Qualität in der Pflege: 24-Stunden-Betreuer:innen kommen beim ÖQZ-24 unter die Räder
Aber auch für sich: Zahlreiche Beschäftigte von Vermittlungsagenturen, die selbst das ÖQZ-24 tragen, berichteten MOMENT.at von schweren Interessenkonflikten zwischen den Verantwortlichen des ÖQZ-24 und Wirtschaftskammer-Funktionär:innen, die selbst große Vermittlungsagenturen betreiben. In einem ersten Bericht deckten wir vor einer Woche auf, wie eng die Verflechtungen sind und zu welchen Problemen das führt. Im zweiten Teil soll es um die gehen, die beim ÖQZ-24 nur am Rande erwähnt werden: um die 24-Stunden-Betreuer:innen. Für sie hat das Qualitätszertifikat kaum etwas besser gemacht.
ÖQZ: Die 24-Stunden-Betreuer:innen kommen kaum vor
Ein Kaffeehaus irgendwo in Niederösterreich: Am Tisch sitzt ein:e Beschäftigte:r einer Vermittlungsagentur für 24-Stunden-Betreuung. Vor sich hat die Person einen aufgeklappten Laptop stehen, griffbereit daneben eine Tasche mit einem Packen Unterlagen. Die Person will mit MOMENT.at reden, aber nur anonym. Wir nennen sie deshalb Agenturbeschätigte:r F. Mitgebracht hat F. auch Dokumente zum Österreichischen Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen in der 24-Stunden-Betreuung, kurz ÖQZ-24.
Aus seiner Sicht läuft in der 24-Stunden-Betreuung ziemlich viel schief. “Das läuft grauslich ab. Unter mafiösen Bedingungen werden Betreuer:innen vermittelt”, sagt er. Vermittlungsagenturen würden mit sittenwidrigen Verträgen arbeiten. Ihre Rechnungen seien für Klient:innen kaum nachzuvollziehen. Betreuer:innen erhielten vom gezahlten Honorar nur einen geringen Anteil. “Das lässt man zu. Die Wirtschaftskammer schaut zu, die Regierung schaut zu.” Die Agentur von F. hingegen arbeite nicht so, versichert F. Sie sei seriös.
Dass F. das extra betonen muss, hat einen Grund: Vermittlungsagenturen für Personenbetreuer:innen haben einen miesen Ruf. Das Gewerbe ist frei, niemand muss speziell dafür ausgebildet sein. „Sie könnten morgen eine Agentur aufmachen“, sagt Anette Glössl, Geschäftsführerin von A’nette Pflege in der Steiermark, zu MOMENT.at. Laut aktuellen Zahlen der Wirtschaftskammer gibt es in Österreich 917 Vermittlungsagenturen für die 24-Stunden-Betreuung. Darunter sind einige schwarze Schafe. „Es gibt Agenturen, die an den Grenzen zur Illegalität arbeiten“, sagt Simona Durisova von der Interessengemeinschaft der 24h-Betreuer_innen IG24 zu MOMENT.at.
Kritik am ÖQZ-24 wird nur anonym geäußert
Um das zu ändern, gibt es das ÖQZ-24. Es soll Standards festlegen, an die sich Vermittlungsagenturen zu halten haben. Der zertifizierende Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen und Funktionär:innen der Wirtschaftskammer haben das blaue Label erfunden. Es sind Funktionär:innen, die selbst große Agenturen betreiben und deren Unternehmen teilweise den Verantwortlichen des Vereins wirtschaftlich nahestehen. “Ich möchte nicht sagen, das ist Freunderlwirtschaft. Aber da ist man schon sehr unter sich”, sagt ein:e Agenturbeschäftigte:r. Offen zitiert werden möchte die Person damit nicht.
