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Demokratie
Fortschritt

Wie sich etwas ändert und warum Wahlen alleine das nicht tun

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Auch die nächste Wahl wird die krasse Ungleichheit in Vermögens- und Klimafragen nicht beseitigen. Denn es fehlt an (Gegen-)Macht. Was müssen wir tun, damit die Dinge sich doch ändern? Ein Vortrag von Barbara Blaha auf der re:publica.

Ich bin heute hier, um ein paar Schulden einzutreiben. Ja, richtig gehört – Schulden einzutreiben. Das hat etwas mit dem Franz Sacher zu tun. Der Franz, der wird euch nix sagen. Mir bis vor gut zwölf Jahren ehrlich gesagt auch nicht.   Damals bin ich in Wien in eine neue Wohnung gezogen, in ein altes Zinshaus in einem Arbeiterbezirk namens Ottakring.

Im Glas des Haustors ist das Jahr eingraviert, in dem das Haus gebaut worden ist: 1904. Kurz nachdem ich eingezogen bin, kommt mich meine Oma besuchen und sagt: „Des glaubst ma jetzt ned.“ Und zieht aus der Tasche eine sehr alte Geburtsurkunde. Die ihrer Mutter – meiner Ur-Oma.

Sie ist 1912 auf die Welt gekommen, auf der Geburtsurkunde ist die Adresse ihres Vaters, mein Ur-Ur-Großvaters vermerkt. Und eben dieser Franz, der war in genau dem Haus gemeldet, in das ich hundert Jahre später eingezogen bin. 

Wie die Welt vor kurzer Zeit noch war

Er war damals 34, Maurer-Gehilfe und Bettgeher. Das heißt, er hatte nicht genug Geld, um ein eigenes Bett zu mieten, geschweige denn eine Wohnung. Er hat sich ein Bett mit anderen geteilt, im Schichtbetrieb: acht Stunden hat er drin geschlafen, dann der nächste. So wie der Franz haben damals 170.000 Arbeiter in Wien gelebt. Die Welt hat für ihn anders ausgesehen als für uns heute.

  • Wählen durfte er damals nicht, erst seit 1918, sechs Jahre nach der Geburt meiner Ur-Oma, dürfen alle, Männer wie Frauen, in Österreich und Deutschland wählen.
  • Zeitgleich wurde der 8-Stunden-Tag eingeführt.
  • Erst seit 50 Jahren dürfen Frauen in Österreich einen Job annehmen, ohne dass der Gatte zustimmen muss.
  • Und absurd kurze 25 Jahre ist es her, dass Vergewaltigung in der Ehe hierzulande strafbar ist.

All das ist nicht vom Himmel gefallen, das wurde hart erkämpft von jenen, die vor uns da waren. Kurz bevor meine Ur-Oma auf die Welt gekommen ist, gab es in Ottakring Hungerrevolten: die Lebensmittelpreise waren durch die Decke gegangen. Amtsgebäude wurden gestürmt, Geschäfte geplündert, Auslagenscheiben eingeschlagen. Das Viertel, in dem ich heute wohne, glich zu diesem Zeitpunkt einem Kriegsschauplatz. Ich habe keine Ahnung, welche Rolle der Franz Sacher damals gespielt hat. Vielleicht war er auf der Straße? Hat demonstriert? Vielleicht mitgekämpft? Ich weiß es nicht. 

Fortschritt wird erkämpft

Was ich weiß: Auf diesen Straßen wurde uns die Demokratie erkämpft. Heute gibt es in Ottakring keine Bettgeher mehr, in Wien regiert kein Kaiser mehr; dafür gibt es Pressefreiheit, freie Wahlen, Bürgerrechte. Wir können uns eine Welt ohne diese Errungenschaften nicht mehr vorstellen. Aber nur, weil VOR uns Menschen genug Fantasie hatten, sich die Welt MIT ihnen vorzustellen.

Was im Nachhinein so logisch, so zwingend aussieht – das war im Vorher nur ein Traum. Alles eine Frage des Standpunktes auf der Zeitachse: Für uns ist selbstverständlich, dass Frauen wählen und Schwule heiraten dürfen.

