller Kuh?

Denn: Kuhmilch hat auch wenig mit Tierwohl zu tun. Zur Milchkuh wird ein Tier im Schnitt mit etwa 15 Monaten. Dann wird es das erste Mal besamt, damit es Milch erzeugt. In der Natur tut die Kuh das für ihr Kalb. In Molkereien produziert sie aber für uns Menschen. In Österreich gab es vergangenes Jahr über eine halbe Million Milchkühe, die dieses Schicksal teilten. 

3,8 Milliarden Liter Milch werden so hierzulande pro Jahr erzeugt. Seit knapp 30 Jahren produziert Österreich mehr Milch als es selbst verbraucht. Milch und Milchprodukte im Wert von 1,36 Milliarden Euro haben die heimischen Molkereien 2022 ins Ausland exportiert. 

Und das ist es, was bei der angeblichen “klimaneutralen Molkerei” in der Rechnung komplett fehlt: die gemolkenen Kühe. Neben Gewinn für die Molkereien produzieren die Milchkühe auch ordentlich Treibhausgase. Zum Beispiel Methan. Expert:innen halten es für möglich, die klimaschädlichen Folgen zu verringern – etwa mit artgerechter Ernährung oder der mit Massentierhaltung kaum zu vereinbaren Weidehaltung. Aber wie und ob die NÖM das Gas vom Furzen und Rülpsen der Kühe verhindert und einrechnet? Dazu findet sich auf der Webseite nichts. Auf Nachfrage geht man auch nicht direkt darauf ein. Stattdessen heißt es: “Hier gibt es bereits viele Ansätze, um künftig eine sinnvolle Reduzierung der CO₂-Emissionen zu erlangen.” Aktuell würden aber noch nicht genügend Primärdaten vorliegen, um einen Fußabdruck berechnen zu können. Es werde an einer Erhebung gearbeitet.

Was bekannt ist: Methan ist ein Treibhausgas und für das Klima zigfach schlimmer als CO₂. Es wird auch freigesetzt, wenn Gülle auf die Felder gekippt wird. Und wichtig ist auch, womit das Tier gefüttert wird. Landet etwa besonders schädliches Soja im Futtertrog, verschlechtert sich die Klimabilanz noch mehr. Österreich verzichtet zwar seit knapp zwanzig Jahren zu einem großen Teil auf Soja-Fütterung, auf jedes Glas Milch kommt hierzulande aber trotzdem noch eine ganze Menge Kohlendioxid. 

Umstieg auf Milchalternativen

Die NÖM kennt laut eigenen Angaben den CO₂-Fußabdruck ihrer Kühe also nicht. Die Wissenschaft hat aber Daten zur Milchwirtschaft. Sie sagen: Einen Liter Milch herzustellen, verursacht im Schnitt 2,4 Kilogramm CO₂ – so viel wie einen Liter Benzin zu verbrennen. Und dabei sind Transport, Verarbeitung und Lagerung noch nicht berücksichtigt. 

Alternative Erzeugnisse sind viel besser. Hafermilch – ebenfalls ein regional erzeugbares Produkt – verbraucht 60 Prozent weniger Energie und kommt mit 80 Prozent weniger Land aus. Auch Reis-, Mandel- und Sojamilch haben jeweils ihre eigenen Probleme, schlagen Kuhmilch beim CO₂-Ausstoß immer noch deutlich. Die Alternativen sind aber oft noch teurer – auch weil sie stärker besteuert werden.

Aber: Kuhmilch hat Tradition. Und Tradition lässt sich PR-technisch gut mit positiven Bildern verknüpfen. Scheinbar grüne Produkte lassen die Unternehmen nicht nur besser dastehen, sie machen auch den Konsument:innen ein besseres Gewissen. Stimmt das Versprechen aber nicht, dann kaufen sie “Scheinlösungen”, die verzögern, wirklich etwas für die Umwelt zu tun, sagt Johannes Naimer-Stach. Er ist Co-Gründer der Klimaschutzakademie. Greenwashing findet er, ein unfaires Spiel: “Unternehmen dürfen alles. Die Wissenschaft muss zig Beweise dafür bringen, was nachhaltig ist”. 

Kuhmilch Trinken hilft dem Klima nicht 

Als Teil des Green Deals will die EU künftig irreführende Klima-Claims zumindest stärker bekämpfen. Laut Klimaministerium soll in Zukunft unter anderem besser erkennbar sein, ob sich die Werbebotschaften auf das gesamte Produkt oder nur einen Teil davon beziehen. Versprechen wie „grün“, „klimaneutral“ oder „umweltfreundlich“ müssen wissenschaftlich belegt werden können. Und es muss einfach nachweisbar sein, dass das Produkt deutlich besser abschneidet als die gängige Praxis. 

Dazu soll eine externe Prüfstelle ins Leben gerufen werden. Zudem sollen Gütesiegel standardisiert und verstaatlicht werden. Derzeit gibt es allein in Österreich mehr als 200 Gütesiegel, die sich die Unternehmen teilweise selbst verpassen. Einzelne Sparten können hier durchaus “nachhaltig” sein, das Kerngeschäft ist es aber meist nicht. Und im Falle NÖM? Auch wenn die Niederösterreichische Molkerei AG möglicherweise eine etwas weniger klimaschädliche Kuhmilch produziert als andere Betriebe, werden Konsument:innen durch die grünen Worthülsen in die Irre geführt. Für Klimaschutz und Tierwohl braucht es demnach mehr, als sich die Vollmilch von NÖM schmecken zu lassen. 

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