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Ungleichheit

Eine Sozialarbeiterin über ihre Arbeit am Jugendamt: “Kinder werden in diesem Land schlecht geschützt”

Ein Kind versteckt sich unter Polster. Bebildert wird damit ein Beitrag über Soziale Arbeit beim Jugendamt.
Häusliche Gewalt nimmt seit der Corona-Krise zu. Das Jugendamt Salzburg verzeichnet ein Drittel mehr Fälle. Eine Sozialarbeiterin erzählt, warum sich das jahrelange tot sparen in der Jugend- und Kindersozialarbeit nun besonders rächen wird.
Eine Sozialarbeiterin über die bedenkliche Ressourcenknappheit am Jugendamt. Aufgrund der Corona-Krise befürchtet sie, dass es zu mehr Gewalt in der Familie kommt - zumindest das Jugendamt in Salzburg meldet seit der Krise ein Drittel mehr Fälle.
Jana (Name von der Redaktion geändert) hat vor Jahren in einem Jugendamt gearbeitet. Als Sozialarbeiterin musste sie Familien besuchen, bei denen die Behörden aus verschiedensten Gründen handeln mussten. Im schlimmsten Fall gab es in der Familie Gewalt und sie musste die Kinder abnehmen. Jana erlebte bereits damals eine bedenkliche Ressourcenknappheit und fühlte sich oft überfordert. Aufgrund der Corona-Krise befürchtet sie nun, dass viele Kinder in Gefahr sind – zumindest das Jugendamt in Salzburg meldet seit der Krise ein Drittel mehr Fälle.

 

Ich dachte immer, dass in Österreich alles getan wird, um Kinder zu schützen und hier keine Kosten und Mühen gescheut werden. Doch schon kurz, nachdem ich meine Ausbildung als Sozialarbeiterin abgeschlossen habe, musste ich erfahren, dass das nicht so ist. Ich habe in der Kinder- und Jugendhilfe gearbeitet, was umgangssprachlich einfach Jugendamt genannt wird. Kinder haben keine Lobby und so wird hier an einer völlig falschen Stelle gespart.

 

Viele arbeiten nicht lange am Jugendamt

Ich habe zum Glück nicht direkt nach meiner Ausbildung am Jugendamt gearbeitet, wie viele andere, ich hatte schon etwas Erfahrung. Aber für die meisten ist es der erste Job und man wird einfach ins kalte Wasser gestoßen. Viele Jugendämter suchen händeringend SozialarbeiterInnen, doch sie eben oft nur junge Menschen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben – denn KollegInnen mit mehr Erfahrung wissen, dass sie den Job dort mit den vorhandenen Ressourcen einfach nicht verantwortungsvoll machen können. Kein Wunder, dass sich dann alle überfordert fühlen und nicht lange bleiben.

 

SozialarbeiterInnen werden von Familien als Gefahr gesehen

Als Sozialarbeiterin wirst du von den Familien, die du besuchst, grundsätzlich als Bedrohung wahrgenommen. Auch, wenn du wirklich nur helfen willst. Niemand wird gerne vom Jugendamt überprüft. Viele wollen nicht einsehen, dass es notwendig ist. Einmal hatte ich etwa mit einer psychisch kranken Frau zu tun, die mit der Nahrungsversorgung ihres Babys schlichtweg überfordert war. Es war so dehydriert, dass es fast gestorben wäre. Das sind also wirklich belastende Momente.

 

Kindesabnahmen sind auch für SozialarbeiterInnen belastend

Eine Kindesabnahme geschieht nie leichtfertig. Und auch hier muss genau überlegt werden, ob das Kind lieber innerhalb der Familie, etwa den Großeltern, untergebracht werden soll, oder welche Pflegeeinrichtung die beste für das Kind ist. Denn für sie ist es immer schrecklich und traumatisierend, wenn sie von zu Hause weg müssen.