So selbstverständlich, dass wir vergessen, wie viele Jahre Kampf dem vorausgingen. Was Frauenrechtlerinnen oder LGBTQ-Aktivisten an Demütigungen, Gewalt und Haftstrafen aushalten mussten; für etwas, wo wir heute sagen: Na no na ned, wie man in Wien sagt.

Fortschritt wirkt nachher selbstverständlich

Ein Paradox des Fortschritts: Was hinter uns liegt, ist mit Blick in den Rückspiegel völlig selbstverständlich. Mit Blick nach vorne, durch die Windschutz-Scheibe, erscheint alles so zäh und unabänderlich. Im Rückspiegel sehen wir nur mehr das Ergebnis. Und nie die Schlachten davor.

Die Sklaverei wurde nicht mit einem Krieg in Übersee besiegt … ihr Ende wurde schon am 22. Mai 1787 besiegelt. Da haben sich zwölf Männer in einer Druckerei getroffen – an einem Dienstag! – haben inmitten von Tintenfässern und Papierbögen die Society for Effecting the Abolition of Slavery gegründet. 20 Jahre später hat das Empire den Sklaven-Handel abgeschafft, nochmal 26 Jahre später war die Sklaverei im gesamten Empire verboten. In den USA war es erst fast 80 Jahre nach dem Treffen in der kleinen Druckerei in London so weit.

Zwischen den Haymarket-Riots am 1. Mai in Chicago und einem Acht-Stunden-Tag in den gesamten USA sind 52 Jahre vergangen. Nelson Mandela war 27 Jahre lang im Gefängnis und hat danach noch vier Jahre lang verhandelt, bis die Apartheid Geschichte war.

Revolutionen brauchen Zeit

Der Blick in den Rückspiegel verschluckt die Aufbau-Jahre; die Zeit, die eine Bewegung braucht, um Kraft zu sammeln. Saul Alinsky, ein Bürgerrechtler, Vordenker des „Community Organizing“ und große Inspiration für Barack Obama, sagt: Erfolgreiche Revolutionen sind wie ein Theaterstück.

„Im ersten Akt werden die Figuren und die Handlung eingeführt, im zweiten Akt werden [sie] weiterentwickelt, gleichzeitig muss man die Aufmerksamkeit des Publikums halten. Erst im letzten Akt kommt es zur dramatischen Konfrontation und Auflösung von Gut und Böse.“

Kann Veränderung Schritte überspringen?

Folgt man Alinsky, dann brennen Bewegungen aus, wenn sie zu schnell in die Konfrontation gehen und die Inkubation überspringen. Die Zeit, in der eine Bewegung plant, debattiert, wächst und überzeugt. Aber: Wäre es nicht erstens verlockend, den ersten Akt zu skippen, wenn man die geballte Kraft von Social Media zur Verfügung hat? Das uns darauf trainiert hat, Instant Feedback zu bekommen? In der Sekunde wollen wir eine Reaktion? 

Und rennt uns nicht die Zeit davon – in der Klimafrage? Wenn Alinsky Recht hat, dann müssen wir uns gemeinsam bemühen, schnell, aber geordnet in der Klimafrage in den dritten Akt zu kommen. Sonst brennt uns das Theater ab, bevor wir unseren Text gelernt haben. 

Geschichte passiert nicht in einem Augenblick

Geschichtsbücher verkürzen große Umbrüche auf große Momente: Wir kennen die Ansprachen der Anführer und wir kennen den Tag, an dem Veränderungen Wirklichkeit wurden.

Wir erinnern die Momente, in denen sich die Lawine löst. Aber wir vergessen die Jahre, manchmal Jahrzehnte des Schneefalls, die nötig waren, um das Schneebrett aufzutürmen. Für diesen einen Moment, in dem es abgeht.

Deshalb fühlen wir uns selbst oft so machtlos. Wir lesen im Geschichtsbuch, dass die Lawine abgeht und denken: Wow. Na klar, bei so einer Naturgewalt, natürlich räumt sie jedes Hindernis aus dem Weg. Aber was sollen WIR schon …?

