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Klimakrise
Kapitalismus

Bäume pflanzen gegen CO2: Der Ablasshandel für Klimasünden?

Bäume pflanzen gegen CO2: Der Ablasshandel für Klimasünden?
Foto: Maxx Gong/Unsplash
Mittlerweile können auch Ölkonzerne die Klimakrise nicht mehr leugnen. Realen Veränderungen stellen sie sich noch immer in den Weg, aber ganz ohne Klimaschutzmaßnahmen kommen sie nicht aus. Eine beliebte Strategie ist es, Bäume zu pflanzen, um CO₂-Emissionen auszugleichen. Ist das sinnvoll oder nur Greenwashing?

Nur 1 Cent pro Liter Treibstoff und schon ist das ausgestoßene CO₂ des ganzen Tanks kompensiert. Klimaschutz kann so einfach sein – zumindest in den Versprechen des Ölkonzerns Shell. Diesen Cent zahlt man beim Tanken, er fließt in hauseigene Klimaschutzprojekte. Shell sagt, es schützt damit Wälder und pflanzt Bäume in Amerika, Afrika, Asien und im Marchfeld.

Programme wie diese gibt es viele. Ein kleiner Aufpreis soll Flüge ausgleichen, eine Kreditkarte pflanzt bei jedem Einkauf Bäume, eine Lotterie, bei jeder Teilnahme, ein Hotel bei jeder Zimmerbuchung, ein Newsletter bei jedem Abo. Ja, selbst eine Sushi-Rolle pflanzt jetzt Bäume. Man könnte meinen, die ganze Erde verwaldet. Und damit du keinen Baum verpasst, den du pflanzen könntest, gibt es ein Browser-Plugin, das dich hinweist, wenn du auf einer Webseite einen pflanzen könntest.

Wenn es so viele Möglichkeiten gibt, mit Bäumen CO₂ aus der Welt zu schaffen, wieso sind wir dann immer noch so nah an einem unumkehrbaren Klima-Kollaps? Antwort: weil einfach Bäume zu pflanzen, um das Klima zu retten, zu schön ist, um wahr zu sein.

#1: Ein junger Baum speichert kaum CO₂

Damit ein Baum eine relevante Menge an CO₂ aufnehmen kann, muss er mindestens 10 Jahre wachsen. Besser noch 20 oder 30. So lange sind die Projekte jedoch selten ausgelegt. Und besonders in Ländern des globalen Südens sind Bäume und Wälder gesetzlich oft schlecht geschützt. Das macht es möglich, eine bepflanzte Fläche nach Belieben einfach umzuwidmen und zu zerstören. Alles CO₂, das bis dahin gespeichert war, geht wieder zurück in die Atmosphäre.

#2: Eine Plantage ersetzt keinen Wald

Baum ist nicht gleich Baum. Um tatsächlich CO₂ binden zu können, braucht es ein regeneratives Ökosystem – also zum Beispiel einen natürlichen Wald. Dieser speichert 40 Mal mehr Kohlenstoff als Monokulturen. Genau die werden aber oft bei Kompensations-Projekten gepflanzt.

Monokulturen bieten keine Artenvielfalt und vielen Tieren und Pflanzen keinen Lebensraum. Noch weniger, wenn Pestizide eingesetzt werden. Denn Monokulturen sind gegen vieles wehrlos. Erosionen, Flutungen und Krankheiten halten sie nicht stand. Waldbränden schon gar nicht. Wälder, in denen Microsoft und BP CO₂ speichern wollten, gingen schon 2021 in Flammen auf und mit ihnen das CO₂ in die Atmosphäre. Im schlimmsten Fall erzeugt ein solches Projekt mehr CO₂ als es gebunden hat. Viele Programme nehmen das Brandrisiko in ihre Berechnungen auf, doch unterschätzen es gewaltig.

#3: Nur Bäume pflanzen ist zu wenig

Gewaltig ist auch die Diskrepanz zwischen gepflanzten Bäumen und der Anzahl der Bäume, die ein paar Jahre später noch am Leben sind. Wenig überraschend helfen nur lebendige Bäume dem Klima. Von einer Million Mangroven, die 2012 auf den Philippinen gesetzt wurden, hatten 2020 nur 2 Prozent überlebt. Bei einem Großprojekt 2019 in der Türkei wurden 11 Millionen Bäume gepflanzt. Schon ein Jahr später waren 90 Prozent tot.

In den meisten Projekten zählt, wie viele Bäume gepflanzt werden. Nicht, wie viele überleben. Langfristige Pläne zur Erhaltung fehlen oft. Was bleibt, sind Phantomwälder, die überall auf der Welt verstreut sind. Das sind Flächen, wo laut Plänen Bäume gepflanzt wurden, die CO₂ speichern sollten, aber die einfach nicht da sind. Es gibt den Wald vor lauter Bäumen nicht.

#4: Wälder zu retten kompensiert keine Emissionen

Es gibt auch Ausgleichs-Initiativen, bei denen gar keine neuen Bäume gepflanzt werden. Hier wird dafür gezahlt, dass bestehende Wälder vor einer geplanten Rodung geschützt werden. Der Erhalt von Wäldern ist natürlich gut, aber sie speichern wegen des Gegengeschäfts natürlich nicht mehr CO₂ als vorher – dafür wird trotzdem mehr CO₂ ausgestoßen.