Einmal musste ich eine Familie besuchen, die zwei Kinder hatte. Die jüngste Tochter musste abgenommen werden. Der ältere Sohn verfiel immer in Panik, wenn ich kam, da er Angst hatte, dass ich ihn auch wegbringe – auch wenn das damals nicht zur Debatte stand. Ich wusste da nie, was ich machen soll. Und auf genau solche Situationen wurde ich nicht vorbereitet. Hier hätte es einfach viel mehr Schulungen und Supervision geben müssen. Es sollte klarer definiert werden, was eine Gefährdung ist, es bräuchte klare, praxistaugliche Richtlinien mit ausgearbeiteten und klaren Richtlinien. Es braucht Ressourcen in der Planung und es braucht hochwertige Fortbildungen um aktuelle Entwicklungen zu kennen und nicht nur an der Oberfläche zu arbeiten.

 

SozialarbeiterInnen erleben oft bedrohliche Situationen

Und oft befand ich mich sogar in gefährlichen Situationen: Einmal musste ich etwa aufgrund einer Wegweisung zu einer Familie gehen. Der Vater ist gewalttätig geworden, Nachbarn haben die Polizei gerufen. Wenn das passiert, sollten immer zwei Personen die Familie besuchen, aber es gibt eben oft zu wenige SozialarbeiterInnen und so wurde von mir verlangt, dass ich alleine hingehe. Ich habe dann aber darauf bestanden, dass jemand von den KollegInnen mitkommt. Und tatsächlich war der Familienvater zu Hause, obwohl er nicht dort sein hätte dürfen. Jeder kann sich ausmalen, was passieren kann, wenn ein gewalttätiger Mann die Nerven verliert.

 

Zu wenig Zeit um Familiensituation richtig verstehen zu können

Die Probleme innerhalb von Familien können sehr komplex sein. Und deshalb braucht es Zeit, um zu verstehen, wie die Lage ist und vor allem – wie man am besten helfen kann. Doch oft siehst du nur eine Momentaufnahme und alle verhalten sich unauffällig, da sie eben wollen, dass du so schnell wie möglich wieder gehst und sie in Ruhe lässt. Einmal war ich bei einer Familie, da stand der Großvater im Verdacht, gewalttätig gegenüber dem Enkelkind zu sein. Beim Besuch hatte ich auch das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber oft fehlen die Beweise für so schlimme Taten. Und es kommt nicht selten vor, dass Kinder, die missbraucht werden, sich für ihre Täter einsetzen – denn sie haben trotz allem eine Beziehung zu diesem Menschen aufgebaut und du bist eine Fremde für sie. Da sind dir dann die Hände gebunden.

Zu wenig Zeit, zu wenig Ressourcen

Ich bin oft mit einem schlechten Gefühl nach Hause gegangen und habe mich gefragt, ob ich das richtige getan habe. Denn schließlich geht es hier um das Leben von Kindern. Ich musste wirklich verantwortungsvolle und schicksalhafte Entscheidungen treffen und das oft in kürzester Zeit. Die Ressourcen waren einfach immer knapp. Natürlich auch was Therapieeinheiten oder andere Unterstützungsangebote für Familien betrifft, die dringend Hilfe brauchen.

 

Dem Burnout nahe und Job hingeschmissen

Ich habe den Job nur ein paar Jahre gemacht, dann habe ich hingeschmissen. Hätte ich es nicht getan, so hätte ich bestimmt ein Burnout entwickelt – wie einige KollegInnen damals. Heute arbeite ich in einer Einrichtung für obdachlose Menschen. Ich denke aber noch immer oft an meine Zeit beim Jugendamt. Ich bekomme die hohe Fluktuation mit und mir tun die jungen SozialarbeiterInnen leid, die diesen schweren Job machen müssen und wie ich damals nun völlig überfordert damit sind.

Ich betreue viele obdachlose KlientInnen, bei denen oft seit der Kindheit viel schiefgelaufen ist. Und da denke ich mir, ob es in ihrem Leben nicht besser laufen hätte können, wenn das Jugendamt rechtzeitig und richtig reagiert hätte.

 

Könnte viel Leid verhindert werden

Und seit meiner Zeit hat sich bestimmt noch einiges verschlechtert. So wurde zum Beispiel die Dokumentation mit den Jahren immer aufwendiger, da bleibt dann noch weniger Zeit für die Familien. Und die Corona-Krise wird zu noch mehr Konflikten in Familien führen. Kinder werden in diesem Land schlecht geschützt. Es könnte so viel Leid verhindert werden, wenn die Jugendämter nicht schon seit Jahren kaputt gespart werden würden.

 

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