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Stille Nacht, einsame Nacht

Stille Nacht, einsame Nacht
Es gibt Initiativen, die dafür sorgen, dass Menschen an Weihnachten weniger allein sind. Wie die Cariatas-Wärmestube. Foto: Caritas
Weihnachten gilt als das Fest der Familie, der Gemeinschaft und der Geborgenheit. Doch was passiert, wenn genau das fehlt? Wenn man Weihnachten allein ist. Initiativen der Caritas, wie die Wärmestuben oder das Plaudernetz, sorgen dafür, dass Menschen sich in dieser Zeit weniger alleine fühlen. 

Einsamkeit in der Weihnachtszeit hat viele Gründe, Facetten und Gesichter: Ob es das erste Fest nach dem Verlust eines geliebten Menschen ist; das Gefühl der Verlassenheit, weil die Familie in den Urlaub fährt und jemand zurückgelassen wird; die Funkstille nach einem Streit mit den Liebsten; oder weil das Geld fehlt, um an Dingen teilnehmen zu können. Für solche Momente öffnen die Wärmestuben der Caritas ihre Türen – wie etwa jene im 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus.

Jutta war Krankenpflegerin und engagiert sich seit ihrer Pensionierung in dieser Wärmestube. In den Wintermonaten öffnet die jeden Dienstag von 11:00 bis 14:30. Jutta erzählt, dass sie während der Zeit, in der sie noch im Krankenhaus gearbeitet hat, oft freiwillig am 24. Dezember Nachtdienst hatte. Dort hat Jutta gemerkt, dass Einsamkeit zu Weihnachten ein Problem ist: “Eine Frau hat sich ihren Termin extra auf Weihnachten gelegt, damit sie nicht alleine zu Hause sein muss. Wir haben in unserer Station einen Weihnachtsbaum aufgestellt, Musik gespielt und sind mit den Patient:innen zusammengesessen.” 

Manche auch am 24. Dezember offen

Für Jutta war klar, dass sie auch in ihrer Pension für andere Menschen da sein möchte. Die Wärmestube im 15. Bezirk ist eine von wenigen, die auch am 24. Dezember von 9:00 bis 12:30 Uhr geöffnet hat. Am Nachmittag finden in der Pfarre Gottesdienste statt. 

Bereits im September wurden für diesen Öffnungstag Freiwillige gesucht, denn neben Ehrenamtlichen, die vor Ort sind, braucht es genügend Essen und Trinken für die Gäste. Das Miteinander ist ein zentraler Bestandteil der Initiative “Wärmestuben”. “Gerade zu Weihnachten brauchen Menschen ein Miteinander. Die gesellschaftlichen Erwartungen, dass alle mit ihren Familien feiern, üben Druck auf Menschen aus, die nicht wissen, wo und wie sie die Feiertage verbringen sollen”, erklärt Jutta. 

Ansteckendes Engagement

Viele Besucher:innen suchen lieber die Gesellschaft von Fremden, bevor sie ganz alleine bleiben. Deshalb hat sie sich dafür eingesetzt, dass die Wärmestube auch an Weihnachten geöffnet bleibt. Juttas Familie hat Verständnis dafür, dass sie am 24. Dezember hilft: „Meine Schwester fand das so toll, dass sie heuer auch mit dabei ist.“  

“Ich möchte, dass unsere Gäste nicht nur die Wärme der Heizung spüren, sondern auch die Wärme, die sich in der Stube breitmacht: die Ruhe, den Frieden und das Gefühl: ‚Mir kann hier nichts passieren. Ich muss nicht alleine sein‘“, beschreibt Jutta ihren Anspruch.

Schöner Zuspruch mit Beigeschmack

Im Süden der Stadt, in Stadlau im 22. Wiener Gemeindebezirk, leitet Kurt seit 2017 die PfarrCaritas. Dort hat er im Januar 2019 eine Wärmestube eröffnet, die von Mitte Dezember bis Ende März jeden Dienstag von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet hat. Die Gäste kommen gerne: „Eine 90-jährige Dame hat mich schon im November gefragt, wann wir denn unser ‚Kaffeehaus‘ wieder aufsperren“, erzählt Kurt.

Einerseits freut ihn der Zuspruch, andererseits macht es ihn traurig, dass Wärmestuben so dringend nötig sind. Kurt nimmt wahr, dass Anzahl der Menschen, die Wärmestuben aufsuchen steigt: Waren es 2019 noch 18 Gäste, besuchen 2024 mittlerweile rund 61 Menschen die Wärmestube pro Öffnungstag.

