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Demokratie
Kapitalismus

Demokratische Öffentlichkeit darf nicht käuflich sein

Demokratische Öffentlichkeit darf nicht käuflich sein
Foto von Jens Mahnke
Die Erfolge von rechtsradikalen Echokammern im Web liegen auch daran, dass die demokratische Öffentlichkeit wichtige Entwicklungen verschläft. Gerade die öffentlich-rechtlichen Medien müssten ein Gegengewicht bilden: eine unkäufliche Infrastruktur statt profit-gieriger Algorithmen. Leonhard Dobusch kommentiert.

Privat-monopolistische Online-Plattformen haben einen entscheidenden Nachteil für demokratische Öffentlichkeit: sie sind im wörtlichen Sinne käuflich. Spätestens seit mit Elon Musk der reichste Mensch der Welt Twitter übernommen und zu X umgestaltet hat, ist das offensichtlich.

Aber auch abseits des besonders eindrücklichen Falls von Twitter leben wir in einer Plattform-Monokultur. Egal ob Facebook, TikTok, Instagram oder eX-Twitter, alle diese Plattformen sind in privater Hand, werbefinanziert und gesteuert von Algorithmen, die „Engagement“, also Klicks und Viewtime und Zahl an Kommentaren, belohnen. Dass vor allem Emotionalisierung und Polarisierung, lautes Zuspitzen und nicht differenziertes Betrachten zu diesem „Engagement“ führen, nehmen die Plattformbetreiber in Kauf. Nicht, weil sie die daraus folgende Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte gut finden, sondern schlicht und einfach, weil es sich rechnet. 

Die Rechtsextremen freut das

In so einem Umfeld gedeihen rechtspopulistische bis rechtsextreme politische Strömungen besonders gut. Es wäre allerdings auch ein Fehler, den Reichweiten- und Wahlerfolg von AfD, Trump und anderen rechtsextremen Akteuren allein auf die algorithmische Bevorzugung ihrer Desinformations- und Propaganda-Inhalte auf Online-Plattformen zurückzuführen. Dagegen sprechen nicht nur progressive Gegenbewegungen wie #Reclaim oder auch der durchaus beachtliche Erfolg des Online-Wahlkampfs der deutschen Linkspartei 2025. 

Mitverantwortlich für den Erfolg rechter Parteien und Gruppierungen im Netz ist einfach auch die Tatsache, dass sie länger und mit viel größerem Einsatz Online-Plattformen systematisch bespielt haben und immer noch bespielen. So startete die österreichische FPÖ bereits 2012 einen FPÖ-TV-Kanal auf YouTube mit inzwischen über 230.000 Abonnent:innen. Zum Vergleich: der ebenfalls 2012 gestartete YouTube-Kanal der sozialdemokratischen SPÖ verfügt über gerade einmal knapp 9.000 Abonennt:innen, das Parteimedium „Kontrast“ über weitere knapp 8.000 (alle Zahlen: Stand März 2025). 

Während sozialdemokratische und liberal-konservative Parteien also in ihrer Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit auch im Zeitalter digitaler Plattformöffentlichkeit weiterhin primär Kanäle traditionelle Medienhäuser adressieren, operieren rechte Akteure mit einer erfolgreichen Doppelstrategie: parallel zum kontinuierlichen Ausbau eigener Online-Kanäle für ungefilterte Direktkommunikation mit (potenziellen) Anhänger:innen, drücken sie durch gezielte Provokationen und Grenzüberschreitungen ihre Themen auch auf die Agenda traditioneller Medien. Selbst wenn sie dort eher schlecht wegkommen, bestimmen sie damit das Thema und können gleichzeitig auf ihren eigenen Kanälen die Einseitigkeit und Benachteiligung in den sogenannten „Systemmedien“ beklagen. 

Besonders betroffen: Öffentlich-rechtliche Medien

Besonders betroffen von dieser Dynamik sind öffentlich-rechtliche Medien. Sie sehen sich überall dort, wo sie relevante Reichweiten erzielen, mit politisch motivierten Kampagnen von Rechtsaußen konfrontiert, die ihnen Parteilichkeit vorwerfen und ganz grundsätzlich ihre Existenzberechtigung absprechen. Gleichzeitig hat sich auch im Vorfeld der deutschen Bundestagswahl 2025 wieder einmal gezeigt, wie schwer es ihnen fällt, sich recht(sradikel)em Agenda-Setting zu entziehen – etwas, das ironischer- wie logischerweise das öffentlich-rechtliche Ausnahmetalent Jan Böhmermann in einer Sendung nach der Wahl minutiös aufgearbeitet hat.

