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Ungleichheit

Ausmieten in Wien: Wie der Besitzer eines Schrotthauses Bewohner:innen los wird

Herausgeschlagener Putz am Gang eines Schrotthauses in Wien. Der Besitzer will es "ausmieten" und sanieren. Das hat Methode in der Immobilienspekulation.
Herausgeschlagener Putz am Gang eines Schrotthauses in Wien. Der Besitzer will es "ausmieten" und sanieren. Das hat Methode in der Immobilienspekulation.
Claudia lebt in einem bald abbruchreifen Haus in Wien. Der Besitzer lässt es absichtlich verkommen. Er will die Mieter:innen loswerden und das Schrotthaus danach luxuriös sanieren. Ausmieten nennt man das im Gewerbe der Immobilienspekulation. Jetzt wurde bei Claudia eingebrochen. An einen Zufall kann sie nur schwer glauben. Wenn unten die ständig geöffnete Tür klappt, hat sie Angst.

Claudia lehnt am Türstock ihrer Wohnung. Was fehlt ist: die Tür. Am Morgen brachen Unbekannte in die Wohnung ein, zerstörten Schloss und Türschnalle. Jetzt müssen sie und ihr Lebensgefährte Paul erst einmal Ersatz besorgen. Auf eigene Faust. Denn von ihrer Hausverwaltung und dem Besitzer der Wohnung können sie keine Hilfe erwarten. “Die haben kein Interesse, hier irgendeinen Finger zu rühren”, sagt Claudia zu MOMENT.at. Wer durch das Treppenhaus des Gebäudes im 5. Wiener Gemeindebezirk geht, sieht das auf den ersten Blick. Es ist ein wahres Schrotthaus. Und davon gibt es in Wien viele. Nicht immer erkennt man gleich, was hinter einer intakten Fassade steckt.

Neben Claudias Wohnung ist die Wand offen. Die nackten Rohre schauen hervor. Am Boden klafft ein großes Loch, eine fiese Stolperfalle. Einige Fenster sind herausgebrochen, überall liegt Schmutz und Schutt. Über die Decken und die Wände ziehen sich Wasserflecken und blüht der Schimmel. Die Wohnung gegenüber von Claudias steht leer und offen. Vor mehr als einem Jahr zogen die Mieter:innen dort aus – oder besser: Sie wurden rausgeworfen vom Besitzer. “Da standen eines Tages mehrere Leute vor der Tür und haben die Wohnung ausgeräumt”, sagt Claudia. Sie und ihr Lebensgefährte halfen den Bewohner:innen, zumindest ihre persönlichen Gegenstände zu verwahren.

Ausmieten heißt das bei der Immobilienspekulation

“Der Besitzer zeigt null Menschlichkeit”, sagt Claudia. Seit sieben Jahren wohnen sie in dem Haus. Vor drei Jahren sei es losgegangen mit dem, was man beim blühenden Geschäft der Immobilienspekulation “ausmieten” nennt. Ein Investor kauft ein Haus. Das Ziel: Es “entwickeln”. Der Dachboden wird ausgebaut. Die Wohnungen werden luxuriös saniert und dann als teure Eigentumswohnungen verkauft. Die Bewohner:innen, die noch da sind, stören da eher.

Wohnung für Wohnung verließen andere Mieter:innen das immer mehr verkommene Gebäude. Einige wurden abgefunden: Hohe fünfstellige Euro-Beträge seien gezahlt worden, um sie rauszubekommen. Auch Claudia und Paul bekamen Geld angeboten, wenn sie ausziehen. “Aber wir haben nie ein schriftliches Angebot erhalten. Das wurde immer nur mündlich versprochen”, sagt Paul. Darauf vertrauen, dass das Geld dann auch fließt, könne er nicht. Schon gar nicht bei der Vorgeschichte.

Nach dem Einbruch rief Paul beim Vermieter an. “Der hat lachend gesagt, er werde nichts bezahlen, um den Schaden zu beheben”, berichtet er. Da sei er wütend geworden. “Ich habe überreagiert und ein paar Sachen gesagt, die ich vielleicht nicht hätte sagen sollen.” Wiederholen will er sie lieber nicht. Das Paar hat zwei Kinder. Von dem Einbruch werden sie ihnen nichts erzählen, um sie nicht zu beunruhigen. Es passierte, als Claudia die Kinder in die Schule brachte. Gerade einmal 15 Minuten war sie weg. Gestohlen wurde nichts, nur die kaputte Tür stand offen. Claudia und Paul finden das seltsam.

Der neue Besitzer kümmert sich nicht um das Schrotthaus

Den Einbrecher:innen wurde es leicht gemacht. Die Haustür unten ist nie verschlossen. Wer will, kann hereinkommen. Und viele tun das auch. Immer wieder finden sie Spritzen in den Waschbecken auf den Gängen. Der Dachboden ist offen. Auch hier: Spritzbesteck und eine Klappliege, die häufig benutzt wird. Claudia fühlt sich nicht sicher in ihrem eigenen Haus. Nach dem Einbruch erst recht nicht. “Wenn die Tür unten aufgeht, haben wir Sorge, dass jemand zu uns kommt”, sagt sie. Das geht auf die Psyche. Sie sei jetzt total schreckhaft. Geht sie auf die Straße und hört Schritte hinter sich, wird sie nervös. “Das kenne ich gar nicht von mir”, sagt sie.

