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Ungleichheit
Demokratie

“Leider Türkisch”: Warum alle Sprachen in der Schule Platz haben sollten

Umgangssprache: Wer mit FreundInnen oder Familie eine "Gastarbeiter"-Sprache spricht, hat ein Problem. Foto: Omar Lopez für Unsplash
Die Umgangssprache ist in Österreich ein hochpolitisches Thema. Wenn Kinder in der Pause Türkisch oder Serbisch statt Deutsch sprechen, gilt das als Problem - Französisch wird allerdings gerne gehört, auch am Pausenhof. Diese Vorstellung ist rassistisch und veraltet, sagen ExpertInnen.

 „Ich war immer sehr verunsichert im Deutschunterricht“, sagt Meryem. Ihre durchschnittliche Note: ein Dreier. Meryem ist 19 Jahre alt und gerade dabei, ihre Matura zu machen. Dass sie es so weit geschafft hat, kann sie manchmal selbst nicht ganz glauben. Denn obwohl sie im Deutschunterricht im Durchschnitt eine befriedigende Note erreichte, gab ihr die Lehrerin zu verstehen, dass Deutsch ihre große Schwäche sei. Meryem glaubt, das liegt vor allem daran, dass ihre Erstsprache Türkisch ist.

Neben Deutsch werden in Österreich weitere 250 Sprachen gesprochen. BKS (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch), Türkisch, Englisch, Ungarisch, Polnisch und Albanisch gehören dabei zu den am häufigsten gesprochen Sprachen. In Wien liegt der Anteil an anderen Umgangssprachen als Deutsch mit 52,5 Prozent am höchsten. Der Österreich-Durchschnitt sind 26,5 Prozent. Auch wenn dieser Wert eigentlich nur Information darüber gibt, welche Sprachen jemand zusätzlich spricht, muss diese Zahl für Stimmungsmache gegen migrantische Familien herhalten. Ob in den Medien oder direkt in Schulen und Kindergärten – Mehrsprachigkeit wird als Defizit betitelt, wenn es um die „falschen” Sprachen geht.

Gute Sprachen, böse Sprachen

„Sprachen aus den typischen Gastarbeiter-Ländern werden in Österreich kaum als Ressource wahrgenommen und wertgeschätzt. Sie sind nicht gleichwertig mit Sprachen aus reicheren Industrienationen“, sagt Sprachwissenschaftlerin Zwetelina Ortega, Expertin für Mehrsprachigkeit. Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch sind in Österreich jene Sprachen, die hohes Ansehen genießen und als Unterrichtsfach in der Schule ihren Platz finden. Die Sprachen, die man den Herkunftsländern von GastarbeiterInnen oder Flüchtlingen zuordnet, sind hingegen negativ besetzt.

Das bekam Meryem auch schon sehr früh zu spüren. „In der Volksschule mussten wir mal erzählen, welche Sprachen wir können. Bei der Mitschülerin, die Französisch konnte, schwärmte die Lehrerin und fand das beeindruckend. Bei mir und anderen in der Klasse, die auch Türkisch, Serbisch, Bosnisch oder Arabisch konnten, wurde es nur zur Kenntnis genommen. Da war es nicht mehr als eine Neben-Info.“ Das fand sie ungerecht. „Ich kann schließlich auch zwei Sprachen. Aber wenn es Türkisch ist, ist es halt egal.“

Umgangssprache: „Wir sind hier in Österreich”

Oft wird die Mehrsprachigkeit in diesem Zusammenhang sogar als Nachteil angesehen. Das kennt Meryem nur zu gut: „In der Schule wurde ich immer wieder ermahnt, wenn ich mit meiner Freundin Türkisch sprach. Sogar teilweise in der Pause, von Lehrern, die mich nicht mal unterrichteten.“ Die Begründung: Wir sind hier in Österreich. Hier wird Deutsch gesprochen. „Bei Englisch würde das niemand sagen”, sagt Meryem.

„Ich verstehe nicht, was so schlimm daran sein soll, wenn sich Kinder in ihren Erstsprache unterhalten oder sich Sachen erklären”, sagt Sprachwissenschaftlerin Ortega, “Solange man für die ganze Klasse eine gemeinsame Arbeitssprache verwendet. Die Vorstellung von manchen Pädagogen, jedes einzelne Wort verstehen zu müssen, ist absurd. Auch die Angst, die Schüler könnten ja über sie reden, ist egozentrisch. In einer so globalen und diversen Gesellschaft, wie wir sie in Österreich haben, sind solche Vorstellungen komplett unrealistisch und entsprechen nicht dem Zeitgeist“.

