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Die Regierung Kurz und ihr Regieren im Dunkeln

Warum hat die Regierung die Corona-Beschränkungen völlig falsch kommuniziert? Warum ist das ÖVP-nahe Rote Kreuz so präsent? Welche Konzerne bekommen Staatsgelder? Und warum wissen wir nicht, wer in den Krisenstäben sitzt? Die Transparenz der Regierung Kurz lässt zu wünschen übrig.

„Ihre Bundesregierung und das Rote Kreuz.“ Egal ob es um Babyelefanten geht, um Masken oder darum, „auf dich und mich“ zu schauen: Der Hinweis auf die Regierung und die bekannte Hilfsorganisation ist im Fernsehen, den Zeitungen und im Radio dauerpräsent. Doch warum eigentlich genau das Rote Kreuz? Warum nicht auch der Arbeiter-Samariter-Bund oder die Johanniter? Und warum überhaupt eine private Hilfsorganisation so herausheben?

ÖVP-nahe Konzerne finanzieren

Bereits bis Mitte April soll die Bundesregierung für Inserate im Rahmen der „Schau-auf-Dich“-Kampagne bis zu 15 Millionen Euro ausgegeben worden sein, berichtet der Standard. Steuergelder wohlgemerkt. Die Entwicklung der Kampagne hatte 440.000 Euro gekostet – kurzfristig finanziert von den äußerst ÖVP-nahen Konzernen Raiffeisen und Erste Bank. Das Geld für die Kontakt-App des Roten Kreuzes kam vom ebenfalls ÖVP-nahen Uniqa-Versicherungskonzern.

 Dass auch das Rote Kreuz der ÖVP nahesteht, wäre eine höfliche Untertreibung. Präsident Gerald Schöpfer saß mehrere Jahre für die ÖVP im steirischen Landtag, ein Jahr war er sogar Mitglied der Landesregierung. Sein Vorgänger als Rot-Kreuz-Präsident, Alfred Mayer, war gar fast zwanzig Jahre ÖVP-Regierungsmitglied in Vorarlberg. Daneben arbeitete er auch für die Uniqua, die jetzt mit einer Finanzspritze eingesprungen ist. Bei dieser stramm-schwarzen Versicherung war übrigens einst auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Praktikant.

Was also faktisch passiert ist: ÖVP-nahe Konzerne finanzieren eine ÖVP-nahe Hilfsorganisation. Und die kann dann mit Steuergeldern der ÖVP-geführten Regierung über Wochen werbewirksam eine Dauerpräsenz in den Medien aufbauen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Schwarz und Schwarz gesellt sich gern

Bereits von Beginn der Corona-Krise an arbeitete die Regierung eng mit dem Roten Kreuz zusammen. Die private Hilfsorganisation wurde sogar zur zentralen Beschaffungsstelle der Republik, etwa für Masken oder Beatmungsgeräte. Warum gerade das Rote Kreuz beauftragt wurde?

„Begründungen: Dringlichkeit und Alternativenlosigkeit“, heißt es laut Falter dazu lakonisch in einem internen Papier des „Staatlichen Krisen und Katastrophenschutzmanagement“ (SKKM). Die Koordinationsstelle SKKM ist im ÖVP-geführten Innenministerium angesiedelt.

Nebeneffekt: Das Rote Kreuz unterliegt nicht den staatlichen Kontrollmechanismen. Damit ist etwa weit schwieriger herauszufinden, ob bestimmte Anbieter bei der Beschaffung bevorzugt werden. Faktisch ist das Rote Kreuz – ebenso wie andere Hilfsorganisationen – sicherlich qualifiziert zur Unterstützung. Dennoch bleibt die exklusive Zusammenarbeit der Regierung mit einer ÖVP-nahen Hilfsorganisation – bis hin zu gemeinsamen Werbekampagnen – mindestens fragwürdig. 

Wer entscheidet in den Krisenstäben?