Der neue Besitzer kümmert sich nicht mehr um das Haus. Gehen Fenster kaputt, werden sie nicht ersetzt. Stattdessen hauten Bauarbeiter den Putz im Treppenhaus von den Wänden. Damit hätten sie prüfen wollen, wie gut – oder besser: schlecht – es um die Substanz der Wände dahinter steht, schildert Claudia. Am Dachboden gibt es eine offene Stelle, notdürftig zugedeckt mit einer Plane. Regnet es, fließt Wasser ins Haus. Und das tropft bei Claudia dann von der Decke. Im Flur ihrer Wohnung breitet sich ein riesiger Wasserfleck an der Decke aus.

Wenn es regnet, sammeln sich Pfützen am Boden. Vor einigen Wochen, als es in Wien besonders ergiebig schüttete, riefen sie die Feuerwehr. Die sei schockiert gewesen und ihre Abhilfe sah so aus: Die Feuerwehrleute bearbeiteten die Decke so, dass das Wasser gesammelt zumindest nur an einer Stelle aus der Decke rinnt. Dann können Claudia und Paul dort einen Eimer drunterstellen und der Boden bleibt halbwegs trocken. Es ist wie ein Pflaster auf eine Fleischwunde zu kleben. Immer wieder beschwert sich Claudia beim Besitzer und der zuständigen Hausverwaltung.

Deren Namen sind der Redaktion bekannt. Um die Bewohner:innen des Hauses zu schützen, nennt MOMENT.at sie nicht, genauso wie den genauen Ort des Hauses. Claudia und Paul heißen auch nicht wirklich so.

Der Vermieter bietet kleinere Wohnungen, 3 Mal so teuer

Immer wieder schrieben sie Mails an Verwaltung und Besitzer. Sie dokumentierten die Schäden und baten darum, sie zu beheben. Die Antwort: Entweder keine oder sie wurden vertröstet auf einen späteren Zeitpunkt. Ihnen Ersatzwohnungen? Die hätten viel kleiner sein sollen, aber dafür bis zu dreimal so teuer. “Ich habe den Besitzer gefragt, ob er freiwillig mit zwei Kindern in eine kleinere Wohnung ziehen wollen würde, für die er aber viel mehr Miete zahlen müsste”, sagt Paul. Man könne es sich ja auch dort gemütlich und schön machen, habe der nur geantwortet. Paul fühlte sich verschaukelt.

Doch es passierte noch mehr: Die leerstehenden Wohnungen wurden kurzfristig vermietet. Für ein paar Wochen oder Monate, manchmal für ein Jahr. Es war ein Kommen und Gehen im Haus. “Das waren ganz komische Leute”, sagt Claudia. Wie so etwas funktioniert und wie eine mutmaßlich kriminelle Bande leerstehende Wohnungen in einem Haus am Gaudenzdorfer Gürtel untervermietete, hat MOMENT.at jüngst berichtet. Dort wurden den Kurzzeit-Mieter:innen horrende Mieten und Provisionen für kleine Bruchbuden abgeknöpft. Der Clou der Methode: Fangen die Besitzer:innen des Hauses irgendwann tatsächlich an zu bauen, ist es problemlos möglich, die Mieter:innen loszuwerden.

Bei Claudia und Paul sieht das anders aus. Sie haben einen alten unbefristeten Mietvertrag – noch. Besitzer und Hausverwaltung würden immer wieder versuchen, sie einzuschüchtern. Claudia stellte Anzeige bei der Baupolizei. Mitarbeiter:innen der MA 37 kamen vorbei und dokumentierten die Schäden. Dann setzte es eine Strafe für den Besitzer: 2.000 Euro. Danach hätte die Hausverwaltung bei ihnen angerufen, sagt Claudia. Der Ton war unfreundlich. “Sie beschwerten sich, warum wir das gemeldet haben und dass sie deswegen jetzt eine Strafe kassieren”, schildert Claudia. “Die haben uns den Schwarzen Peter zugeschoben, obwohl wir es sind, die unter den Zuständen leiden.” Gebessert habe sich danach auch nichts.

Kein Warmwasser: Da schaltet sich sogar das Jugendamt ein

Im Gegenteil: Kurz vor dem Winter habe es im vergangenen Jahr zwei Wochen lang kein heißes Wasser gegeben. Der Rauchfangkehrer sei gekommen und habe den Kamin gesperrt. “Weil da irgendwas nicht in Ordnung war und der nicht benutzt werden durfte”, sagt Claudia. Dann hätten sie Stress gemacht bei Hausverwaltung und Besitzer: Jemand sollte vorbeikommen und das in Ordnung bringen. Sogar das Jugendamt schaltete sich ein. Kleine Kinder, die in einer kalten Wohnung leben müssen. Das schadet der Gesundheit. Da lenkten Besitzer und Hausverwaltung dann doch ein. Ansonsten würden Claudia und Paul ignoriert, wenn sie sich beschweren.

Ihm platzt da beinahe der Kragen. “Die leben gut, die denken sich: Wir sind die Besseren, die Reicheren”, sagt er. Sie selbst seien nur die Armen. “Wir sollen schauen, wie wir zurechtkommen. Das ist eine Frechheit”, sagt er. Danach zügelt er sich. Schließlich will die Familie dem Vermieter keine Gründe liefern, dass er sie rauswerfen kann. Denn darauf könnten Hausverwaltung und Besitzer es möglicherweise anlegen.

Claudia und Paul haben sich an die Mietervereinigung gewandt. Eine Anwältin vertritt sie im Kampf darum, im Haus wohnen bleiben zu können – zumindest so lange, bis sie eine geeignete Ersatzwohnung finden. Sie soll in der Nähe liegen, damit die Kinder nicht aus ihrem Umfeld mit Schule und Freund:innen in Wien-Margareten gerissen werden. Sie soll groß genug für sie sein und nicht völlig überteuert. Wer den momentanen Mietmarkt in Wien kennt, weiß: Das könnte schwierig werden.

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