Obwohl öffentlich-rechtliche Medien also keineswegs immun gegen Angriffe oder Agenda-Setting von Rechtsaußen sind, bergen sie mit das größte Potenzial, ein notwendiges Gegengewicht zu privat-profitorientierter Plattformöffentlichkeit zu etablieren. In Ansätzen leisten öffentlich-rechtliche Medien das heute bereits. Wenn sie, wie beispielsweise das ZDF unter algorithmen.zdf.de, ihre Empfehlungs- und Personalisierungsalgorithmen nicht nur offenlegen und erklären, sondern auch auf wissenschaftlicher Basis alternative Formen der Aufmerksamkeitslenkung forcieren. Demokratische Algorithmen, die nicht nur Verweildauer auf den Plattformen maximieren versuchen, sondern gesellschaftliche (Perspektiven-)Vielfalt und Ausgleich befördern sollen.

Und: Öffentlich-rechtliche Medien sind schon strukturell auf Kompromiss und Konsens hin ausgerichtet. In Deutschland benötigen Intendant:innen sowie die Mehrheit der Mitglieder von Verwaltungsräten qualifizierte Mehrheiten über weltanschauliche Lager hinweg, um in den beaufsichtigenden Rundfunkräten gewählt zu werden. Von den gesetzlichen Grundlagen, den Rundfunk- und Medienstaatsverträgen, gar nicht erst zu reden, wo es in Deutschland Einstimmigkeit von 16 Ländern benötigt. In Österreich ist diese strukturell Kompromissorientierung seit der Schüssel’schen ORF-Reform 2001 und wegen des weitgehend mit einfacher Mehrheit änderbaren ORF-Gesetzes weniger stark ausgeprägt. Vom Ansatz her aber gilt: Mehr Gegenmodell zu privaten Plattformen, wo jene, die am lautesten und emotionalsten und radikalsten brüllen, am meisten Gehör finden, geht kaum. 

Öffentliche-Rechtliche als Alternativen zu Kommerzplattformen

Damit Öffentlich-Rechtliche aber diesen dringenden Bedarf nach gemeinnützigen Alternativen zu den großen Werbe- und Kommerzplattformen erfüllen können, müssen sie sich, muss sich ihre Rolle ändern. Öffentlich-Rechtliche müssen selbst zu Plattformbetreibern werden. Sie müssen sich und ihre Kommunikationsinfrastruktur vor allem ihrem Publikum gegenüber, aber auch anderen gemeinnützigen und, in bestimmten Bereichen, auch kommerziellen Medien gegenüber öffnen.

Erfreulicherweise ist genau diese Öffnung in zentralen Bereichen bereits in Arbeit: Erstens haben ARD und ZDF mit “Streaming OS” einen Pfad hin zu gemeinsamer und transparenter Entwicklung ihrer Mediatheken auf Basis von Open-Source-Software, offenen Standards und offenen Protokollen eingeschlagen. Konsequent umgesetzt könnte das zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit anderen öffentlich-rechtlichen Medien in Europa führen – ohne sich unbedingt über jedes Detail, über jedes Feature, über jede strategische Frage vorab einigen zu müssen. Offene Software und offene Standards als unilaterale Europäisierung quasi.

Öffnung ist überfällig

Zweitens ist eine Öffnung öffentlich-rechtlicher Portale für Interaktion mit dem Publikum und damit mehr gesellschaftliche Teilhabe ist überfällig. Es ist absurd, Menschen auf kommerzielle Plattformen wie YouTube oder Instagram zu zwingen, wenn sie öffentlich-rechtliche Inhalte diskutieren wollen. Das steht im eklatanten Widerspruch zum öffentlich-rechtlichen Auftrag, demokratische Meinungsbildungsprozesse zu fördern. 

Drittens muss diese Öffnung für Publikumsbeiträge einer anderen Aufmerksamkeitssteuerung folgen als sie auf privaten Plattformen üblich ist. Und auch hier gibt es mit dem internationalen Forschungs- und Entwicklungsprojekt des “Public Spaces Incubator” nicht nur Pläne, sondern bereits zahlreiche Prototypen zur Implementierung in den Mediatheken, die verschiedene alternative Formen der Aufmerksamkeitssteuerung fördern sollen. 