Überhaupt ist es sehr schwierig, herauszufinden, wer wann und worüber entscheidet. Der Katastrophenstab SKKM ist dafür ein gutes Beispiel. Laut Innenministerium seien die “Hauptakteure” die Säulen Wirtschaft, Bürger, Einsatzorganisationen, Behörde sowie Wissenschaft. Diese Säulen würden jeweils mit dem SKKM interagieren. In einem „Koordinationsausschuss“ wären zusätzlich auch „externe Experten“ eingebunden.

Allein: Es ist bis heute unklar, wer hier eigentlich aller beteiligt ist und – mindestens ebenso wichtig – wie und auf welcher Basis diese Personen ausgewählt werden. Welche BeamtInnen im SKKM vertreten sind, ist nicht öffentlich, auf den täglichen Briefings, die an die über achtzig TeilnehmerInnen gemailt werden, steht laut Falter fett in rot-gelb markiert „ausnahmslos stabsintern“.

Flüchtlinge statt Corona

Offensichtlich ist aber jedenfalls, dass der SKKM während der Corona-Krise auch politische Aufgaben im Sinne der ÖVP umsetzen wollte. Am 4. März lautet die Tageslosung für die Medien laut Falter beispielsweise: „Sachliche Berichterstattung: ‚Stabile Lage‘ – Thematische Ablösung durch ‚Flüchtlingsfrage'“.

In diesen Tagen hatte der Streit zwischen EU und Türkei um die Aufnahme geflüchteter Menschen einen neuen Höhepunkt erreicht. Unter dem Kapitel „Öffentlichkeitsarbeit“ finden sich zusätzlich Hinweise auf vorteilhafte Auftritte des Kanzlers in der Kronen Zeitung.

Eine wichtige Rolle in den Entscheidungen dürfte auch die „Taskforce Corona“ im Gesundheitsministerium von Rudolf Anschober (Grüne) spielen. Deren Mitglieder sind auf der Seite des Gesundheitsministeriums zwar offen gelegt. Doch nach der Veröffentlichung des Ergebnisprotokolls der allerersten Sitzung am 28. Februar war dann auch schon wieder Schluss mit der Transparenz. Neuere Protokolle sind auf der Seite des Ministeriums nicht zu finden.

Im Hintergrund werden neoliberale Weichen gestellt

Bereits jetzt wird intensiv diskutiert, wie die Corona-Krise künftig gehandhabt werden soll. Eine wesentliche Aufgabe dabei spielt das neu gegründete “Future Operations Clearing Board”, angesiedelt im Bundeskanzleramt.

Geleitet wird das Board von Thomas Starlinger, ehemaliger Verteidigungsminister in der Regierung Bierlein und Adjutant des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen sowie von der Kurz-Vertrauten Antonella Mei-Pochtler. Doch weit auffälliger als die türkis-grüne Melange an der Spitze sind die weiteren Beteiligten.

Arbeitsmarkt ohne ArbeiterInnen 

Für den Bereich Wirtschaft/Arbeitsmarkt etwa sind gerade einmal fünf Player nominiert: Neben der Universität Wien sowie den traditionell großkoalitionären Instituten WIFO und IHS sind nur noch zwei einschlägig neoliberale Organisationen an Bord. Andere ExpertInnen – wie VertreterInnen von ArbeitnehmerInnen oder Arbeitslosen – waren offenbar nicht gefragt. Warum? Weiß man nicht.

Eingebunden ist stattdessen einerseits „EcoAustria“, ein Institut, das 2011 mit Geldern der Industriellenvereinigung gegründet wurde. Der zweite einschlägige Player ist „Economica“ – dessen Vorstand Christian Helmenstein gleichzeitig Chefökonom der Industriellenvereinigung ist. Durchaus absehbar, dass die Vorschläge aus solchen Gremien auf eine Belastung der Masse der Bevölkerung abzielen – während Superreiche ungeschoren davonkommen.

Wer kontrolliert, wer kassiert?

Unternehmen, die in diesen Tagen Anträge für den Corona-Härtefall-Fonds stellen wollen, müssen das über die ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer tun. Warum mit der Umsetzung nicht etwa eine Behörde, beispielsweise das Finanzamt, beauftragt wurde, bleibt unklar.