Derzeit 37 Unternehmen tragen das ÖQZ-24. MOMENT.at kontaktierte sie und stellte fest: Einige von ihnen sind mächtig sauer. Wir sicherten zu, sie auf Wunsch anonym zu zitieren. Zahlreiche Beschäftigte berichteten daraufhin von Interessenskonflikten, fehlender Kontrolle und Qualitätsversprechen, die nicht immer eingehalten würden. In einem Bericht deckten wir auf, wie es deshalb in der Branche rumort. Und welche Angst vor Konsequenzen herrscht, wenn man offen Kritik äußert. MOMENT.at bezeichnet die Personen deshalb als Agenturbeschäftigte:r und kürzt ihre Namen mit Buchstaben ab.
Teil eins unserer Recherche über ein Qualitätssiegel, das scharf kritisiert wird, liest du hier
Doch nicht nur zahlreiche Vermittlungsagenturen sind unzufrieden mit dem ÖQZ-24. Denn eine Gruppe wird bei dem Qualitätszertifikat weitgehend außer Acht gelassen. Es sind die, die eigentliche Arbeit machen: die 24-Stunden-Betreuer:innen. Dabei “steht und fällt das System mit den Betreuer:innen”, sagt Agenturbeschäftigte:r F.
Laut aktuellen Zahlen sind exakt 59.488 selbständige Personenbetreuer:innen in Österreich aktiv. Sie kümmern sich um ältere Menschen, die ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können. Das geht von Lebensmittel kaufen und Wohnung aufräumen zu Körperpflege und Essensgabe bis hin zu Tätigkeiten, die eigentlich schon Pflege sind: Medikamente verabreichen, Verbände wechseln oder einen Dekubitus versorgen.
Die Betreuer:innen werden aus Rumänien angekarrt, das ist teilweise wie Sklavenhandel.
Agenturbeschäftigte:r P
“Die machen eine tolle Arbeit”, sagt Agenturbeschäftigte:r P. zu MOMENT.at. “Und sie werden aus Rumänien angekarrt, das ist teilweise wie Sklavenhandel.” Die 24-Stunden-Betreuer:innen kommen fast ausschließlich aus Osteuropa – 80 Prozent von ihnen allein aus Rumänien und der Slowakei. Nur 1,6 Prozent der Betreuer:innen sind aus Österreich. Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO aus dem Jahr 2017 arbeiteten 99,8 Prozent der Betreuer:innen als Selbständige, angestellt sind nur ein Bruchteil.
Warum? Weil es im derzeitigen System schlicht zu teuer sei, so das WIFO (Link zum pdf). Das Sozialministerium stellt zwar eine doppelt so hohe Förderung in Aussicht, wenn 24-Stunden-Betreuer:innen angestellt bei ihren Klient:innen arbeiten. Trotzdem geht es sich offenbar nicht aus.
Kostenvorteile zulasten der 24-Stunden-Betreuer:innen
Eine lückenlose Betreuung hilfebedürftiger Personen würde zehntausende Euro mehr im Jahr kosten, wenn 24-Stunden-Betreuer:innen angestellt arbeiten, rechnet das WIFO vor. Das spricht in der Studie allerdings von einem extremen Rechenbeispiel, das “in der Realität keine Bewandtnis haben wird”. Selbständige 24-Stunden-Betreuer:innen müssen mehr Arbeitsstunden leisten, haben keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub und erhalten kein oder nur geringes Entgelt, wenn sie krank werden. Kurz: Den vermeintlichen Kostenvorteil zahlen vor allem die 24-Stunden-Betreuer:innen.
Wirklich auf eigene Rechnung arbeiten aber nur die wenigsten von ihnen. Um zu hilfsbedürftigen Personen zu kommen, sind sie auf Vermittlungsagenturen angewiesen. „Manche Verträge zwischen Betreuer:innen und Vermittlungsagenturen verstoßen gegen die guten Sitten“, sagt Simona Durisova. Konkurrenzklauseln etwa, die es ihnen unter hohen Vertragsstrafen für Monate oder gar Jahre verbieten, für dieselben Klient:innen weiterzuarbeiten, wenn der Vertrag mit der Agentur beendet worden ist.
