Safira Robens: “Dass jemand wie ich erst jetzt hier ist – das ist eine Entscheidung”
2019. So lange hat es gedauert, bis mit der Niederländerin Stacyian Jackson zum ersten Mal eine Schwarze Frau fix ins Ensemble des Wiener Burgtheaters aufgenommen wurde. Eine historische Personalentscheidung – und ein ernüchternd spätes Zeichen dafür, wie Weiß die österreichische Theaterlandschaft bis dahin war. Und noch immer ist.
Ich glaube, das ist eine Entscheidung aus Angst.
Ein Jahr später folgt die deutsche Safira Robens ihr ins Ensemble. Heute steht die 31-jährige Schauspielerin regelmäßig auf einer der renommiertesten Bühnen des Landes. Jackson ist inzwischen am Schauspielhaus Bochum, Robens ist geblieben. Und mit ihr die Frage: Wie kann es sein, dass diese Geschichte erst jetzt geschrieben wird?
Wir begleiten Safira Robens an diesem Tag durch das Burgtheater. Sie zeigt uns ihre Garderobe, auf deren Türschild ihr Name eingraviert ist. Ihr eigener Raum in einem Haus, in dem bis vor wenigen Jahren keine einzige Schwarze Frau fest zum Ensemble gehörte. In der Kulisse ihrer mittlerweile 16. Produktion führt sie uns durch die Bühne, den Backstage-Bereich, durch ihre Welt.
Unser Besuch endet in einer der oberen Galerien des Burgtheaters. Pompös. Mächtig. Vergoldet. Links und rechts reihen sich monumentale Porträts aneinander. Weiße Männer, Weiße Frauen – die Elite vergangener Jahrhunderte blickt auf uns herab. Für ihre Zeit nicht ungewöhnlich. Und trotzdem: Es hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Denn wir schreiben das Jahr 2025, befinden uns in einer der lebenswertesten Städte der Welt – und sitzen in einem der wichtigsten Kulturräume des Landes. Es sind Orte mit langer Geschichte. Trotzdem stehe ich gerade einer der ersten Schwarzen Personen im Burgtheater Ensemble gegenüber.
“Ich glaube, es ist ein großer Schritt zu sagen, etwas ist Teil von mir“, sagt Safira nach kurzem Zögern. “Es hat hier immer wieder Menschen wie mich gegeben. Aber nie fest im Ensemble. Ich glaube, das ist eine Entscheidung aus Angst – etwas Teil werden zu lassen, was ohnehin Teil ist.“

Theater ist mehr als Bühne – es ist Verantwortung
Wenn Safira über ihre Arbeit spricht, wird schnell klar: Für sie ist Schauspiel mehr als Beruf. Es ist Ausdruck, Möglichkeit und Verantwortung. Sie liebt es, zu spielen. “Aber am schönsten ist es, wenn es eine Bedeutung hat“, sagt sie. Theater sei politisch. Und es gäbe noch so viel “construction work“ zu tun.
Ich würde mit Safira Robens gerne über anderes sprechen. Über ihre liebsten Rollen. Was Schauspiel in ihr entfacht. Was sie antreibt. Ihren Drive. Ihre Ängste. Ihre Lieblingsmomente auf der Bühne. Aber wenn Rassismus so tief verankert ist in einer Branche, in einem Land, in einer Gesellschaft – dann muss man darüber sprechen. Nicht, weil man will. Sondern, weil es nötig ist.
Klassiker statt Klischee – eine Frage der Anerkennung
Sehr oft steht sie in Rollen auf der Bühne, in denen ihr Schwarzsein ausdrücklich verhandelt wird. Rollen, die “schwierige Themen“ behandeln, wie sie es nennt. Natürlich macht das etwas mit einem – vor allem dann, wenn man sich auch andere Rollen wünscht. Safira erzählt, sie würde auch gerne andere Rollen spielen. Klassiker. Stoffe, die traditionell weiß gedacht werden. Nicht, um das Original zu brechen – sondern um Geschichte neu zu erzählen. “Es liegt eine Kraft darin“, sagt sie. Es wäre eine Anerkennung der gemeinsamen europäischen Geschichte. Deshalb nennt sie sich „afro-europäisch“. Eine Selbstbezeichnung, die bewusst gewählt ist. Sie will sichtbar machen, was über Jahrhunderte unsichtbar gemacht wurde: dass Schwarze Menschen nicht nur heute Teil dieser Gesellschaft sind, sondern immer schon Teil ihrer Geschichte waren.
Das Publikum im Burgtheater sei sehr unterschiedlich, sagt sie. “Ich merke das auf der Bühne – ich spüre die Energie im Raum, wenn Menschen zuhören, wenn Menschen lachen. Wenn sich eine Bedrücktheit breit macht.“ Und doch sagt sie auch: “Es ist kein Publikum, das sehr gerne belehrt wird. Das super gerne über Gender-Fragen und den postkolonialen Diskurs philosophiert.“ Was sie sich wünscht, ist kein anderes Publikum, sondern ein ergänzendes.
“Das Burgtheater ist ein staatlich finanziertes Haus“, sagt Robens. Viele Menschen zahlen mit ihren Steuern dafür. Aber bekommen wenig zurück. Räume wie diese müssten für alle zugänglich sein – nicht nur für eine elitäre Bubble. Repräsentation sei entscheidend dafür, wer sich angesprochen fühlt. Und wer sich traut, überhaupt zu kommen.
Ich frage sie, warum es ihrer Meinung nach so lange gedauert hat, bis eine afro-europäische Schauspielerin ins Ensemble aufgenommen wurde. Robens hält kurz inne. “Gute Frage“, sagt sie schließlich.
Ich glaube, es ist ein großer Schritt, zu sagen: Das ist Teil von uns. Die Tatsache, dass jemand wie ich erst jetzt hier ist – das ist eine Entscheidung. Aus Angst vielleicht. Angst davor, etwas Teil werden zu lassen, das sowieso schon Teil ist.
Robens und Jackson haben Wiener Theatergeschichte geschrieben. Und trotzdem spürt Robens, dass die Arbeit noch lange nicht getan ist. “Ich liebe diesen Beruf. Ich liebe es zu spielen“. Aber am schönsten sei es, wenn ihre Arbeit auch Bedeutung habe. “Ich glaube an diese politische Kraft vom Theater.“
Sichtbarkeit als Versprechen
Robens weiß, was ihre Präsenz auslöst. Für viele junge POCs, die von einer Schauspielkarriere träumen, ist sie mehr als eine Darstellerin – sie zeigt Möglichkeiten auf. Sie ist eine Antwort auf die oft stille Frage: Kann ich da überhaupt hin? ”Ich hätte es schön gefunden, wenn ich meinem jüngeren Ich zeigen hätte können, dass jemand wie ich hier sein kann.“
Ich sage ihr, dass sie genau das tut – jeden Abend, auf dieser Bühne. Auch wenn ihre Sichtbarkeit mit Verantwortung einhergeht. Sie nickt. “Es gibt noch so viel zu tun. Es ist auch eine Verantwortung. Es muss weitergehen. Es muss wachsen.“ Was Robens fordert, ist ein Kulturwandel. Und was sie verkörpert, ist Hoffnung. “Es sind immer noch inakzeptable Verhältnisse”, sagt sie.

Es muss weitergehen. Es muss wachsen.