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Gesundheit
Ungleichheit

Abtreibung im Ausland: Wieso ungewollt Schwangere reisen müssen

In Österreich sind Schwangerschaftsabbrüche in den ersten Monaten erlaubt. Trotzdem brauchen manche ungewollt Schwangeren eine Abtreibung im Ausland. Ein Forschungsprojekt befasst sich mit Abtreibungsreisen in Europa und zeigt Probleme auf.

Maria ist 28 Jahre alt, als sie von ihrem Arzt erfährt, dass sie schwanger ist. Zwei Kinder hat sie schon, der Sohn ist erst neun Monate alt. Ein drittes Kind, das können sie und ihr Mann sich unmöglich leisten. Maria entscheidet sich für einen Schwangerschaftsabbruch. „Der Arzt hat mir gesagt, ich muss dafür nach Wien und der Eingriff kostet 7.500 Schilling“, sagt sie. 7.500 Schilling, das sind ungefähr 550 Euro. Viel zu teuer für die junge Familie, die aus Rumänien gekommen ist, und mit den schlecht bezahlten Jobs in Oberösterreich nur knapp über die Runden kommen.

Von einer Freundin bekommt Maria den Tipp, den Abbruch in Rumänien machen zu lassen. Sie bekommt die Adresse einer Klinik von ihr. Der Eingriff ist schmerzhaft, Maria bekommt keine Narkose. „Ich sollte mich hinlegen, Hose runter, geht schon. Nicht einmal ein Handtuch hat mir der Metzger darunter gelegt.“

Abtreibung im Ausland: Maria wäre fast gestorben

Metzger – so nennt Maria den Arzt, der den Abbruch durchgeführt hat, heute. Der Eingriff ist 23 Jahre her. Aber der Schmerz ist immer noch real. „Es war die Hölle. Kurz danach hatte ich eine Entzündung. Ich wurde offenbar nicht ordentlich gereinigt. Zum Glück wurde ich dann in einem österreichischen Krankenhaus notoperiert. Wenn ich noch ein paar Tage in Rumänien geblieben wäre, dann wäre ich heute nicht mehr hier. Ich wäre an der Entzündung fast gestorben.“

Marias Abtreibung im Ausland ist lange her. Das Problem der hohen Kosten besteht weiterhin. Sogar ein Abbruch mit Medikamenten kostet in Wien bis zu 600 Euro. In der Hauptstadt gibt es mehrere Kliniken, die sie durchführen, in anderen Bundesländern ist die Versorgung schlecht.

Wie viele ungewollt Schwangere jedes Jahr aus Österreich in ein anderes Land reisen, wird nicht erhoben. Das Phänomen der Abtreibungsreisen innerhalb relativ liberaler Länder in Europa wird aber erforscht. Obwohl zum Beispiel in Italien, Deutschland und Belgien Abtreibungen in den ersten Monaten erlaubt sind, reisen ungewollt Schwangere immer wieder nach Spanien, in die Niederlande oder das Vereinigte Königreich.

 
Eine Karte, die zeigt, in welche Länder ungewollt Schwangere für eine Abtreibung im Ausland reisen.

Forscher:innen unter der Leitung von Silvia De Zordo haben ungewollt Schwangere befragt, die in andere Länder reisten, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. 204 Menschen (7 davon aus Österreich) haben bei der Befragung mitgemacht, etwa 30 erzählten in Interviews ausführlich ihre Geschichte. Die Ergebnisse sind wegen der kleinen Stichprobengröße nicht repräsentativ, geben aber einen Einblick in die Motivationen der Reisenden.

Der mit Abstand wichtigste Grund für eine Reise zwischen Ländern mit liberalen Gesetzen waren Fristen. Gesetze in Deutschland und Frankreich erlauben ein Abbruch ohne Angabe von Gründen innerhalb von 12 Wochen, berechnet ab Beginn der Schwangerschaft. In den Niederlanden erlaubt das Gesetz Abbrüche bis zur Lebensfähigkeit des Fötus. Kliniken machen Abtreibungen bis zu 22. Woche. Im Vereinigten Königreich ist ein Abbruch innerhalb 24 Wochen erlaubt.

In Österreich ist eine Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate einer Schwangerschaft erlaubt. Nach dieser Frist muss ein wichtiger medizinischer Grund für einen Abbruch vorliegen. Ob dieser vorliegt, entscheiden nicht die Schwangeren selbst, sondern Ärzt:innen.

Kurze Fristen, kein Termin, lange Reise

„Diese Fristen basieren nicht auf wissenschaftlichen Ergebnissen. Sie sind das Ergebnis schwieriger politischer Verhandlungen in den jeweiligen Ländern“, sagt De Zordo. Die italienische Forscherin arbeitet an der Universität Barcelona und leitet das Europa Abortion Access Project. „Kurze Fristen können ein Problem für schwangere Menschen sein, denn sie machen den Zugang zu Abbrüchen schwieriger oder sogar unmöglich.“

Wieso überschreiten ungewollt Schwangere überhaupt die Frist von meist drei Monaten? Die meisten Befragten wussten schlicht nichts von der Schwangerschaft. Zum Beispiel wegen unregelmäßiger Regelblutungen. Manche berichteten von Blutungen im ersten Monat, die sie für ihre Periode hielten. Andere waren zu beschäftigt damit, sich um Kinder oder kranke Angehörige zu kümmern, um etwas zu bemerken.

