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Klimakrise

CO2-Kompensation: „Man kann schlechtes Gewissen nicht wegkaufen“

CO2-Kompensation: Ablasshandel für schlechtes Gewissen?
Wollen wir die Klimakrise auf ein erträgliches Maß eindämmen, müssen wir unsere Treibhausgase verringern – schnell und drastisch. Doch alle Emissionen können wir noch nicht einsparen. Dann kann CO2-Kompensation Sinn machen - wenn solche Projekte gut gemacht sind. Was es dafür braucht und wo wir uns mit Kompensation selbst anlügen, erklärt Joachim Thaler von der Universität für Bodenkultur (BOKU) im Gespräch.

MOMENT.at: Es gibt inzwischen unzählige Kompensationsprojekte und unzählige Unternehmen, die dadurch klimaneutrale Produkte anbieten. Wäre es nicht wichtiger, die Treibhausgase gar nicht erst zu verursachen?

Joachim Thaler: Ja, absolut. Das kann man gar nicht oft genug betonen. Es kann nicht sein, dass man sich mit der Kompensation das schlechte Gewissen wegkauft. Im Vordergrund muss immer die Reduktion stehen.

Man muss dabei auch unterscheiden, wer kompensiert: Unternehmen und Organisationen oder Privatpersonen. Unternehmen und Organisationen können natürlich viel größere Mengen an Treibhausgasen einsparen als ein Individuum.

MOMENT.at: Warum unterscheiden?

Thaler: Gerade, wenn es um Greenwashing geht – was oft kritisiert wird – geht es im Wesentlichen um Unternehmen und die müssen sich ganz klar zuerst fragen: „Wie können wir zuerst unsere eigenen Emissionen verringern?“ Das, was bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingespart werden kann, das kann durch qualitativ hochwertige Klimaschutzprojekte kompensiert werden.

Wir als BOKU haben einerseits eigene Klimaschutzprojekte, für die gespendet werden kann. Andererseits beraten wir Unternehmen und Organisationen eben auch dabei, wie sie die eigenen Emissionen runterkriegen.

MOMENT.at: Wie muss CO2-Kompensation denn aussehen, damit es funktioniert? Was macht ein gutes und effektives Projekt aus?

Thaler: Das Wesentlichste ist die sogenannte Zusätzlichkeit. Das bedeutet, dass dieses Projekt ohne Kompensationszahlungen nicht stattgefunden hätte. Wenn man etwas macht, das ohnehin geplant und wirtschaftlich gewesen wäre, dann ist das ein Missbrauch der CO2-Zertifikate.  

Ein weiteres Kriterium ist die Dauer der Emissionseinsparung, „Permanenz“ genannt. Also ob dauerhaft gewährleistet ist, dass die Einsparung auch tatsächlich wirkt. Bei Waldprojekten ist die Herausforderung, dass ein Wald zerstört werden oder abbrennen kann und das CO2 wieder in die Atmosphäre entweicht. Eine Möglichkeit hierbei ist, dass man einen Puffer mit einrechnet. Wird ein Wald nur für ein paar Jahre geschützt, kann von Permanenz nicht die Rede sein.

Ein weiteres zentrales Qualitätskriterium ist, dass zur Berechnung der eingesparten Emissionen gute Methoden angewendet werden. Dafür ist das sogenannte Baseline-Szenario wichtig. Dabei wird berechnet, was im Projektgebiet passieren würde, wenn es kein Projekt gäbe. Gerade bei Waldprojekten gab es oft Kritik, dass das Bedrohungsszenario eines Waldes in diesem Baseline-Szenario übertrieben dargestellt wurde.

MOMENT.at: Was sollte man da tun?

Thaler: Dann geht es darum, ein regelmäßiges Monitoring vorzunehmen – ob die geplanten Einsparungen auch tatsächlich erfolgen. Das sollte unabhängig überprüft werden. Außerdem ist Transparenz ein wichtiger Faktor, sodass für Kund:innen nachvollziehbar ist, wie das Geld eingesetzt wird.

Wichtig ist zudem die Einbindung von Beteiligten vor Ort. Wir wollen nicht als “White Savior” (Anmerkung der Redaktion: Der „Weißer Retter“ ist eine Figur, die in Filmen und Literatur häufig vorkommt. Weiße Menschen retten dabei Indigene und vermitteln ein Bild, dass diese Menschen nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen) in eine Region kommen und den Leuten sagen, was sie zu tun haben. Das geht über in das letzte Kriterium: Dass die Projekte einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung im weiteren Sinn leisten. Solche Kompensationsprojekte haben das Potenzial, viel mehr beizutragen als reinen Klimaschutz. Man spricht von Co-Benefits (Anm. d. Red.: Positive Nebeneffekte).

MOMENT.at: Kompensationsprojekte nützen also nicht nur dem Klima? Was können Kompensationsprojekte noch?

Thaler: Die Finanzierung von Klimaschutzprojekten im Globalen Süden durch den Globalen Norden kann sinnvolle Entwicklungsprojekte ermöglichen. Also Projekte, die selbst dann große positive Effekte haben, wenn man den Klimaaspekt rausnehmen würde. Durch den freiwilligen CO2-Markt wird eine zusätzliche Einnahmequelle für solche Entwicklungsprojekte geschaffen.

Das trägt zur globalen Gerechtigkeit bei. Der historisch größte Teil der Emissionen wurde von den reichen Industriestaaten verursacht, während Entwicklungsländer überdurchschnittlich stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. 

Wenn man das bedenkt, dann ist es nur fair, wenn Mittel nun in den Globalen Süden fließen. Damit die Menschen vor Ort dafür sorgen können, dass einerseits nicht derselbe emissionsintensive Pfad eingeschlagen wird, wie bei uns. Dass die Wirtschaft ohne derartige Treibhausgasemissionen auskommt. Andererseits, damit sie sich an die Folgen der Klimakrise besser anpassen können.

MOMENT.at: Die Industriestaaten haben sich dazu verpflichtet, den Entwicklungsländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimawandel-Anpassung zur Verfügung zu stellen. Sie halten sich aber nicht daran. Wird da Verantwortung an die Individuen abgegeben?

Thaler: Das eine ersetzt das andere nicht. Die Verpflichtung, die die Industriestaaten eingegangen sind und der sie traurigerweise nicht nachkommen, die verschwindet dadurch nicht. Die oberste Verantwortung liegt immer bei der Politik und erst untergeordnet bei Unternehmen und dann bei Privatpersonen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, die dann von Unternehmen und auch Privatpersonen mitgetragen werden.

MOMENT.at: Wenn ich nun unvermeidbare Emissionen ausgleichen will – wie erkenne ich gute Projekte? Worauf muss ich achten?

Thaler: Es ist schwer zu erkennen, inwieweit die aufgezählten Qualitätskriterien erfüllt werden. Deswegen gibt es Labels oder freiwillige Standards, mit denen sich die Projekte zertifizieren lassen können. Einer der höchsten Standards auf dem freiwilligen CO2-Markt ist der sogenannte Goldstandard. Der bietet bei der Suche qualitativ hochwertiger Klimaschutzprojekte hilfreiche Orientierung. Das ändert allerdings nichts daran, dass es strengere gesetzliche Regulierungen braucht.

Ein junger Mann, Joachim Thaler, im Portrait. Bebildert wird damit ein Interview zu CO2-Kompensation.

Joachim Thaler arbeitet in der Kompetenzstelle für Klimaneutralität an der BOKU (Universität für Bodenkultur). Die BOKU hat in dieser Kompetenzstelle selbst Projekte zu CO2-Kompensation umgesetzt. Foto: Privat

 

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