„The most common way people give up their power is by thinking they don’t have any” – Alice Walker 

Das hat die Schriftstellerin Alice Walker gesagt: Der einfachste Weg, wie Menschen ihre Macht verlieren, ist, wenn sie glauben, sie hätten keine.

Und der zweit-einfachste Weg ist, uns von unserer eigentlichen Macht ablenken zu lassen. Wenn wir uns statt als Bürger einfach als … Konsument:innen … sehen. Der Schokoriegel ohne Palmöl rettet nicht den Regenwald und die CO2-Kompensation für den Vietnam-Flug rettet nicht die Gletscher. Bewusster Konsum hilft, aber er ist kein Ersatz für ein gerechtes Steuersystem, für gesetzliche Umweltstandards für Konzerne – für Maßnahmen zur Rettung des Klimas, die einen Unterschied machen.

So wie die bewusste Entscheidung, das eigene Kind gewaltfrei zu erziehen, das Nachbarskind nicht vor Schlägen schützt. 

Dafür gibt es Politik

Dafür gibt es Politik. Hier wird der Rahmen geschaffen, hier wird Veränderung in Normen und Regeln gegossen. Aber mit Alinsky gesprochen: Politik ist die Bühne, auf der das Stück zu Ende gespielt wird. Geschrieben haben es aber Tausende, manchmal Millionen von Menschen – angeblich nur das Publikum: in Wahrheit aber die Regie.

Bei ihnen, in ihren Köpfen beginnt jede Veränderung: das Frauen-Wahlrecht, die Abschaffung der Sklaverei, die  Bürgerrechtsbewegung.

Veränderung wird von der Politik und in der Mitte der Gesellschaft abgeschlossen … aber sie beginnt an den Rändern. Veränderung heißt immer, dass etwas akzeptabel wird, was vorher absurd war. Oder dass etwas abgelehnt wird, was vorher alltäglich war. Aber: Wann wird eigentlich aus einer Minderheit eine Mehrheit? Wann kippt etwas, wie kommt eine Veränderung ins Rutschen?

Wann kippt die Stimmung?

In den 70ern hat die Wirtschaftsprofessorin Rosabeth Kanter ein US-Unternehmen untersucht, das Frauen in sein Team aufgenommen hat. Die Frauen haben erlebt, … nun ja, … was Frauen so erleben: Sie wurden klein gemacht, im schlimmsten Fall belästigt. Sie haben unter der Kultur gelitten, solange sie 15 Prozent der Belegschaft ausgemacht haben. Aber als 35 Prozent der Belegschaft Frauen waren, haben SIE die Kultur im Unternehmen geändert. Zu ihren Gunsten.

Experimente an der Universität von Pennsylvania legen den Kipppunkt genau dazwischen, in der Mitte an: 25 Prozent können eine Mehrheit „umdrehen“ – wenn sie gut organisiert sind. Aber wie passt das mit meiner nächsten Zahl zusammen? 80 Prozent der Deutschen machen sich Sorgen um das Klima. Wieso … kippt da nix? Ich will mich jetzt gar nicht lange damit aufhalten, euch die Apokalypse an die Wand zu pinseln, ihr schaut euch das Gemälde schon lange genug an. 

Klimakrise ist Bürgerkrieg

Nur ein kleines Update: Wissenschaftler in Harvard haben jüngst ausgerechnet, was die Klimakrise für unsere Wirtschaft bedeutet. Die Folgen sind vergleichbar mit dem wirtschaftlichen Schaden eines permanenten Bürgerkrieges. Permanent, also ein Krieg so lang, weiter, als unsere Vorstellungskraft reicht. Jahrhunderte, Jahrtausende … Bürgerkrieg.

Es gibt eben keine wundersame Trennung zwischen dem Klimawandel „da draußen“ und uns. Die Klimakrise ist hier – und wird nie wieder weggehen.

Wir wissen, was auf uns ZU kommt.

Und wir wissen, auch wo es HER kommt.