Konkurrenzklauseln sind nicht ungewöhnlich. In der 24-Stunden-Betreuung ist zu fragen, wer denn Konkurrent:in einer Vermittlungsagentur ist. So wie manche Klauseln formuliert sind, ist das nicht nur die Betreuerin, sondern auch die zu betreuende Person. Die hilfsbedürftige Oma soll “Konkurrentin” einer Vermittlungsagentur sein? Das klingt ziemlich schief, ist aber üblich. Jüngster Fall: Die Agentur Harmony & Care aus Klagenfurt verdonnerte in ihren Verträgen Klient:innen dazu, je 5.000 Euro zahlen zu müssen. Und zwar dann, wenn sie innerhalb von zwei Jahren nach Ende des Vermittlungsvertrags ein:e 24-Stunden-Betreuer:in beschäftigen, die ihnen von Harmony & Care zuvor vermittelt worden war. Harmony & Care trägt das ÖQZ-24.
Richtlinien des ÖQZ-24: oft ziemlich nebulös
Der Verein für Konsumenteninformation VKI deckte die unlautere Vertragsklausel auf, Harmony & Care unterschrieb eine Unterlassungserklärung. In den Richtlinien zur Durchführung der Zertifizierung nach dem ÖQZ-24 kommt das Wort Konkurrenzklausel nicht vor. Dort heißt es ziemlich nebulös, der Vertrag zwischen 24-Stunden-Betreuer:in und Vermittlungsagentur “verfügt über transparente Regelungen, beispielsweise angemessene Kündigungsmodalitäten und Organisationsbeiträge”. Das kann vieles, aber auch nichts bedeuten.
MOMENT.at fragte beim ÖQZ-24 nach, worin das Qualitätszertifikat tatsächlich über das hinausgeht, was nicht eh schon in den Gesetzen zur Heimbetreuung und in den Richtlinien des Sozialministeriums für die 24-Stunden-Betreuung festgeschrieben ist. Johannes Wallner gibt dazu im Gespräch unkonkrete Antworten: “Die Richtlinien sind die Qualitätssicherung. Sie sichern ab, dass nichts schiefgehen kann”, sagt er zu MOMENT.at. “Damit das auf Dauer funktioniert, brauche ich einen Management Approach. Den haben wir in dieses Modell gekleidet”, sagt Wallner.
Agenturbeschäftigte:r F. kritisiert, dass das ÖQZ-24 nur schwammige Vorgaben aufstellt. “Es gibt auch für die Betreuung und Pflege zuhause Methoden und Grundregeln, die angewendet werden”, sagt er zu MOMENT.at. “Darüber steht kein Wort drinnen. Jeder kann tun, was er will.” Sein Urteil über die Richtlinien des Qualitätszertifikats: “Die Idee ist grundsätzlich gut. Aber es werden Unmengen an Papieren produziert und es kommt nicht zum Kern der Sache.” Der Kern, das wäre eine Antwort auf die Frage: Wie sieht gute Personenbetreuung aus?
Die WKO kam mit der Lösung und das Ministerium hat sich nicht geweigert, das zu übernehmen.
Simona Durisova, IG24
Angeschubst wurde das Österreichische Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen in der 24-Stunden-Betreuung im Jahr 2018 unter der damaligen Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Es wurde eine Kommission gegründet, die einen Leitfaden erstellen sollte, nach welchen Kriterien Vermittlungsagenturen arbeiten müssten. Die Funktionär:innen der Wirtschaftskammer und große Firmen seien dabei lieber unter sich geblieben, berichten übereinstimmend zahlreiche Agenturbeschäftigte.
Das Sozialministerium segnete die Richtlinien ab. “Die Wirtschaftskammer kam mit der Lösung und das Ministerium hat sich nicht geweigert, das zu übernehmen”, sagt Simona Durisova von IG24. Außen vor blieben die 24-Stunden-Betreuer:innen. “Nur die Perspektiven der Agenturen fließen in das Qualitätszertifikat ein”, sagt sie. “Wenn die WKO neutral wäre, dann würde sie die Position der Betreuer:innen berücksichtigen müssen.”