Neue Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte

Hinzu kommt die zunehmende Nutzung von offenen Lizenzen für bestimmte Bildungs- und Informationsinhalte, die eine Präsenz öffentlich-rechtlicher Inhalte auf der gemeinnützigen Wikipedia möglich machen. Die Bedeutung dieser Annäherung an die freie Online-Enzyklopädie kann kaum überschätzt werden. Wikipedia ist nicht nur die einzige nicht-kommerzielle unter den 100 meistbesuchten Webseiten der Welt und hat großen Einfluss auf Googles Suchergebnisse, sie dient auch neuen KI-Anwendungen als wichtige Quelle für Trainingsdaten.

Wie öffentlich-rechtliche Medien und im starken Gegensatz zu den kommerziellen Plattformen zwingt auch Wikipedia zum Kompromiss. Zu jedem Thema gibt es nur einen Artikel. Widersprüchliche Auffassungen müssen ausdiskutiert werden oder als Kontroverse selbst im Artikel abgebildet werden. Wissen wird dadurch als das kenntlich, was es immer schon war: umstritten und vorläufig, sicheres Wissen gibt es nicht. Gleichzeitig ist aber auch dieses Wissen nicht Ergebnis von Abstimmungen, sondern ausverhandelt. Das ist nicht immer schön anzusehen, natürlich gibt es Konflikte, aber am Ende gibt es keine Alternative zum Kompromiss. Umso passender der Slogan „ORF. Wie Wiki.“, mit dem Wikimedia Österreich bereits 2021 freie Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte gefordert hatte.

Unkäufliche Infrastruktur

Schließlich haben öffentlich-rechtliche Medien und die Wikipedia noch eine weitere Gemeinsamkeit: nicht einmal Elon Musk mit all seinem Geld kann sie kaufen. Und genau solche nicht käuflichen, gemeinnützigen Kommunikationsinfrastruktur gilt es zu stärken und auszubauen. Initiativen wie SaveSocial.eu mit über 240.000 Unterzeichner:innen (Stand: Marz 2025) oder der von über 75 Organisationen und Bündnissen mit über 1.000 Mitgliedsorganisationen unterzeichnete Aufruf für wirksame Kontrolle digitaler Plattformen zeigen, wie sehr das Thema inzwischen auch in der breiteren Öffentlichkeit angekommen ist. 

Der Medienpolitik und öffentlich-rechtlichen Medien wird auch hier eine Schlüsselrolle zukommen. Die geforderte “wirksame Kontrolle digitaler Plattformen” hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn es nicht-kommerzielle Alternativen – Ausweichrouten – zu den dominanten Plattformen gibt. In dem Maße, in dem sich öffentlich-rechtliche Medien auf dezentrale und offene soziale Netzwerkstrukturen á la Mastodon einlassen, desto mehr wird der vermeintliche Nachteil der starken nationalen oder sogar regionalen Verankerung öffentlich-rechtlicher Medien vom Bug zum Feature: Dann ist es sogar wünschenswert, dass der ORF, das ZDF, sämtliche ARD-Anstalten und auch Universitäten eigene Mastodon- und Peertube-Server betreiben. 

Auf Basis offener Software, offener Standards und offener Protokolle könnte so ein regional verankertes, transnationales Ökosystem öffentlich-rechtlicher und anderer gemeinnütziger Anbieter entstehen, das groß und dynamisch genug ist, um so etwas wie öffentlich-rechtliche Netzwerkeffekte zu erzeugen – und genau dadurch eine echte, weil völlig anderer Logik folgende, dezentral-gemeinnützige Alternative zu den global-profitorientierten Einheitsplattformen zu bieten. Die Zeit und Technologien dafür sind reif, die ersten Schritte in diese Richtung bereits unternommen. Entscheidend wird sein, ob der Aufbau dieser Plattformalternativen schneller erfolgt, als die fortschreitende Aushöhlung demokratischer Institutionen durch rechtsextreme Kräfte auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Uhr tickt.

Text zuerst erschienen in: spw, Heft 262, Ausgabe 1/2025, leicht überarbeitet und ergänzt.

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