Ungleichheit wie in dunkler Vergangenheit

Wir haben in Österreich und Deutschland eine Ungleichheit wie seit den Lebzeiten meines Ur-Ur-Opas, der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht mehr. Als hätten wir die Monarchie nie abgeschafft.

Die 26 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die Hälfte der Menschheit – wie vier Milliarden Menschen! Die Hälfte des gesamten Reichtums auf der Welt passt in ein Klassenzimmer. Das Geld wandert wie magnetisch nach oben, seit 2020 sind zwei Drittel aller Vermögenszuwächse weltweit in die Taschen des reichsten Prozentes gewandert. EINEM Prozent. Die Welt ist eine Plutokratie – und eine Pollutokratie.

Oxfam hat vorgerechnet, dass das reichste EINE Prozent mehr Abgase in die Luft schießt als zwei Drittel der Weltbevölkerung gemeinsam. Ein Milliardär ist für das Klima so giftig wie eine Million „normale“ Menschen. 

Hegemonie: Wie können so wenige über so viele gestellt sein?

Eine kleine Elite krallt sich alle Ressourcen, alle Macht … und vergiftet uns zum Dank. 80 Prozent der Menschen hier in Deutschland spüren das, sie machen sich Sorgen um die Zukunft. Aber nichts passiert. 

Wie kann das sein? Wie ist das möglich? Der Philosoph Antonio Gramsci hat es „Hegemonie“ genannt: 80 Prozent der Menschen hier in Deutschland wissen, dass wir Klima-technisch auf eine Wand zurasen, an der die Zivilisation zerschellen wird. Aber 80 Prozent sagen auch: Sie vermeiden Gespräche über das Klima, weil sie denken, das Thema „spalte“. 

Alternativen? Undenkbar

„Ideologien, die wir leben, sind wie die Luft, die wir atmen“, sagt der Ökonom Branko Milanovic. „Wir nehmen sie als selbstverständlich hin.“ Wir tun nix, wir nehmen das alles hin, solange wir glauben, wir leben in der besten aller möglichen Welten. Wandel? Ein anderer Weg?

Undenkbar. Und damit auch unsagbar.  

Unsere Glaubenssätze

Und wer doch laut darüber nachdenkt, der bekommt gesagt: aber der Standort! Aber das Wachstum! Die gesamte Wirtschaft wurde im 20. Jahrhundert darauf ausgerichtet, dass immer alles wachsen muss. Wir haben Krankenhäuser und Wasserleitungen privatisiert, öffentliches Vermögen wird an Private verscherbelt, weil: Hauptsache, es wächst was. 

Wachstum ist eine verführerische Ideologie.

So schön natürlich.

Wachsen ist nie nicht gut, oder? 

Nur bis zu einem gewissen Punkt. Unkontrolliertes Wachstum, das alles rund um sich herum auffrisst, für das haben wir einen anderen Namen: Krebs. 

Sind wir klug genug für Wachstum?

Wachstum um seiner selbst willen saugt alle Ressourcen ab, bis nichts mehr da ist, bis alles rundherum verkümmert ist … bis das Wachstum an sich selbst erstickt. Alles, was unendlich wächst, schafft sich am Ende selbst ab. Bäume sind klug genug, nur so weit zu wachsen, dass sie auch alles versorgen können. Aber wir, der Mensch, nicht? 

Vor 70 Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg, da waren die Markt-Fetischisten noch eine kleine Minderheit. Ein paar Radikale. Der Mainstream damals war ganz woanders. Damals  war allen anderen klar: Ein kräftiger, gesunder Staat ist der beste Schutz für uns alle. Deshalb haben zwischen den 30ern und den 60ern sogar die USA einen Spitzensteuersatz für Superreiche gehabt zwischen 70 und 95 Prozent. Mit dem Geld hat man Schulen, Schienen und Spitäler gebaut. 

Nach und nach verschiebt sich was

Die Weirdos waren damals die Markt-Radikalen wie der Ökonom Friedrich Hayek. Aber die haben etwas verstanden, viele Jahrzehnte, bevor Saul Alinsky es aufgeschrieben hat: Revolutionen brauchen eine Weile. Wer etwas ändern will, braucht einen langen Atem und Mitstreiter. 