WKO müsste auch Interessen der Betreuer:innen vertreten, eigentlich
Und neutral sein, das müsste die Wirtschaftskammer eigentlich. Denn die 24-Stunden-Betreuer:innen sind genauso Mitglieder der Wirtschaftskammer wie die Vermittlungsagenturen. Je nach Bundesland zahlt jede:r von ihnen jährlich 55 bis 120 Euro an Grundumlage. Von den Konten der 60.000 Personenbetreuer:innen fließen einige Millionen Euro in die Kassen der Wirtschaftskammer, die auch deren Interessen vertreten sollte.
Doch in den Richtlinien des ÖQZ-24 tue sie das nicht, so Durisova. Das Problem ist ein grundsätzliches: Die 24-Stunden-Betreuer:innen werden von der gleichen Fachgruppe und Funktionär:innen vertreten wie die Vermittlungsagenturen, mit denen sie Verträge abschließen. Gibt es Probleme, können sie ihre Rechte kaum geltend machen. Wenden sie sich an die Wirtschaftskammer heißt es: Mitglieder klagen Mitglieder, und das spielt es nicht. Die Arbeiterkammer ist nicht zuständig, denn die 24-Stunden-Betreuer:innen sind nicht angestellt. NGOs wie die IG24 haben schlicht nicht die Mittel, um rechtlich gegen unlautere Verträge vorzugehen.
Auch der VKI ist nicht vorrangig für die 24-Stunden-Betreuer:innen da, sondern schon dem Namen nach für Konsument:innen, also den betreuten Personen und deren Familien. “Irreführende Praktiken von Agenturen gegenüber Betreuerinnen können seitens des VKI nicht aufgegriffen werden beziehungsweise fallen nicht in dessen Aufgabenbereich”, heißt es dazu aus dem Sozialministerium zu MOMENT.at. Und das Sozialministerium fügt hinzu: “Dieser Sachverhalt fällt in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft.”
Keine Wahl, wohin es geht und horrende Gebühren
Doch im Argen liegt einiges: Den 24-Stunden-Betreuer:innen sei es faktisch kaum oder nur sehr schwer möglich, abzulehnen, wenn ihre Agentur sie irgendwohin vermittelt. Dazu stellten sie Betreuer:innen teilweise die Kosten für den Transport aus ihren Heimatländern nach Österreich in Rechnung. Diese seien oft horrend. Betreuer:innen würden verpflichtet, bei bestimmten Fahrdiensten einzusteigen, die Verträge mit einer Agentur haben.
Immer wieder kommt es zu Problemen, auch bei großen Unternehmen, die das ÖQZ-24 tragen. Durisova von der IG24 sagt: “Wir hatten viele Beratungsfälle von Betreuer:innen, die für große Unternehmen arbeiten. Da gab es zum Beispiel keine Aufklärung über die Berufshaftpflichtversicherung.” So eine brauchen Personenbetreuer:innen, falls es etwa im Haushalt der betreuten Person zu Schäden kommt. Haben sie keine, kann es für sie unangenehm werden.
Die 24-Betreuer:innen sind grundsätzlich selbst dafür zuständig, sich bei der Sozialversicherung anzumelden und Abgaben zu leisten. Manche Agenturen versprechen, das zu übernehmen. Sie erhalten dafür eine Vollmacht von der Betreuer:in und verrechnen dafür auch eine Servicegebühr. Aber manche Vermittlungsagenturen kümmern sich nicht darum. Und das auch im großen Stil: In Graz startete in der vergangenen Woche ein Prozess gegen eine Vermittlungsagentur, die 243 Personenbetreuer:innen illegal beschäftigt hatte.
Eine Schwarzgeldliste namens „Sebastian Kurz“
Einen Gewerbeschein hatten die 24-Stunden-Betreuer:innen nicht, sie waren nicht bei der Sozialversicherung angemeldet. Vermittlungsgebühren kassierte das Unternehmen trotzdem. Einer der Geschäftsführer ist teilgeständig. Er habe ein eigenes Schwarzgeldkonto betrieben, sagte er am ersten Prozesstag. Listen, auf denen das Geld verbucht wurde, hießen “Sebastian Kurz” und “ÖVP”. Ein Witz, wie der Angeklagte sagte.
