Braucht es “Free Britney” auch bei uns? Warum das Erwachsenenschutzrecht in Österreich so nicht ausreicht
Unter dem Hashtag #FreeBritney wird gejubelt! Die Solidaritätskampagne mit der Sängerin Britney Spears hat ihr Ziel erreicht. Nach 13 Jahren wird die gerichtlich verhängte Entmündigung des Pop-Stars aufgehoben.
Spears hatte das Sorgerecht über ihre Kinder, die Kontrolle über ihre Finanzen und die Autonomie über ihr eigenes Verhalten verloren. Wollte sie ihr Geld ausgeben oder ihr Haus verlassen, musste sie vorher ihren Vater um Erlaubnis bitten. Der hatte die Vormundschaft übertragen bekommen. Eine Vormundschaft gilt dauerhaft, das heißt unbefristet.
Begründet wurde das alles mit einer angeblichen psychischen Erkrankung von Britney Spears. Diese hat den Vater von Britney Spears jedoch nicht davon abgehalten, Spears auf Tourneen zu schicken und Alben zu produzieren.
In Österreich gilt das Erwachsenenschutzrecht
Der Fall Britney Spears steht stellvertretend dafür, wie schnell einem Menschen das Selbstbestimmungsrecht geraubt werden kann. Die Bedrohung besteht aber nicht nur US-Popstars. Auch in Österreich gibt es ein System dafür. Man nennt es heute Erwachsenenvertretung, früher Sachwaltschaft und davor Entmündigung. Das Recht betritt alle Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – ihr Leben oder Teile davon nicht bewerkstelligen können. Das können Menschen mit Lernschwierigkeiten sein, alte Menschen die zum Beispiel an Demenz erkranken, oder auch Menschen, die in eine Lebenskrise hineingeraten.
Warst du schon mal auf deinem Konto im Minus? Hattest du Schulden? Vielleicht über mehrere Monate hinweg? Falls ja, kann es gut sein, dass du dich dem Risiko ausgesetzt hast, dass vor einem Bezirksgericht ein Sachwalterschaftsverfahren gegen dich eröffnet wird. Jede Person, die der Meinung war, dass du mit deinem Geld und vielleicht deinem Leben nicht mehr klarkommst, konnte das beantragen.
Laut einer Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie aus dem Jahr 2013 waren es in über der Hälfte aller Fälle gar keine Einzelpersonen, sondern Institutionen wie zum Beispiel Krankenhäuser oder Banken, die ein Verfahren eröffnet haben. „Ein immer größerer Teil der Nachfrage geht auf das Konto institutioneller Anreger, die im Übrigen nach wie vor oft Initiatoren der Anregungen Angehöriger sind“, ist dort zu lesen.
Sachwaltschaft und Entmündigung mit unschöner Vergangenheit
Die Folgen waren oft gravierend. Denn Bezirksgerichte haben in der Vergangenheit sehr häufig Besachwaltungen über alle Lebensbereiche ausgesprochen. Bis 1984 mussten Betroffene für eine Entmündigung nicht einmal gehört werden. Aber auch danach bedeutete das: Du wurdest aufgrund von Finanzproblemen einem Sachwalterschaftsverfahren unterworfen. Anstatt dir zu helfen, möglichst selbstbestimmt wieder auf die Beine zu kommen, wurdest du per richterlichen Beschluss vielleicht völlig deiner Autonomie beraubt. Einmal in der Mühle drin, war es sehr schwer bis unmöglich da wieder heraus zu kommen. Sachwalterschaften wurden lange Zeit gerne zeitlich und umfänglich unbefristet ausgesprochen.
Eine UN-Prüfung im Jahr 2012 rügte Österreich scharf: “Das Komitee bemerkt besorgt, dass im Jahr 2012 etwa 55.000 Österreicher und Österreicherinnen besachwaltet wurden, die Hälfte in allen Lebensbereichen.” Und: “Das Komitee empfiehlt Österreich, mehr zu unternehmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu unterstützter Entscheidungsfindung haben und nicht unter Sachwalterschaft gestellt werden.“
Fortschritte mit Reform des Erwachsenenschutzrechts
Das war eine Watsche für den österreichischen Staat. Er leitete eine Veränderung ein. 2018 entstand daraus schließlich das „Erwachsenenschutzrecht“. Es stärkte die Rechte der Einzelperson und ihre Selbstbestimmung.
Sachwalter:innen heißen seither Erwachsenenvertreter:innen. Gerichte können diese nicht mehr ohne zeitliche Grenze einsetzen. Die maximale Dauer beträgt nun drei Jahre. Die oberste Idee ist, die Selbstständigkeit eines Menschen so weit wie möglich zu wahren. Von den Betroffenen selbst gewählte Vertretungen haben außerdem jetzt Vorrang.