„Die Zeit, die neue Ideen brauchen, um sich durchzusetzen, beträgt gewöhnlich eine Generation oder sogar mehr”, hat Hayek gesagt. “Das ist ein Grund, warum (…) unser gegenwärtiges Denken zu machtlos scheint, um die Ereignisse zu beeinflussen.” 

Das hat sie aber nicht entmutigt. Das hat sie bestärkt. Sie haben verstanden, dass man das Sagbare und die Normalität Stück für Stück verschieben kann: Eine extreme Position wird normal, wenn man eine noch verrücktere Idee daneben stellt. Wir kennen das ja auch heute: Im Lichte der Potsdamer Neonazi-Konferenz wirkt die Position der FPÖ in Österreich fast schon staatsmännisch. Nur, dass die FPÖ ihre Position halt nachzieht. 

Neoliberale Hegemonie

Die Neoliberalen haben das damals schon verstanden und deshalb in aller Ruhe Institute aufgebaut, um die Welt mit ihrer Sicht auf die Dinge zu fluten – bis sie Hegemonie sind: Die Politik soll sich aus der Wirtschaft raushalten; der Staat kann nicht wirtschaften und Wachstum ist das Wichtigste. Anfangs radikal, heute Mainstream. 

Bei einem Abendessen wurde Margaret Thatcher einmal gefragt, was sie als ihre größte Leistung betrachtet. Ihre Antwort: „Tony Blair und New Labour.“ Wenn deine Ideologie so natürlich scheint, dass selbst der politische Gegner sie übernimmt … was für ein Erfolgsprojekt. Es wirkt bis heute nach. 

Weite Teile der Gesellschaft haben es sich abgewöhnt, an die Veränderbarkeit der ökonomischen Verhältnisse zu glauben. 

Wissen ist nicht immer das Problem

An diesem Punkt wird gern vorgebracht, es fehle eben vielen an Information. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die Klimaforscher der Welt können davon ein Lied singen. Auch der tausendste Bericht, die Analyse, die Studie bringen kein Umdenken. Die Welt schaut nicht so aus, wie sie aussieht, weil den wichtigen Leuten ein paar wichtige Infos fehlen. Exzessive Ungleichheit in Vermögens- wie in Klimafragen ist kein Informationsproblem: Es ist ein Machtproblem.

Ein Hegemonieproblem. Dass 80 Prozent der Deutschen Angst haben, das Klima anzusprechen, das hat mehr mit den neoliberalen Hegemonie-Fabriken zu tun, als uns lieb sein kann: Genau dieselben Institute, die für den Markt, für das Wachstum und gegen den Staat lobbyieren, genau dieselben kriminalisieren jetzt die Klimabewegung.

Ein Beispiel: Das Atlas Network

Nehmen wir zum Beispiel das “Atlas Network”. Das hat ein Hayek-Homie gegründet, der schon zuvor auf der ganzen Welt Institute angeschoben und mitgegründet hat. 1981 hat er das “Atlas”-Netzwerk über all seine Manufakturen für Marktradikale drübergestülpt. Natürlich finanziert von der Tabak- und der Fossil-Industrie. Und was machen diese Öl-betriebenen Ideologie-Tanker dann so mit dieser Kohle? 

In Brasilien zum Beispiel hat Atlas die Strukturen gefördert, die geholfen haben, Jair Bolsonaro zum Präsidenten zu machen. Den homophoben, misogynen und rechtsextremen Bolsonaro. Seine wichtigsten politischen Anliegen: Regenwald abholzen, Rechtsstaat zerstören und Rassismus. 

Vernetzte Agenda

Und diese Agenda pushen sie rund um den Globus. Nach eigenen Angaben vernetzt Atlas weltweit mehr als 500 Organisationen. 

Ein britischer Atlas-Ableger, ein Think Tank namens “Policy Exchange”, hat sofort nach der Gründung begonnen die Klimabewegung “Extinction Rebellion” zu diffamieren: 2019 haben sie ein Paper produziert, das ihnen “Extremismus” vorwirft, der das Ziel habe, die “zivile Ordnung und die liberale Demokratie” in UK niederzureißen. 