Über sein System gab er zu Protokoll: “Das machen die meisten Pflegeagenturen so.” Der Fall sorgt für Aufsehen in der Branche: “Wir wundern uns wirklich sehr, dass so etwas überhaupt noch möglich sein kann”, sagt der Geschäftsführer einer anderen steirischen Vermittlungsagentur zu MOMENT.at.
Welche Agentur jetzt in Graz vor Gericht steht, ist bisher nicht öffentlich bekannt. MOMENT.at fragte beim Landesgericht nach und wurde auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet. (Ergänzung am 7.2.: Der Name der Agentur ist der Redaktion bekannt. Auf den Fall angesprochen, brach der Geschäftsführer des Grazer Unternehmens das Gespräch ab.) Es gibt keine Hinweise, dass es sich um eine Vermittlungsagentur handelt, die das ÖQZ-24 trägt. “Ich gehe davon aus, dass die Anmeldung bei der Sozialversicherung bei den zertifizierten Agenturen eingehalten wird”, sagt Agenturbeschäftigte:r S. zu MOMENT.at.
Agenturen verpflichten sich etwa beim ÖQZ-24, spätestens zum Start des Betreuungsverhältnisses eine diplomierte Pflegekraft zu den Klient:innen zu schicken. Gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich, dass bis zum 5. eine diplomierte Fachkraft vor Ort gewesen sein muss. Und: Einmal im Quartal müssen zertifizierte Agenturen erneut eine diplomierte Pflegekraft vorbeikommen lassen.
Doch machen das auch alle so? Agenturbeschäftigte:r A. berichtet von zumindest einer großen Vermittlungsagentur, die das ÖQZ-24 trägt, bei der das nicht so ablaufe: „Da kommt einfach irgendwer, der sich die betreuungsbedürftigen Personen anschaut, auch bei hohen Pflegestufen. Das funktioniert so nicht.“ Die Agentur, die von einem Wirtschaftskammer-Funktionär geführt wird, reagierte nicht auf eine diesbezügliche MOMENT.at-Anfrage.
Inkassovollmacht abschaffen? Ein WKO-Funktionär legte sich quer
Verbreitet ist, dass 24-Stunden-Betreuer:innen ihr Honorar nicht direkt von den Familien erhalten, für die sie arbeiten. Sondern das Geld muss erst an die Agentur gezahlt werden. Das ist die sogenannte Inkassovollmacht. Die Agentur gibt das Geld dann weiter an die Betreuer:in – natürlich abzüglich des Anteils, den sie für ihre Dienste verlangt. Bis zu 18 Prozent des Honorars würden manche einbehalten, sagt Agenturbeschäftigte:r R. Andere nennen noch höhere Sätze. Die Rechnungen seien für Klient:innen nicht transparent.
„Familien zahlen oft 3.000 Euro im Monat, von denen die 24-Stunden-Betreuer:in nur 1.000 Euro herausbekommt“, rechnet Agenturbeschäftigte:r A. vor. „Und dann wundern sich die Familien, warum sie unzufrieden ist. Sie wissen gar nicht, wie wenig sie bekommt“, sagt sie. “Das ist ein No-Go, denn das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor”, sagt F. Wenn die Vermittlungsagentur das Geld für die 24-Stunden-Betreuer:innen von den Familien erhält und dann die Provision davon abzieht, “ja glauben Sie, dass irgendjemand nachkontrolliert, ob das auch alles stimmt”, sagt er.
Es ist eine Form der Wertschätzung, der Betreuer:in das Honorar direkt zu geben.
Agenturbeschäftigte:r F.