Enorm undurchsichtig ist auch die Vergabe der Milliarden-Staatshilfen über die neu gegründete COFAG, die „Covid-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH„. Insgesamt 15 Milliarden an Kredithilfen kann die COFAG vergeben, dazu kommt Geld für Unternehmen, die Umsatzrückgänge haben. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) kündigt an, „dass einige Milliarden Euro ausgezahlt werden“.

Es seien „echte Subventionen im besten Sinne des Wortes“ für Unternehmen, ergänzt Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen. Irgendwelche Vorgaben, beispielsweise in Hinblick auf das Vermögen der AntragstellerInnen, werden von Blümel und Kogler nicht genannt. Kurzfristige Kontrollmöglichkeiten für die Vergabe der COFAG-Milliarden gibt es ebenfalls nicht. (Hier findet ihr meine ausführliche Recherche über die COFAG.) Welche Firmen kassieren, bleibt ebenfalls unbekannt.

Das Desaster mit den Ausgangsbeschränkungen

Und schließlich ist da noch das offenbar bewusst geschürte Chaos um die Ausgangsbeschränkungen. Es gäbe „nur drei Gründe hinauszugehen.“ So behauptete es Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 14. März in Interviews und via Twitter. Diese drei Gründe seien Arbeit, notwendige Besorgungen oder die Unterstützung anderer Menschen. Immer wieder wurde dieses Mantra in den folgenden Tagen wiederholt. Einmal waren es drei Gründe, dann vier.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) etwa sprach in einer Pressekonferenz am 5. April von vier Gründen. Das Verlassen der Wohnung sei zusätzlich erlaubt, „wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, um spazieren zu gehen oder Sport zu treiben“. Das Problem all dieser Behauptungen: Sie sind schlichtweg falsch – und Kurz, Nehammer und Co müssen das genau gewusst haben.

Der unterschlagene fünfte Grund

Denn bereits am 15. März 2020 veröffentlichte das Gesundheitsministerium die entscheidende Verordnung Nummer 98, die die Corona-Ausgangsbeschränkungen regeln sollte. Laut dieser Verordnung gibt es aber weder drei noch vier Gründe, wie die Regierung immer wieder behauptet hat. Sondern es sind fünf.

Der entscheidende Unterschied: Die Verordnung regelte eindeutig, dass es zu jedem Zeitpunkt erlaubt war, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten – solange der Aufenthalt allein oder mit Personen im gemeinsamen Haushalt erfolgte und zu anderen Personen ein Mindestabstand von einem Meter eingehalten wurde. Es gab auch nie eine Einschränkung auf „Sport“ oder „Decken auf dem Kopf“.

Das hat auch bereits das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich am 12. Mai in einem Urteil eindeutig festgestellt. Genau das hat die Regierung aber über Wochen offenbar bewusst falsch kommuniziert. Diese falschen Informationen wurden sogar auf der offiziellen Seite der Republik, auf österreich.gv.at veröffentlicht. Auch die Stadt Salzburg informierte falsch. Besonders betroffen von den Falsch-Informationen der Regierung waren Menschen mit Migrationshintergrund.

 
Screenshot der ZIB/ORF - Faksimile einer Bestimmungen zu den Ausgangsbeschränkungen.

So hat etwa der staatliche „Österreichische Integrationsfonds“ – verantwortlich für Infos an Menschen mit Migrationshintergrund – über Wochen trotz Warnungen behauptet, dass Spaziergänge verboten wären. Ich habe das hier aufgedeckt. Das Innenministerium hat auch geflüchtete Menschen explizit falsch informiert. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach PolizistInnen rechtlich völlig absurde Anweisungen gegeben haben. Die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar einhalten? Fehlanzeige!

Wir sollten Bescheid wissen

Die Corona-Pandemie ist für uns alle Neuland. Wenn eine so gewaltige Krise auftritt, kann nicht alles im Vorhinein geplant werden, es kann nicht alles perfekt laufen, es können Fehler passieren. All das ist nur allzu verständlich.

Doch der Mindestanspruch wäre, dass die Öffentlichkeit korrekt, sauber und transparent informiert wird. Und das ist bisher auf vielen Ebenen nicht geschehen. Ganz im Gegenteil.

Du kannst Michael Bonvalot auf Facebook und Twitter folgen.

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