Hier konnte man die Hegemonie-Arbeit der Markt-Ultras live beobachten, denn natürlich war diese Hetze nur der erste Schritt: Zuerst wurden die Klima-Proteste diffamiert, dann wurden sie kriminalisiert. Wo die Gesetze nicht passen, da werden sie passend gemacht: Der britische Premier Rishi Sunak hat sich letztes Jahr auf dem Sommerfest von “Policy Exchange” für die großartige Hilfe bedankt. Die Hilfe bei den Gesetzesentwürfen, die die Straßenblockaden von Extinction Rebellion unter Strafe stellen. Gesetze, wegen denen die Gruppe ihren Straßenprotest schließlich aufgeben musste.

Die Rolle der FDP

In Deutschland ist es ein gewisser Frank Schäffler, der für die FDP im Bundestag sitzt, der mit Atlas verbandelt ist. Genauer: sein “Prometheus Institut”. Ein passender Name für einen Brandstifter-Betrieb. Schäffler kämpft gegen die, wie er es nennt, “Klimareligion” und gegen Klima-Gesetze. Schäffler dürfte mehr Angst vor Wärmepumpen haben als erfolgreiche Fußballtrainer vor dem FC Bayern. 

Und vor der “Letzten Generation” – die erinnert Schäffler 2022 nämlich an “die Frühphase der RAF”. Terror-Vergleiche, das kennen wir doch schon, oder? Und wie in England fällt das auf fruchtbaren Boden; der Bundesverkehrsminister will die Letzte Generation “mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen”. 

Hass sickert durch

Das hat handfeste Folgen. Von sowas kommt sowas: 

  • Eine Frau klebt sich am Asphalt fest … und wird an den Haaren von der Straße gerissen.
  • Ein Passant prügelt auf Aktivisten ein … und wird dabei sogar noch angefeuert.
  • Ein Mann verletzt mit einem Paintball-Gewehr Anti-Autobahn-Aktivisten … und trägt dabei eine Ku-Klux-Klan-Kutte.

Das ist wahrlich keine Werbung dafür, selbst aktiv zu werden. Aber es ist ein Auftrag an uns, nicht länger zu schweigen. 80 Prozent der Deutschen haben Angst vor dem Klima. Und 80 Prozent der Deutschen haben Angst, darüber zu reden. Und die Universität von Pennsylvania hat es vorgerechnet: 25 gut organisierte Prozent können Stimmungen und Meinungen umdrehen. 

Dann können sie die Dinge zum Positiven ändern … oder zum Negativen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einmal gesagt:

“Nichts ist weniger unschuldig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen.”

Damit sind wir gemeint. Und einfach wird es nicht. War es aber auch nicht für die Zwölf am 22. Mai 1787 in ihrer Druckerei. Sklaverei war für sie Hegemonie, ein fester Bestandteil der Wirtschaft – wie Öl und Gas heute. Ein Viertel der Menschheit war damals im “Besitz” von anderen Menschen. 

Wer den Zwölfen moralisch Recht gegeben hat, hat sich von anderen anhören müssen: “Eh. Aber wie soll das gehen? Was wird dann aus der Wirtschaft?!” Und wisst ihr was: Natürlich ist die Wirtschaft damals nicht gewachsen, im Gegenteil, sie hat jahrzehntelang gelitten unter der Sklavenbefreiung.

Was die Menschheit kann

Die Wirtschaft Großbritanniens ist geschrumpft, aber die Menschheit – die ist daran gewachsen. Und niemand käme heute auf die Idee, Sklaverei wieder einzuführen, weil das gut für die Wirtschaft wäre. 

Menschen haben die Gabe, sich für andere Menschen einzusetzen, die sie nie im Leben zu Gesicht bekommen. Menschen, die auf anderen Kontinenten leben … Menschen, die erst noch geboren werden. 