Für ihn ist die einzige Kontrolle, “wenn die Betreuerin das Geld auf ihr Konto kriegt”, und wenn sie keins hat, dann eben als Barzahlung, mit Abrechnung und allem. Für F. sei es auch eine psychologische Sache und eine Form der Wertschätzung, “dass ich der Betreuerin das Honorar gebe und sage: Danke für den guten Turnus, komm gut heim”. Wird über Inkasso bezahlt, müssten 24-Stunden-Betreuer:innen bis zu mehreren Wochen warten, bis die Vermittlungsagentur ihnen ihr Honorar ausbezahlt. Das sei Praxis, auch bei großen Agenturen, die das ÖQZ-24 tragen, sagt F. Ein möglicher Grund dafür: In den Richtlinien gibt es keine Bestimmung darüber.
Auch dem VKI ist das Inkassoverfahren ein Dorn im Auge. Die Personenbetreuer:innen sollten ihr Honorar direkt von ihren Klient:innen erhalten. Und übereinstimmend berichten zahlreiche Vermittlungsagenturen und Expert:innen: Viele in der Branche wollen die Inkasso-Vollmacht abschaffen. Aber: Ein Wirtschaftskammerfunktionär und Betreiber einer großen Vermittlungsagentur habe sich quergestellt. Also gibt es das noch immer – auch beim ÖQZ-24. Darauf von MOMENT.at angesprochen, reagierte dieser nicht.
Regeln seien gut, aber nur solche mit Konsequenzen
Eine Vorgabe des ÖQZ-24: Fällt eine Betreuungsperson aus, sollen die Agenturen garantieren können, dass innerhalb von drei Tagen eine Ersatzkraft einspringt. “In dem Punkt finde ich es gut”, sagt Agenturbeschäftigte:r F. “Das ist tatsächlich eine qualitative Verbesserung.” Aber wenn es solche Regeln gibt, dann brauche es auch Konsequenzen. Er vergleicht es mit dem Autofahren: “Ich kann nicht sagen, es ist verboten, alkoholisiert zu fahren – aber dann wird es nicht kontrolliert.”
Ganz genau scheint der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen nicht zu schauen, ob die von ihnen zertifizierten Agenturen auch einhalten, was sie in den vielen Papieren versprechen. Kontrollen gibt es nicht mehr, nachdem das Label einmal ausgestellt wurde. Nach 18 Monaten soll es eine Zwischenüberprüfung geben. Die besteht aus einer „Selbstevaluierung“ der Agentur selbst, die vom Verein auf „Plausibilität“ geprüft wird.
Das geht aus Arbeitsunterlagen des ÖQZ-24 hervor, die MOMENT.at vorliegen. Wenn beim Zertifizierer eine Beschwerde über eine Agentur eintrudelt, entscheidet der Verein freihändig, „ob die Beanstandung weiter verfolgt wird“, heißt es in den Unterlagen. Im schlimmsten Fall würde der Vermittlungsagentur das Qualitätszertifikat aberkannt.
Bisher sei so etwas noch nicht vorgekommen, sagt ÖQZ-24-Geschäftsführer Wallner. In der Liste der 43 bisher zertifizierten Vermittlungsagenturen fehlen inzwischen dennoch einige. „Ausgeschieden sind jene Agenturen, die entweder ihre Tätigkeit eingestellt haben oder an ein anderes Unternehmen verkauft haben“, sagt Wallner dazu. Mindestens eine zertifizierte Agentur, die noch heute existiert, trägt das ÖQZ-24 nicht mehr. Allerdings sei ihr das Label nicht aberkannt worden. Sondern sie habe es es freiwillig zurückgelegt, sagt die Agentur auf Anfrage von MOMENT.at.
Ladenhüter ÖQZ-24? Nur 3 Agenturen ließen sich neu zertifizieren
Einen großen Run darauf, unbedingt das ÖQZ-24 haben zu wollen, scheint es in der Branche nicht mehr zu geben. Im Startjahr 2019 wurden 16 Vermittlungsagenturen zertifiziert, im Jahr darauf 15 weitere. 2021 erhielten sechs Unternehmen das Zertifikat ausgestellt. Im vergangenen Jahr stießen nur noch drei Unternehmen zum Kreis der ÖQZ-24-Agenturen hinzu. „Die Betriebe merken ja auch, dass das nicht qualitätsvoll ist“, sagt Agenturbeschäftigte:r F. Er berichtet davon, dass der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen von sich aus Agenturen kontaktiere, ob sie das ÖQZ-24 haben wollten.