Was das mit Menschen macht

„Leider Türkisch“ hört Ali Dönmez oft von Eltern bei der Frage, welche Sprache sie zu Hause denn sprechen. Er ist Logopäde und Initiator der Petition zur Abschaffung der Deutschförderklassen „Hier merkt man, wie sehr diese Menschen über Sprache Diskriminierung erfahren haben“, sagt Dönmez. Schiefe Blicke, blöde Kommentare, Beleidigungen bis hin zu Beschimpfungen führen dazu, dass die eigene Sprache auch als Nachteil empfunden wird, sagt er. „Es herrscht der Druck, die andere Sprache dem Deutschen unterzuordnen. Wer das nicht tut, entspricht nicht der Norm“, erklärt der Experte.

„Wenn ich mit meinen türkischen Freunden unterwegs bin und wir Türkisch reden, merke ich oft, dass ich automatisch auf Deutsch switche, sobald autochthone Menschen an uns vorbeigehen“, erzählt Meryem. „Es ist schon eine Art Reflex“. Die Schülerin möchte nicht auffallen.

Sprache ist Teil der Identität

„Wenn sie meine Sprache nicht wollen, heißt das eigentlich auch, dass sie mich nicht wollen. Meine Muttersprache ist schließlich ein Teil von mir“ sagt Meryem. Mit der Ausgrenzung und Abwertung der Sprache werden auch die Menschen diskriminiert, die sie sprechen. Die eigene Sprache ist Teil der Identität, erklärt Expertin Ortega.
Die Aberkennung dieser kann unterschiedliche Folgen haben: „Die eine Richtung ist, dass die Menschen mit der Sprache und ihrer Herkunft gar nichts mehr zu tun haben wollen. Die andere Richtung ist das Abwenden von Österreich und Deutsch, da sie hier nicht das Gefühl bekommen, dazuzugehören.“

Ali Dönmez berichtet etwa von Kindern, die sich schon im Kindergarten weigern, Deutsch zu sprechen, weil sie es mit Druck und Zwang verbinden.

Muttersprache ist ein veraltetes Konzept

Beide betonen, dass sich das Bewusstsein für Mehrsprachigkeit ändern muss. „Das Konzept einer Muttersprache ist sehr veraltet. Ich bevorzuge die Verwendung des Begriffs der Erstsprache. Damit ist die Sprache gemeint, die man als Erstes erwirbt. Grundsätzlich können aber gerade Kinder problemlos auch mehrere Sprachen gleichzeitig lernen“, erklärt Ortega.

Dönmez betont, dass es dafür wichtig ist, den Kindern nur die Sprachen weiterzugeben, die man auch selber gut spricht. „Es hat keinen Sinn, mit seinem Kind zu Hause Deutsch zu sprechen, wenn mein Deutsch nicht ausreichend gut ist.“ Spiel-Dates, Sportgruppen oder andere Freizeitaktivitäten sind laut Dönmez gute Möglichkeiten, um sogenannte „Sprachinseln“ zu schaffen und Kindern die Möglichkeit zu geben, ohne Zwang und Druck Deutsch zu lernen.

„Dass ich Türkisch kann, ist eine Stärke und keine Schwäche.“

„Wir müssen uns generell von der getrennten Betrachtung von Sprachen verabschieden. Ein mehrsprachiges Gehirn ist anders vernetzt als ein einsprachiges. Man kann einzelne Sprachen und deren Entwicklung nicht voneinander trennen“, betont Ortega. Auch erachten es beide für wichtig, das Ansehen bestimmter Sprachen im öffentlichen Raum und vor allem in der Schule zu steigern.

„Ich hätte mir gewünscht, dass ich auch Komplimente für meine Zweisprachigkeit bekomme, anstatt dafür ermahnt zu werden”, sagt Meryem, „Oder dass wir im Unterricht auch mal alle unsere verschiedenen Sprachen und Kulturen besprechen und thematisieren. Es wäre einfach schön, wenn alle Sprachen die gleiche Anerkennung bekommen. Dass ich Türkisch kann, ist eine Stärke und keine Schwäche.“

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