Rund ein Drittel der Befragten wusste innerhalb der erlaubten Frist von der Schwangerschaft und wollte einen Abbruch, konnten aber rechtzeitig keinen Termin bekommen. Andere bekamen falsche Informationen von Ärzt:innen zur Dauer der Schwangerschaft, sodass sie die Frist überschritten.

Im Durchschnitt dauerte es fast vier Wochen von der ersten Planung der Reise bis zum Eingriff im Ausland, sodass der Abbruch in der 18. Woche durchgeführt wurde. „Die schwangeren Personen mussten das Geld auftreiben, sich in der Arbeit freinehmen, manchmal Kinderbetreuung organisieren. Das alles kann kompliziert sein und lange dauern“, sagt De Zordo.

Schwangerschaftsabbruch auf eigene Faust

Weil die Organisation schwierig ist, die Reise Zeit und Geld kostet, versuchen manche, die Schwangerschaft auf eigene Faust abzubrechen, etwa indem sie ihren Unterleib schlugen. In De Zordos Studie waren es sechs Prozent der Befragten (diese Daten sind noch nicht veröffentlicht), die aus Ländern kamen, in denen Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sind.

Für Länder mit sehr strengen Abtreibungsgesetzen ist Österreich auch ein Zielland. Hier organisiert und finanziert das Kollektiv Ciocia Wienia (= Tante Wienia) seit 2020 Schwangerschaftsabbrüche, vor allem für Pol:innen. Ciocia Wienia ist ein informeller Zusammenschluss, es gibt keine fixen Strukturen, keine offiziellen Sprecher:innen. Die Aktivist:innen wollen anonym bleiben. Durchschnittlich unterstützen sie jede Woche zwei Menschen.

„Polnische Ärzt:innen lügen Patient:innen an“

Wien hat als Zielstadt einen entscheidenden Vorteil: Anreise und Eingriff sind am selben Tag möglich. Das Gesetz schreibt keine Pflichtberatungen oder Wartezeiten vor. Allerdings kann es wegen der relativ kurzen Frist von drei Monaten zu Problemen kommen. „Polnische Ärzt:innen lügen ihre Patient:innen immer wieder an, wenn es um die Dauer der Schwangerschaft geht, damit sie die Frist für einen Abbruch im Ausland verpassen“, sagen die Aktivist:innen von Ciocia Wienia.

 
Zu sehen sind Kreidemalereien auf dem Boden wie: "Wir helfen dir!" oder "Say yes to abortion"

Das Kollektiv Ciocia Wienia demonstrierte im Oktober vor der polnischen Botschaft. Dort haben mutmaßliche Abtreibungsgegner:innen den Asphalt mit Anti-Choice-Sprüchen bemalt. Das Kollektiv hat diese übermalt.

Foto: Ciocia Wienia

Meldet sich eine ungewollt schwangere Person beim Kollektiv, nimmt es die gesamte Organisation in die Hand. Wenn die Schwangerschaft noch nicht weit fortgeschritten ist, empfehlen die Aktivist:innen eine medikamentöse Abtreibung zu Hause. Es gibt Organisationen, die die nötigen Tabletten in Länder schicken, in denen Abbrüche verboten sind. Das kostet etwa 75 Euro und damit deutlich weniger als eine medikamentöse Abtreibung in Österreich.

„Diese Möglichkeit ist auch deshalb so wichtig, weil manche einen gewalttätigen Partner haben, der nichts mitbekommen darf. Dann ist eine Reise unmöglich. Umgekehrt hatten wir einmal den Fall einer wohnungslosen Person. Weil sie keinen Zugang zu einer privaten Toilette hatte, war ein operativer Abbruch die bessere Option.“

In diesem Fall machen die Aktivist:innen einen Termin in der Klinik aus, organisieren Bus oder Zug, holen vom Bahnhof ab, buchen ein Hotel oder bieten einen Schlafplatz bei sich zu Hause an. In der Klinik übersetzen sie.

„Ein Mensch kann viel ertragen“

Die Aktivist:innen unterstützen auch bei anonymen Geburten oder Sterilisation. Beides ist in Polen nicht möglich. Sie setzen sich auch politisch für einen freien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch ein, organisieren Demonstrationen und geben Interviews.

Um ungewollt Schwangeren mit wenig Geld den Abbruch zu ermöglichen, sammelt Ciocia Wienia Spenden. Auch die Wiener Initiative Changes for Women organisiert und bezahlt Abbrüche für Menschen mit wenig Geld.

Für Maria wären beide Gruppen eine große Hilfe gewesen. Sie ist heute 52 Jahre alt. Die schwierigen Zeiten sind vorbei, sagt sie. „Heute würde ich mir eine Behandlung wie in Rumänien nicht mehr gefallen lassen. Ich war damals verzweifelt und verunsichert. Jetzt kann ich für mich einstehen.“ Im Nachhinein hätte sie sich gewünscht, das Geld für einen Abbruch in Österreich auftreiben zu können. Oder noch besser: „Ich finde, der Staat sollte die Verhütung zahlen, wenn es sich die Menschen nicht leisten können. Aber ich will mich nicht beschweren. Mir geht es gut. Ein Mensch kann viel ertragen.“

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