24-Stunden-Betreuerin: “Seit 6 Wochen bin ich fast nur allein mit meiner Pflegeperson”
Mirela ist 24-Stunden-Betreuerin in Österreich. In der Coronakrise wird sie gedrängt weiterzuarbeiten. Rund um die Uhr kümmert sie sich um eine pflegebedürftige Person, ist mit ihr die meiste Zeit völlig allein, und fühlt sich alleingelassen. "Ich bin das schwächste Glied in der Kette", sagt sie.
Mirela kommt aus Rumänien und arbeitet als 24-Stunden-Betreuerin in Österreich. Frauen wie sie erledigen in Österreich eine schlecht bezahlte Arbeit, die sonst kaum jemand machen möchte. Wegen des Coronavirus bricht die Pflege älterer Menschen gerade zusammen. Seit nunmehr 6 Wochen am Stück arbeitet Mirela und wird nicht abgelöst von einer Kollegin. Weil die Grenzen geschlossen sind, können sie nicht mehr hierherkommen.
Inzwischen werden sie sogar eingeflogen, doch der Bedarf steigt von Woche zu Woche. Es droht der Pflegenotstand. Auf Betreuerin Mirela wird viel Druck ausgeübt hier weiterzuarbeiten. Rund um die Uhr kümmert sie sich um eine pflegebedürftige Person, ist mit ihr die meiste Zeit völlig allein, und fühlt sich alleingelassen. „Ich bin das schwächste Glied in der Kette und alle schauen weg“, sagt sie.
Seit fünf Jahren komme ich regelmäßig von Rumänien aus nach Österreich und betreue hier pflegebedürftige Personen. Derzeit bin ich in einem Haushalt in Niederösterreich. Die Aufgaben, die ich hier habe, umfassen alles: Wir Betreuerinnen müssen teilweise wie Ärzte sein, wie Freunde, wie Psychologen, es ist sehr komplex. Ich arbeite 24 Stunden am Tag und stehe immer zur Verfügung. Mehrere Wochen bis zu einem Monat am Stück. Wir machen eine Arbeit, die kaum jemand machen möchte, und werden trotzdem sehr schlecht bezahlt.
Enormer Druck in Österreich zu bleiben und weiterzuarbeiten
Eigentlich hätte ich vor zwei Wochen von einer Kollegin abgelöst werden sollen. Aber die konnte wegen des Coronavirus nicht kommen. Also arbeite ich weiter im Haushalt. Ich fühle mich meiner Patientin verpflichtet. Aber ich hatte auch keine echte Wahl. Ich wurde nicht wirklich gefragt, ob ich weitermachen möchte. Die Agenturen, die uns zu den Pflegepersonen vermitteln, üben gerade enormen Druck aus, dass wir jetzt hier in Österreich bleiben und weiterzuarbeiten.
Im Normalfall weiß ich genau, dass ich nach vier Wochen Arbeit vier Wochen Pause habe. Zu wissen, dass ich ab einem bestimmten Tag frei habe und nach Hause fahren kann, erleichtert mir die Arbeit. Jetzt ist alles unsicher. Ich und viele meiner KollegInnen sind erschöpft: physisch und emotional.
Ich zahle 400 Euro Provision an eine Vermittlungsagentur – jedes Mal neu.
Die Vermittler haben einen hohen Anreiz, auch jetzt viele von uns Betreuerinnen nach Österreich zu bringen. Denn sie verdienen nur, wenn Pflegerinnen nach Österreich kommen. Ich selbst zahle 400 Euro Provision an eine Vermittlungsagentur. Und zwar jedes Mal, wenn ich für mehrere Woche wieder zur Arbeit nach Österreich komme. Dabei brauche ich eigentlich nicht mehr vermittelt zu werden, denn ich betreue immer dieselbe Person.
Die Agenturen arbeiten mit Angst und Verunsicherung. Sie drängen uns Betreuerinnen, ihnen Inkasso-Vollmachten zu geben. Damit haben sie die Kontrolle über die Konten von uns, über die Zahlungseingänge und die Provisionen, die sie abziehen von dem, was die Familien für die Betreuung zahlen.
Vermittler zahlen Abgaben nicht, Betreuerinnen zahlen die Strafe
So können sie Pflegerinnen praktisch dazu zwingen, auch jetzt hierzubleiben, indem sie sich weigern, den Lohn auszuzahlen. Vor allem Betreuerinnen, die neu anfangen und sich noch nicht auskennen, unterschreiben solche Vollmachten. Auch ich habe so etwas unterschrieben, als ich begonnen habe in Österreich zu arbeiten.
Die Vermittlungsagenturen versichern, dass sie die in Österreich fälligen Sozialabgaben und Steuern abführen. Oft passiert das aber nicht. Betreuerinnen bekommen dann nach Jahren Strafen, weil sie das nicht bezahlt haben. Obwohl es ihnen immer gesagt wurde, dass die Zahlungen geleistet würden.
Stundenlohn von unter 2 Euro. Und dieses Geld muss auch für den nächsten Monat reichen.
Abzüglich der Provision an die Vermittler und der Abgaben bleiben mir nach vier Wochen Arbeit am Stück 1.300 Euro. Das ist ein Stundenlohn von nicht einmal zwei Euro. Und dieses Geld muss auch für den nächsten Monat reichen. Denn wenn ich in der Pause bin und gerade nicht arbeite, verdiene ich auch nichts. Formal bin ich selbständig und ein Ein-Personen-Unternehmen.
Jedes Mal, bevor ich nach der Pause in Rumänien wieder nach Österreich fahre, unterschreibe ich einen neuen Vertrag. Dadurch ist meine Position sehr schwach. Die Agenturen erhalten Provisionen, wir sind von ihnen abhängig, dass sie uns vermitteln. Aber wenn ein Problem auftritt, dann sagen sie uns, wir seien ja selbständig und sollen das selber klären. Ich bin das schwächste Glied in der Kette und alle schauen weg.
Ich muss mich abschotten. Seit sechs Wochen bin ich fast nur im Haus.
Das Coronavirus hat unsere Lage verschärft. Selbst wenn ich nach Rumänien zurück kann, muss ich dort zunächst zwei Wochen in Quarantäne. Komme ich über diesen Korridor zurück nach Österreich sind es erneut zwei Wochen Quarantäne, bevor ich wieder arbeiten kann. Dazu kommen die vier Wochen Pause daheim. Das Geld muss jetzt also für drei Monate reichen. Wir sollten aber nicht weniger verdienen, sondern mehr.
Die Arbeit ist jetzt noch schwieriger für mich. Ich muss mich abschotten. Seit sechs Wochen bin ich fast nur im Haus. Die Familie der Pflegeperson kommt einmal pro Woche und wir gehen gemeinsam einkaufen. Ansonsten bin ich die ganze Woche allein mit ihr und bekomme keine Hilfe. Ich will sie auf keinen Fall anstecken, habe aber auch Angst, selbst zu erkranken. Ich bin 54 Jahre alt.
Was mit sehr wichtig ist zu betonen: Ich mache diese Arbeit von Herzen gern. Ich wünsche allen viel Gesundheit und hoffe, dass wir die Situation gut überstehen.
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