Johannes Wallner vom ÖQZ-24 sagt offen: „Ja, momentan steht das.“ Grund dafür sei aber nicht etwa fehlende Qualität. Die Zertifizierung dauere Monate, hunderte Arbeitsstunden müssten die Agenturen aufwenden, um das ÖQZ-24 zu erhalten. „Derzeit ist es eine freiwillige Leistung und freiwillige Kosten, die sich eine Agentur damit aufreißt“, sagt Wallner. „Deshalb ist es wichtig, dass es zu einer finanziellen Unterstützung vonseiten der Regierung kommt.“ Diese lasse auf sich warten.
Seit 2008 ist die Basisförderung in der 24-Stunden-Betreuung von 550 Euro monatlich nie erhöht worden. Den Betrag erhalten hilfsbedürftige Personen ab Pflegestufe 3 und ihre Familien, wenn sie zwei Betreuungskräfte in Anspruch nehmen müssen.
Sie endlich zu erhöhen, das fordern quer durch die Branche alle: von Vermittlungsagenturen über die Klient:innen und deren Angehörige bis zu den 24-Stunden-Betreuer:innen. Seit Jänner dieses Jahres gibt es einen höheren Satz: 640 Euro Basisförderung. Das sind ganze 90 Euro mehr oder eine Erhöhung um 17 Prozent. “Das deckt nicht einmal die Inflation seit 2008 ab“, sagt ÖQZ-24-Geschäftsführer Wallner.
Real ist der Wert der Förderung massiv gesunken. Mit den 550 Euro von vor 13 Jahren, kann man sich heute nur noch Waren im Wert von 350 Euro leisten. Das konnte die Erhöhung jetzt bei weitem nicht ausgleichen. Einen Skandal nennen das auch Agenturbeschäftigte, die nicht gut auf das Qualitätszertifikat zu sprechen sind. Das ÖQZ-24 und die Wirtschaftskammer haben dafür ein neues Fördermodell entwickelt.
Mehr Förderung, vor allem für Agenturen mit ÖQZ-24
Und das soll vor allem die Agenturen belohnen, die das ÖQZ-24 tragen. Beauftragen Familien Vermittlungsagenturen, die ihren 24-Stunden-Betreuer:innen dazu noch höhere Tagessätze zahlen, soll ebenso mehr Geld vom Staat fließen. Das klingt ziemlich gut. Warum das neue Fördermodell dennoch von manchen Agenturbeschäftigten als „eine Zwangsmaßnahme“ gesehen wird und wer von ihm profitiert, liest du im dritten Teil unserer Recherche.
Diese ergab auch: Im Sozialministerium ist die Begeisterung für das Modell des ÖQZ-24 offensichtlich enden wollend. Aber: “Das wurde den Vermittlungsagenturen von Anfang an in Aussicht gestellt, und findet sich ja auch prominent im Regierungsprogramm”, sagt Wallner. Das stimmt, aber nicht so ganz. In ihrem Programm erwähnt die Regierung von ÖVP und Grünen das ÖQZ-24, auch wenn sie es dort falsch schreibt. Auf Seite 175 heißt ein Ziel: “Weiterentwicklung des bestehenden Qualitätszertifikats ÖQ24 (sic!) unter Berücksichtigung der Bedingungen von Betroffenen sowie Betreuerinnen und Betreuern.”
Von mehr Geld ist nicht die Rede und der Satz im Regierungsprogramm lässt sich auch so lesen: Bisher wurde die Situation der Betroffenen und der 24-Stunden-Betreuer:innen offenbar nicht ausreichend berücksichtigt beim ÖQZ-24 – sondern vor allem die Interessen der Vermittlungsagenturen.