Das macht uns Menschen aus, dass wir Ideen über Raum und Zeit hinweg denken können. Wir können uns abstrakte Dinge vorstellen, die es gar nicht gibt. Zum Beispiel Götter, die unsichtbare Hand des Markts oder das Gewissen von Friedrich Merz. Und wir können uns Dinge vorstellen, die es NOCH nicht gibt.

Traum, Hoffnung, Handeln

Eine Welt ohne Sklaverei war möglich, eine Welt ohne Öl und Gas ist möglich – und eine Welt, in der die Überreichen ihren fairen Beitrag leisten.

Damit wir die Welt verändern können, müssen wir die Hegemonien herausfordern. Die Welt ändern wir, indem wir ändern, wie die Menschen über unsere Gesellschaft denken. Indem wir träumen, wie sie sein soll. So, dass alle gut leben können. Jetzt und in Zukunft.

Und wenn sich ein paar Menschen finden, die den gleichen Traum haben – dann wird aus dem Traum Hoffnung. Und wer Hoffnung hat, kann ins Handeln kommen. „Dreaming, after all, is a form of planning“, hat die US-Frauenrechtlerin Gloria Steinem gesagt: Träumen ist nur ein anderes Wort für Planung. Damit aus Träumen Taten werden, braucht es fünf Dinge:

Wie sich Dinge ändern

  • Veränderung kommt nicht durch Wahlen allein. Nie. Jede Errungenschaft wird in den Parlamenten abgesegnet … aber auf der Straße angestoßen. Die Politik gießt Wandel in Gesetze, aber sie kann nur aufgreifen, was schon da ist. Sie braucht uns, den Druck von “unten”, um Veränderung durchzusetzen gegen die Apparate der Hegemonie.
  • Veränderung braucht Training. Wie ein Muskel, jeden Tag: use it or lose it. Man muss sich jeden Tag einsetzen, sonst rührt sich gar nichts. Denn wenn man eines Tages plötzlich drauf kommt: Hoppla, jetzt wäre Veränderung aber echt dringend nötig – dann sind wir zu schwach, sie noch durchzusetzen.
  • Veränderung erkämpfen ist selbst mit viel Übung verdammt unbequem: Wer sich für den Fortschritt stark macht, ist lästig. Das liegt in der Natur der Sache: Wer den Status quo herausfordern will, muss stören. Sonst rüttelt er nicht an den Verhältnissen, sondern stabilisiert sie. Gramsci zum Beispiel hat nicht nur eine herausragende Theorie zur Hegemonie geschrieben, er hat auch gekämpft; hat Zeitungen gegründet und gegen den Faschismus angeschrieben. Und am Ende mit seinem Leben dafür bezahlt. Er sagt über sich selbst, er sei ein “Partisan gegen die Gleichgültigkeit”.  Leben bedeutet für ihn Partei zu ergreifen. 
  • Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Leben. Wenn wir keinen Gegenwind spüren, dann gehen wir in die falsche Richtung. Wenn man uns nicht vorwirft, unrealistisch zu sein, dann ist unser Traum nicht groß genug. Es ist der Sand in der Auster, der die Perle macht.
  • Veränderung ist Arbeit am System. Nicht am Symptom. Weniger Fliegen, bewusster Einkaufen, das ist schön. Aber die Sklaverei wurde nicht von Konsumenten abgeschafft, die beschlossen haben, keine Sklaven mehr zu kaufen. Sondern von Bürgern und Bürgerinnen, die beschlossen haben, die Sklaverei abzuschaffen. Wir haben den Wert … und ja, sogar die Möglichkeit gemeinsamen Handelns vergessen. Wir haben verlernt, unser Tun auf das System zu richten. Kollektives Handeln ist unser stärkster Muskel – aber wir haben ihn schon lange nicht mehr trainiert. Wir, die wir angeblich verstanden haben, welches Klima sich über uns zusammenbraut; wir gehen entsprechend einkaufen und wählen, und tun? Nichts. Kein Streik, keine Blockade, kein Welcher-Protest-auch-immer? Nichts ist weniger unschuldig, als den Dingen ihren Lauf zu lassen!
  • Veränderung geht verdammt langsam und ist niemals zu Ende. Frauen verdienen für dieselbe Arbeit immer noch 6 bis 12 Prozent weniger als Männer: Das ist besser, viel besser sogar, als früher. Ist es deshalb gut? Ja. Gut genug? Nein. Wir brauchen die Fähigkeit, Etappensiege zu erkennen und zu feiern. Und trotzdem das Feuer fürs Weiterkämpfen zu bewahren. Veränderung ist nie fertig und es reicht nicht, sich nur in Krisenmomenten kurz dazu zu schalten. Wir müssen dranbleiben, ein Leben lang. Es ist immer zu früh, nach Hause zu gehen. 

