print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Gesundheit
Ungleichheit

Abtreibung mit Mifegyne in Tirol: „Wir machen das nicht“

Seit Juli 2020 dürfen erstmals auch niedergelassene Gynäkolog:innen in Österreich die sogenannte “Abtreibungspille” Mifegyne ausgeben. Aber wird diese Möglichkeit auch genutzt? Wir haben bei 50 Tiroler Arztpraxen nachgefragt.

In Tirol ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen besonders schlecht. Nur ein einziger Arzt führt im ganzen Bundesland Abtreibungen durch. MOMENT berichtete. Um die Versorgung gerade in ländlichen Regionen zu verbessern, wurde im Juli 2020 die “Abtreibungspille” Mifegyne auch für niedergelassene GynäkologInnen zugelassen. Davor konnte das Medikament nur in Krankenhäusern und spezialisierten Ambulatorien eingesetzt werden.

Die Grünen sprachen von einem Meilenstein für Frauenrechte. Aber hat sich die Situation etwa in Tirol tatsächlich verbessert? Um das herauszufinden habe ich bei 50 zufällig ausgewählten Arztpraxen gefragt. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Mifegyne: Kein einziges Ja

“Setzen Sie Mifegyne bei ungewollten Schwangerschaften ein?” Bei 50 Anfragen gibt es kein einziges Ja, 24 Mal ein deutliches Nein, eine Person denkt noch drüber nach. Die restlichen ÄrztInnen geben auch nach mehrmaligen Anfragen per Mail oder Telefon keine Antwort oder verweigern in fünf Fällen sogar ausdrücklich die Auskunft. Ein Gynäkologe gibt mir die Namen zweier Kollegen weiter, die Mifegyne verschreiben sollen. Doch auch als ich in diesen Praxen nachhake, bekomme ich keine Antwort.

Einige der Befragten reagieren am Telefon zurückhaltend oder gar verärgert auf die Anfrage. Man ist misstrauisch. Manche begründen ihr Nein: Ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch sei „Sache eines Spezialisten“, es mangle an Wissen. Andere wollen “keine Beihilfe zum Abbruch” leisten und lehnen die Ausgabe aus moralischen Gründen ab.

Fehlendes Wissen zu Abtreibung

Das fehlende Wissen ist ein großer Kritikpunkt unter den MedizinerInnen. Ein Arzt aus einer ländlichen Region erklärt, dass GynäkologInnen in der Fachausbildung kaum für den Einsatz des Medikaments geschult werden. Eine weitere bestätigt: „Dieses Mittel ist kein Aspirin. Wir machen das nicht. Das muss jemand übernehmen, der Ahnung davon hat.“
Der Innsbrucker Gynäkologe Hans-Joachim Wolf ist der mit Ahnung. Der einzige Arzt in Tirol, der offen Schwangerschaftsabbrüche anbietet, hat mit solchen Antworten schon gerechnet. “Eine Behandlung mit Mifegyne erfordert konsequente Aufsicht und Abrufbarkeit. Meine Kollegen schicken die Patientinnen lieber zu mir“, sagt er.
Eine weitere Befragte gibt an: “Ich finde es nicht sinnvoll, wenn man den Patientinnen in dieser Zeit keine 24-Stunden-Erreichbarkeit anbietet und sie bei Schmerzen oder Unsicherheit einfach ins Krankenhaus verweist.“ Sollte etwas schiefgehen (die Erfolgsquote liegt bei 95 Prozent), müsse stattdessen operiert werden. Das könnten die meisten Tiroler FrauenärztInnen ebenfalls nicht.

Angst vor Ächtung, Sorge um die Moral

Auch Angst vor sozialer Ächtung spielt zumindest bei einem Arzt eine Rolle: “Ich befürchte, dass Abtreibungen zu Repressionen gegenüber mir oder meiner Familie führen könnten und die Frauen die Praxis wechseln“, schreibt er per Mail. Die meisten erklären jedoch, dass die Behandlung einen zu hohen Aufwand verursache. “Immerhin muss die Patientin wiederholt nachuntersucht werden, es kann zu starken Blutungen kommen“, heißt es.

Das betont auch ein Innsbrucker Arzt, der kurzerhand in seine Praxis einlädt, um ein Hintergrundgespräch zu führen. Er ist davon überzeugt, dass die Freigabe im Juli 2020 einen echten Fortschritt für betroffene Frauen darstelle – er selbst habe sich aber ebenfalls dagegen entschieden, seine Patientinnen damit zu behandeln. “Ich bin nicht Gynäkologe geworden, um Abbrüche vorzunehmen“, erklärt er.

Den Gynäkologen verärgert außerdem, dass mit der Zulassung vom Juli den niedergelassenen ÄrztInnen die Verantwortung zugeschoben werde. “Warum eigentlich“, so fragt er, “wird das Medikament nicht an allen öffentlichen Krankenhäusern ausgegeben?” An den Tiroler Kliniken will man von dieser Frage allerdings nichts wissen. Man möchte niemanden zur Ausgabe zwingen und beruft sich darauf, lediglich für die Krankenbehandlung zuständig zu sein.

Zugang bleibt in Tirol schwierig und teuer

Der Innsbrucker Arzt weist auch darauf hin, dass eine Ausgabe an öffentlichen Kliniken die Kosten regulieren könnte. Der Preis ist ein weiteres Problem der Abtreibungen in Tirol. Der einzige Arzt, der sie durchführt, sei in der Vergangenheit dafür kritisiert worden, dass das bei ihm nicht billig ist. Nun würden jene einstigen KritikerInnen, die das Medikament selbst einsetzen, aber ähnliche Preise verlangen. “Das ist für mich eine Doppelmoral: Jene, die in den vergangenen Jahren immer die Monopolstellung und Preisgestaltung von Dr. Wolf kritisierten, machen jetzt selbst ein Geschäft damit“, sagt er.

Ein Meilenstein sieht anders aus

Die Liste der Tiroler Ärztekammer führt insgesamt 115 niedergelassene GynäkologInnen, fast die Hälfte habe ich angerufen. Und keine einzige von ihnen gab mir gegenüber an, medikamentöse Abbrüche zu begleiten.

Es herrscht ein lautes Schweigen. Das Bild von der heißen Kartoffel Schwangerschaftsabbruch setzt sich auch nach der Zulassung von Mifegyne fort. Zwischen Unwissenheit, zu hohem Aufwand und moralischen Bedenken stehen die Chancen für einen besseren Zugang zu Abbrüchen für ungewollt Schwangere schlecht. Ein Meilenstein ist die Zulassung von Mifegyne für niedergelassen ÄrztInnen in Tirol jedenfalls noch lange nicht.

Die Recherche ist zuerst in der Tiroler Straßenzeitung 20er erschienen.

 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!