#5: Halbherzige Projekte zerstören Natur und Lebensraum

Mit der Bonn Challenge setzten sich in über 60 Ländern Regierungen, Organisationen und Unternehmen bis 2030 zum Ziel, 340 Millionen Hektor Land, das zuvor gerodet oder erodiert wurde, wiederherzustellen. 45 Prozent der Flächen, die bisher dafür vorgesehen sind, werden aber kommerzielle Plantagen sein. Das bedeutet, es werden nur Bäume einer Sorte gepflanzt und selbst diese werden womöglich wieder für ihr Holz gefällt. Nur ein Drittel ist als natürlicher Wald geplant. Für Baumplantagen werden Lebensräume zerstört und Ökosysteme in Flächen umgewandelt, die Klimakatastrophen nicht standhalten.

#6: Greenwashing ist nicht nur nutzlos, es schadet dem Klima

CO₂-Emissionen mit Bäumen aufzurechnen ist Greenwashing. Das verleitet gar dazu, noch mehr CO₂ zu verursachen. Statt eine klimaschädliche Handlung zu vermeiden, wird sie ausgeglichen. Das verringert die Emissionen nicht – was wir aber rasch und radikal tun müssten. Wir müssten vermeidbare Handlungen also unterlassen und zusätzlich die richtigen Bäume pflanzen.

Wenn solche Projekte als Kompensation anerkannt sind, werden sie der CO₂-Bilanz eines Unternehmens oder auch eines Landes abgezogen. Diese werben dann damit, klimafreundlicher zu werden, obwohl sie nichts an ihrer Praxis ändern. Sauberer wird nur ihr Image. Tatsächliche Bemühungen, einen Klima-Kollaps zu verhindern, werden so sabotiert.

Künstliche Intelligenz soll helfen, den Betrug aufzudecken

Die Regenerierung von Boden- und Waldflächen sind nichtsdestotrotz ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Umweltpolitik. Doch es muss richtig gemacht werden. Das Bewusstsein dafür wächst immerhin langsam. Klimaverschmutzer:innen kommen mittlerweile nicht mehr mit allen leeren Versprechen durch. Shell wurde in den Niederlanden bereits von einer Gruppe Jusstudent:innen für die irreführende Werbung verklagt. 

Um irreführender Werbung auf die Schliche zu kommen, hat sich etwa das Projekt CTrees zur Aufgabe gemacht, mehr Transparenz zu schaffen. Mittels öffentlich zugänglicher Daten, Satellitenbilder und KI-Analysen soll eine Open-Source Plattform erstellt werden, die aufzeigt, wie viel CO₂ wo von welchem Baum gespeichert wird. Es soll aufzeichnen, wo CO₂-Speicher hinzukommen und wo Waldbestände vernichtet werden.

Genau diese Daten können dann genutzt werden, um Regierungen und Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Und um Projekte zukünftig besser durchzuführen.

Der Norden verschmutzt, der Süden soll sauber machen

Bei CO₂-Ausstoß und -Kompensation gibt es zudem ein Verteilungsproblem. Die meisten Bäume werden um den Äquator gepflanzt. In Peru, Indonesien, Ghana, Äthiopien oder Madagaskar. Einerseits wachsen die Bäume dort schneller. Andererseits ist es dort billiger, da Löhne und Land in diesen Ländern niedriger sind. Das bedeutet, die Bevölkerung des globalen Südens kompensiert Emissionen, die wir in Europa und dem globalen Norden erzeugt haben. Konflikte, die dort dadurch entstehen, sind ganz weit weg von den Verursacher:innen.

Gerecht ist das nicht. Laut Greenpeace wird mindestens ein Viertel der globalen Landfläche von indigener Bevölkerung genutzt, besetzt oder besessen. Dabei erhalten sie deren Ökosysteme und leben mit ihnen. Werden nun solche Flächen in Plantagen umgewandelt, verlieren sie ihre Lebensgrundlage, die nicht nur Nahrungs- und Wasserquelle bedeutet, sondern auch kulturelle und wirtschaftliche Grundlage.

Flexibilität ist gefragt

Um wirksame Strategien zu entwickeln, sollte man sich an bestimmte Grundsätze halten. Dazu gehört, sich intensiv mit dem Problem auseinandersetzen und die Ökologie und Bevölkerung vor Ort zu berücksichtigen, wo man sie umsetzen möchte. 

Einheitslösung gibt es dafür keine. Das zeigte sich auch bei der Great Green Wall. Um der immer stärkeren Verwüstung der Sahel-Zone südlich der Sahara entgegenzuwirken, sollte in den 1980ern quer durch Afrika eine Wand aus Bäumen gepflanzt werden. Das klang großartig. Doch Expert:innen kritisierten, dass einfach Bäume zu pflanzen nicht ausreichend sei. Und auch hier starb ein großer Teil der gepflanzten Bäume früh ab.

Doch das Projekt hat sich weiterentwickelt und wirkt heute durchdachter. Das geschieht dank der einheimischen Bäuer:innen. Sie nutzen indigene Techniken, um Wasser zu fördern und Pflanzen zu schützen – nicht nur Bäume. Aus einer Wand wurde ein Mosaik aus diversen Grünflächen. Das Land wird nutzbar gemacht und der Anbau von Lebensmittel verbessert.

Es gibt keinen simplen Ausweg

Unkonventionelle Lösungen brauchen mehr Geduld, mehr Flexibilität und mehr Zeit. Es genügt nicht, am anderen Ende der Welt ein halbherziges Projekt in Auftrag zu geben. Es braucht echtes Engagement und Willen zur Veränderung. Das hören die großen Verschmutzer:innen natürlich nicht gerne. Sie würden lieber am bequemen Konzept des Klima-Ablasshandels festhalten. Das Problem löst man damit allerdings nicht.

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