Oswald Föllerer hat an der Reform mitgearbeitet. Der Mitbegründer des Selbstvertretungszentrums Wien setzt sich seit vielen Jahren für das Recht auf Selbstbestimmung für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein. Das Thema begleitet ihn seit seiner Kindheit: „Ich habe als Kind viele schlechte Erfahrungen auf der Baumgartner Höhe gesammelt. Einmal habe ich mir einen Spaß mit einem Pfleger erlaubt. Danach haben mich vier Pfleger aufs Zimmer geschleppt und mich nieder gespritzt. Leute sind gehaut worden.“
Die Erwachsenenvertretung darf man heute selbst wählen
Heute lässt er sich nichts mehr sagen. Er erzählt: „Die UN-Kommission hat gesagt, die Sachwalterschaft ist so abgedroschen, es muss etwas Neues her. Also gab es einen Workshop im Justizministerium. Da wurden viele Fachwörter benutzt. Das war schwierig für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Deshalb gab es bei ihnen Ängste, dass die Sachwalterschaft durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Da habe ich auf leichter Sprache bestanden.“
Dass die Sachwalterschaft heute nicht mehr existiert, darüber ist Föllerer froh: „Mit einem Sachwalter hast du überhaupt nichts entscheiden dürfen. Darfst du überhaupt ein Interview geben? Darfst du überhaupt in den Urlaub fahren? Das hat alles der Sachwalter entschieden. Der Sachwalter wurde mir zugeteilt. Das gab immer wieder schlechte Erfahrungen. Einer Freundin von mir hat ein Sachwalter ihr Halsketterl versetzt. In einem anderen Fall hat ein Sachwalter das Haus einer besachwalteten Person vermietet, ohne dass sie es wollte. Alles war fremdbestimmt. Den Erwachsenenvertreter kann ich mir jetzt selber aussuchen. Das ist wichtig.“
Immer noch viele Baustellen
„Ich habe die Befürchtung, dass wir jederzeit wieder ganz von vorne anfangen müssen“, sagt Föllerer. Er hat Angst, dass die Reform rückgängig gemacht wird. Dabei gibt es auch heute noch Probleme.„Es ist immer noch nicht viel umgesetzt. Banken, Ärzte und Anwälte sind noch nicht so recht informiert, dass wir jetzt Rechte haben. Banken sträuben sich dagegen, dass wir Konten eröffnen. Die wollen so viele Sachen haben.“
Martin Marlovits bestätigt, dass es noch Bewusstseinsbildung braucht. Marlovits ist stellvertretender Fachbereichsleiter beim Verein „VertretungsNetz“, der auf Erwachsenenvertretung spezialisiert ist. „Je mächtiger das Gegenüber, zum Beispiel im Fall einer Bank, desto schwieriger ist es“, meint er. „Das braucht viel Überzeugungsarbeit. Bei nicht psychisch kranken Personen schaut keiner drauf, ob sie sich verschulden. Aber Personen mit einer Erwachsenenvertretung tun sich schwer, ein Konto zu eröffnen.“ Bankenvertreter fürchten im Gespräch mit MOMENT, dass sie gesetzlich für Unregelmäßigkeiten auf deren Konten haften müssten und raten zu Umwegen wie zwei Konten. Die Erwachsenenvertretung sollte fixe Beträge vom einen auf das andere überweisen, über das die vertretene Person im Alltag verfügen könne.
Pflicht zur Verbesserung
Für Marlovits ist wichtig, dass jede Form der Erwachsenenvertretung nur das letzte Mittel sein darf. „Autonomie ist wichtig. Die Wünsche der Betroffenen sind ernst zu nehmen und zu befolgen”, sagt er, Das sei nicht nur eine nette Idee. „Alle staatlichen Ebenen sind verpflichtet die Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Aber es gibt wenig Druckmittel. Es braucht Durchhaltevermögen.“
Insbesondere die Bundesländer sieht Marlovits in der Pflicht. „Sie sind säumig, die erforderlichen Unterstützungsleistungen zur Verfügung zu stellen“, sagt er. Er fordert eine Verpflichtung zur Bereitstellung von persönlicher Assistenz für alle Menschen mit entsprechendem Bedarf, zum Beispiel im Fall einer psychischen Erkrankung. „Das ist nur ein Beispiel dafür, dass die UN-Behindertenrechtskonvention bisher nur in Ansätzen umgesetzt ist“, so Marlovits.
Bei allen Fortschritten im österreichischen Erwachsenenschutzrecht gibt es noch einiges zu tun.