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Ungleichheit
Gesundheit

Abtreibung in Tirol: Nur ein Arzt traut sich, für 170.000 Frauen da zu sein

In Tirol gibt es nur einen einzigen Arzt, an den sich ungewollt Schwangere für eine Abtreibung wenden können. Er führt etwa 500 Abbrüche im Jahr durch. Trotzdem sehen die Entscheidungsträger keinen Handlungsbedarf.

In Tirol leben etwa 170.000 Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter. Bei einer ungewollten Schwangerschaft steht ihnen im Bundesland ein einziger Gynäkologe für eine Abtreibung zur Verfügung. Der Gesundheitslandesrat, die Tirol Kliniken und die Ärztekammer sehen keinen Handlungsbedarf.

Nora (Name geändert) ist eine 23-jährige Studentin, als ihr Schwangerschaftstest im Herbst 2016 ein Plus-Zeichen auf dem Display zeigt. Sie lernt gerade für ihre Bachelorprüfung und pflegt ein lockeres Verhältnis mit dem Mann, der heute ihr Freund ist. Das Ergebnis schockiert sie: Immerhin verhütet Nora mit der Kupferspirale. “Bei der Wahrscheinlichkeit hätten wir damals direkt Lotto spielen sollen”, erzählt sie heute lachend.

Für das angehende Paar war die Entscheidung für einen Abbruch schnell klar. “Wir hatten Partnerschaft und Karriere noch vor uns, da kam ein Kind einfach nicht infrage.” Weil beide aus konservativen Familien stammen, hat das Paar die 800 Euro für den Eingriff selbst bezahlt. Bis heute verheimlichen Nora und ihr Freund den Vorfall vor ihren Eltern. Reue empfinden sie allerdings nie: “Es war eine unglaubliche Erleichterung. Die Zeit hat uns näher gebracht.”

Tirols einziger Arzt für Schwangerschaftsabbrüche: In 19 Jahren nicht einmal krank

Zwar sind Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten straffrei, in manchen Gebieten ist die Versorgung allerdings denkbar schlecht. Noras chirurgischen Abbruch in der neunten Schwangerschaftswoche übernahm Hans-Joachim Wolf in Innsbruck. Er ist der einzige Arzt in Tirol, der ganz offen “Konfliktschwangerschaften” abbricht. Wolf führt laut eigenen Angaben bis zu 500 Abbrüche im Jahr durch. Die Praxis des 58-jährigen Kärntners strahlt mit Holzmöbeln und einem großen Aquarium beruhigende Wärme aus. “Eine ungewollte Schwangerschaft ist eine große emotionale Belastung für Frauen und leider immer noch mit viel Scham behaftet. Ich will, dass sich Patientinnen bei uns wohlfühlen.”

Seit 2004 bietet Wolf Abtreibungen an. Zunächst gegen den Willen seiner Frau, einer Hebamme, die sich um die Karriere ihres Mannes im katholisch geprägten Tirol sorgte. Den Schritt bereut er heute nicht: “Sicher gibt es Menschen, die mich deshalb nicht mögen, aber öffentlich geächtet wurde ich bisher von niemandem.” Dennoch bleibt Wolf vorsichtig: “Ich möchte eigentlich keine Medienpräsenz. Da könnte ich mir die Anfeindungen einhandeln, die ich jahrelang vermieden hab.”

Zugang zu Abtreibung hängt an einem einzigen Arzt

Angesichts der 500 Abbrüche im Jahr gibt sich der Wahl-Innsbrucker stressresistent – sie würden nur ein Drittel seiner Arbeit als Frauenarzt ausmachen. Trotzdem weiß er, dass die Versorgung in Tirol schlecht ist: “Ich habe in den 19 Jahren in meiner Praxis keinen einzigen Tag gefehlt, Urlaub nehme ich mir immer nur für eine Woche. Ich werde aber älter und krankheitsanfälliger. Wenn ich ausfallen sollte, stehen ungewollt Schwangere in Tirol vor verschlossenen Türen.” Denkt man an die nach wie vor grassierende COVID-19-Pandemie, gewinnt Wolfs Aussage zusätzlich an Gewicht.