Wir können eine andere Welt schaffen. Aber wir müssen es selber tun – nichts anderes haben die gemacht, die vor uns da waren. 

Die Generation der Zwölf in der Druckerei hat die Sklaverei beendet, die Generation von Franz Sacher, die Generation von all unseren Ururgroßeltern, hat uns freie Wahlen geschenkt. Sie haben mit allem gekämpft, was sie hatten – und uns eine bessere Welt hinterlassen.  

Wir schulden der Welt eine Revolution

Jetzt sind wir dran. Wir schulden der Welt von Morgen eine Revolution. Dann werden wir vielleicht die Vorfahren sein, die unsere Nachkommen sich verdienen. Und mit “Wir”, da meine ich uns alle hier. Und uns hier ganz besonders. 

Wir können uns den Eintritt hier leisten, wir haben gute Bildungsabschlüsse. Wir haben die Zeit, über all diese Dinge nachzudenken. Der Linguist Noam Chomsky hat mal geschrieben, Menschen wie wir, eine kleine privilegierte Minderheit, hat Macht. “Eine Macht, die sich aus der politischen Freiheit, dem Zugang zu Informationen und der freien Meinungsäußerung ergibt.”

Dieses Privileg ist nicht umsonst, es hat einen Preis: eine Verantwortung. Die Verantwortung für die Veränderung, die wir uns wünschen, liegt in unseren Händen. Nirgendwo sonst. 

Schaut nicht länger auf die Bühne. Schaut euch um, rechts von euch? Links von euch? Alle, die gemeinsam für Veränderung sorgen werden, sind längst da. Sie sitzen hier. Direkt neben dir. 

Schaut nicht länger auf die Bühne. Wartet nicht mehr. Fangt an, das Stück umzuschreiben.

Diesen Vortrag hat Barbara Blaha auf der re:publica 24 gehalten.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Mikl
    02.06.2024
    Na ja, schöne G'schicht. Hab auch davon viele erlebt, erduldet, relitten, usw. Ich frag mich immer: "Where is the beef?" Hab mich nie einer Partei angeschlossen. Warum? Von den Nazi kenn ich zu viele, komme aus Kärnten. Die Sozis haben mich in den 80ern auf eine schwarze Liste als Parteifreier Kandiadat an der Uni (der rote Innenminster, ist im PROFIL Archiv gespeichert) gesetzt, das was Sie heute an der FPÖ kritisieren das sie das Wollen. So schnell kann man die eigene Meinung ändern. USW. Die Revolution frißt ihre Kinder. Ich wurde schon gefressen. Passt nur auf, heute sind die Revolutionäre sogleich Terroristen. Früher waren Sie halt Kommunisten, Antichristen, der Teufel. Strengt euch euren Kopf an, wenn ihr die Kathedralen stürmt, die Domherren haben Armeen von Anwälten. Heute tötet man die Kinder, dahinter verstecken sich die Terroristen. Das nennt man Selbstverteidigungsrecht. Mein Vater hat auch das Grossdeutsche Reich an der Wolga verteidigt. Auch eine gewisse Revolution. Damit hat meine Urgrossmutter überlebt, obwohl Sie kein Wort Deutsch konnte. Wäre nicht g'scheid gewesen eine Konterrrevolution zu machen. Als Mann lernt man nicht gegen den Wind zu pinkeln. Wird nur die Hose naß. Und wer gewinnt? Na klar, Rene Benko und Fredi Gusibauer. That's Austria. AEIOU. Machma.
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