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Ungleichheit
Klimakrise

Degrowth-Expertin Halliki Kreinin: "Müssen uns vom ewigen Wachstum verabschieden"

Ewiges Wirtschaftswachstum auf einem endlichen Planeten ist nicht möglich, sagt Halliki Kreinin von Degrowth Vienna. Warum es für das Klima und für unser Wohlergehen besser ist, das BIP über Bord zu werfen.

 
Wachstum auf einem endlichen Planeten? Das wird sich irgendwann nicht mehr ausgehen. Die Konferenz „Beyond Growth“ in Brüssel diskutierte, wie wir den Zwang zum ewigen Wachstum überwinden können. Halliki Kreinin von Degrowth Vienna erklärt im Interview, warum wir uns vom Märchen des ewigen Wirtschaftswachstums verabschieden müssen. „Es ist nur die Frage, ob wir das selbstgewählt machen oder durch die Klimakatastrophe dazu gezwungen werden.“

MOMENT.at: Drei Tage diskutierten Sie und 4.000 weitere Teilnehmer:innen über das Ende des Wachstums. Sind wir inzwischen etwas näher an einer Welt, die sich vom unendlichen Wachstum verabschiedet?
 
Halliki Kreinin: Etwas. Der Schwerpunkt der europäischen Politik liegt immer noch darauf, Wirtschaftswachstum zu erreichen. Die Dinge bewegen sich aber. Dass wir unsere Art zu wirtschaften ändern müssen, kommt bei immer mehr Leuten an. EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen hat hier gesprochen und darauf hingewiesen, dass es kein unendliches Wachstum geben könne. Wir sind hier auf einer überparteilichen Konferenz. Es sind Unternehmer:innen hier, die den Ernst der Lage sehen. All das wäre vor ein paar Jahren nicht möglich gewesen. Es geht in die richtige Richtung, aber viel, viel zu langsam. Wir haben viel Zeit verloren bis hierher.
 
MOMENT.at: Wie soll denn Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren?
 
Kreinin: Es muss. Es ist keine Frage, dass wir uns vom ewigen Wachstum der Wirtschaft verabschieden werden. Das wird enden. Es ist nur die Frage, ob wir das selbstgewählt machen oder durch die Klimakatastrophe dazu gezwungen werden. Ein soziales und wirtschaftliches System wird von Menschen geschaffen. Wir Menschen können es auch ändern.
 
MOMENT.at: Sie sagen, “Degrowth” sei nicht nur fürs Klima wichtig, sondern für eine sozial gerechtere Gesellschaft und das Wohlergehen der Menschen. Wie das?
 
Kreinin: Wenn wir wirklich nachhaltig und mit geringem Verbrauch von Rohstoffen und Energie wirtschaften, würde das den meisten Menschen in unseren Gesellschaften zugutekommen und für ein besseres Leben sorgen. Das Problem ist, dass das den Interessen derjenigen entgegenläuft, die von dem derzeit sozial ungleichen und ökologisch desaströsen System profitieren – wortwörtlich.
 
Die positiven ökologischen und sozialen Effekte einer Wirtschaft, die nicht mehr auf Wachstum ausgerichtet ist, gehen Hand in Hand. Das zeigen wir in unserem Fünf-Punkte-Plan auf. Mit ewigem Wirtschaftswachstum haben wir bisher die Frage der Ungleichheit versucht zu überdecken. Um in einer nicht mehr wachsenden Wirtschaft Wohlstand zu schaffen, müssen wir sozioökonomische Ungleichheit beseitigen.
 
MOMENT.at: Wo kann man ansetzen, um Wohlstand besser zu verteilen? Wer müsste verzichten?
 
Kreinin: Es gibt dazu viele Vorschläge: Zum Beispiel eine Finanztransaktionssteuer würde helfen, die Macht des Finanzsektors auf die gesamte Wirtschaft zu begrenzen. Es gibt Steuern und andere politische Maßnahmen, die dazu beitragen können, die Ungleichheit zu verringern und Überkonsum zu reduzieren.
 
Aber ich denke, wir müssen jetzt über den Tellerrand hinausschauen. Und wir müssen intern neu überdenken, wie unsere Wirtschaft funktioniert und welche Arbeitsplätze wir haben wollen. Das Gemeinwohl muss Vorrang haben, nicht der Profit von Unternehmen.
 
MOMENT.at: Gibt es „grünes“, also nachhaltiges Wachstum?
 
Kreinin: In gewisser Weise brauchen wir grünes Wachstum. Wir brauchen enormes Wachstum bei den erneuerbaren Energien. Wir müssen unser Energiesystem erhalten. Es ist möglich, dass wir in bestimmten Sektoren wachsen, während wir gleichzeitig dabei sind, uns vom gesamtwirtschaftlichen Wachstum zu verabschieden. Einige Wirtschaftssektoren müssen komplett geschlossen werden, andere gestärkt.
 
Aber die hauptsächliche Aufgabe ist: Wir müssen aufhören, immer nur auf das Wirtschaftswachstum zu schauen als Maß für die Entwicklung. Wir sollten auf das Wohlergehen der Menschen schauen und welche Auswirkungen unsere Art zu wirtschaften auf das Klima haben.
 

Zur Person: Halliki Kreinin ist Postwachstums-Expertin bei Degrowth Vienna, einem Netzwerk aus Wissenschaftler:innen, Organisator:innen und Expert:innen aus Wien. 2022 schloss sie an der WU Wien ein Doktoratsstudium in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ab, mit Spezialisierung auf Ökologische Ökonomie. Sie arbeitet für das Projekt „EU 1,5° Lebensstile“ der Universität Münster.
 

Lies dazu auch bei uns:

Kate Raworth: „Unsere Art zu wirtschaften, führt zum Scheitern“

 

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