Soziallandesrätin Fischer: “Kein Nachfolger in Sicht”

Die Suche nach einem zweiten Wahlarzt oder einem Ambulatorium für Schwangerschaftsabbrüche blieb im Land Tirol bisher erfolglos. Laut Soziallandesrätin Gabriele Fischer (Grüne), die sich 2018 auf die Suche machte, will niemand aus der Fachschaft den Job übernehmen. “Ich wäre da gern einen großen Schritt weiter als heute, aber das Thema polarisiert ungemein”, erzählt sie. Neben der Angst vor einem Karriererückschlag vermutet Wolf bei seinen KollegInnen auch moralische Bedenken.

Im Juli wurde das Medikament Mifegyne zum Abbruch für alle niedergelassenen ÄrztInnen in Österreich freigegeben. In der Theorie sollte damit der Zugang zu medikamentösen Abbrüchen leichter werden. In Tirol hat sich allerdings kaum etwas verändert. “Mifegyne muss erst einmal aus Wien beantragt werden und die Anwendung erfordert vom Arzt ständige Abrufbarkeit. Die Kollegen schicken die Betroffenen dann lieber zu mir, weil ich mich auskenne und genug Zeit habe.”

Die Verantwortlichen spielen heiße Kartoffel oder negieren das Problem

Aufseiten der Gesundheitspolitik der Regierung streitet man ab, dass die Situation für Frauen in Tirol ungünstig ist. Das Büro des Gesundheitslandesrats Bernhard Tilg (ÖVP) verweist zur Landessanitätsdirektion, die sich gegen den freiwilligen Abbruch an öffentlichen Kliniken ausspricht. Man wolle ÄrztInnen und PflegerInnen nicht “zum Eingriff verpflichten”. Dabei steht im Gesetz ganz klar, dass MedizinerInnen nicht gezwungen werden dürfen, Abtreibungen durchzuführen.

Auch die Tiroler Ärztekammer sagt, dass die Versorgung durch Einzelkämpfer Wolf ausreicht, da es dort keine langen Wartezeiten gäbe. Univ.-Prof. Dr. Christian Marth, Direktor der Gynäkologie an den Tirol Kliniken (TILAK) in Innsbruck, gibt an, dass die primäre Aufgabe der Kliniken die Krankenbehandlung ist. Man wolle in erster Linie “Spitzenmedizin” leisten. In den Bundesländern Kärnten, Oberösterreich, Niederösterreich, Wien und in der Steiermark sind Schwangerschaftsabbrüche aber sehr wohl an öffentlichen Spitälern möglich.

Dass in Tirol nur ein einziger Arzt Abbrüche durchführt, hat für die ungewollt Schwangeren auch finanzielle Auswirkungen. Den Preis für den Eingriff müssen sie akzeptieren. Andere, vielleicht günstigere Stellen, gibt es nicht. Tatsächlich ist der Abbruch in Tirol kostspieliger als etwa in Wien.

Abtreibung: Im Westen immer noch Tabu

Katrin Marth vom Verein DOWAS für Frauen in Innsbruck geht davon aus, dass die Stimmung im konservativen Westen Österreichs nach wie vor für unsichtbare Mauern sorgt. DOWAS für Frauen ist Teil des Aktionskomitees Schwangerschaftsabbrüche Tirol, das seit 2013 für den leichteren und kostenfreien Zugang zum Abbruch und zu Langzeitverhütungsmitteln kämpft. 2015 habe man gemeinsam mit der damaligen Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne) zumindest einen Härtefallfonds eingerichtet, der Frauen in finanzieller Notlage Langzeitverhütungsmittel oder einen Abbruch ermöglicht. Man versuche beim Komitee zumindest mit der Förderung von Aufklärungsarbeit und Frauenberatungsstellen ein Seil über die Mauern zu werfen.

Nora ist heute froh, dass sie auf Hans-Joachim Wolf zählen konnte. Die 27-Jährige lebt mittlerweile in Wien und setzt sich für den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ein. Nora betont vor allem die Alltäglichkeit von Abtreibungen: “Es kann einfach jeder Frau passieren. Ich bin das beste Beispiel, weil ich trotz einer sicheren Verhütungsmethode schwanger wurde.” Ein Alltagsproblem also, das seit sieben Jahren den Arbeitsalltag der Frauenvereine in Tirol bestimmt. Es bleiben ihnen weitere sieben Jahre, um von den Verantwortlichen gehört zu werden. Dann geht Wolf in Pension.

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