Helfen als Herzensanliegen

Die Motivation, sich ehrenamtlich für Menschen in Not einzusetzen, prägt Kurt schon seit Langem. Er engagiert sich bereits seit Jahren in verschiedenen Pfarren und war dabei unter anderem für die Finanzen verantwortlich. Das ist kein Zufall: „Ich habe 40 Jahre in einer Bank gearbeitet“, erzählt er.

Sein Engagement begann 2015 mit der Flüchtlingskrise, während der Kurt am Hauptbahnhof mit anderen Freiwilligen um die ankommenden Menschen gekümmert hat. Zu Helfen wurde für ihn ein „Herzensanliegen“. 

Personal fehlt – gerade am 24. Dezember

Heuer veranstaltet er zum zweiten Mal auch eine „Advent-Wärmestube“ – ein Art Weihnachtsfeier am letzten Öffnungstag vor Weihnachten. Schüler:innen der International Music Academy musizieren, Kurt und seine Kolleg:innen lesen Geschichten vor und am Schluss wird gemeinsam gesungen: „Stille Nacht, heilige Nacht“. Die Feier dauert nur etwa eine Stunde, für viele Menschen ist es das erste weihnachtliche Beisammensein seit Jahrzehnten. Kurt hätte die Wärmestube auch gerne an Heiligabend eröffnet, leider fehle es an Personal für die Küche. 

Eine Geschichte hat Kurt besonders berührt: “Vor einigen Jahren habe ich längere Zeit mit einem Mann gesprochen. Zum Schluss hat er zu mir gesagt: ‘Vielleicht habe ich jetzt viel Blödsinn gesagt, aber es ist so schön, wenn mir einmal jemand zuhört.’” 

Es braucht strukturelle Maßnahmen

In Wien und Niederösterreich betreibt die Caritas derzeit 42 pfarrliche Wärmestuben, darunter drei, die speziell für Frauen eingerichtet wurden. Über 1.200 Freiwillige engagieren sich hier, kochen, servieren Mahlzeiten und schaffen Raum für Gespräche. In der vergangenen Saison wurden mehr als 20.300 Besuche gezählt. 

Viele der Gäste kommen regelmäßig. Durch die Teuerung der letzten Jahre suchen zunehmend Menschen Hilfe, die zwar eine Wohnung haben, sich aber das Heizen oder eine warme Mahlzeit nicht mehr leisten können.

Besonders herausfordernde Weihnachtszeit

Caritasdirektor Klaus Schwertner sieht ebenfalls einen größeren Bedarf an Angeboten in den Wintermonaten: „Armut und Einsamkeit gibt es 365 Tage im Jahr. Doch gerade die Vorweihnachtszeit ist für Betroffene oft besonders belastend.” Viele Dinge, die zu Weihnachten gehören, sind für Armutsbetroffene nicht leistbar.  “Für Personen, die sich einsam fühlen und vielleicht niemanden haben, mit dem sie diese Zeit verbringen können, ist der Dezember rund um Weihnachten und den Jahreswechsel die traurigste Zeit des Jahres.“

Neben niederschwelligen Angeboten, brauche es Schwertner zufolge auch dringend langfristige strukturelle Maßnahmen: „Wir fordern daher von einer zukünftigen Bundesregierung etwa eine Reform der Sozialhilfe Neu wieder hin zu einer echten Mindestsicherung – mit Mindeststandards statt Höchstsätzen und mit einer eingebauten Kindergrundsicherung.“

Als Caritas wünsche er und seine Kolleg:innen sich außerdem einen umfangreichen ‚Pakt gegen Einsamkeit‘, der eine ministeriumsübergreifende Strategie sowie eine von der Regierung beauftragte Person oder ein Staatsekretariat für Pflege, Betreuung und gegen Einsamkeit beinhaltet.

Unterstützung über das Telefon

Für Menschen, die nicht in die Wärmestuben gehen können oder wollen, bietet die Caritas mit dem Plaudernetz eine ortsunabhängige und flexible Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Österreichweit sind rund 4.200 Plauderpartner:innen registriert, die einsamen Menschen zuhören und ihnen ihre Zeit schenken.

Marlies, eine erfahrene Plauderpartnerin und ehemalige Mitarbeiterin in der Telefonseelsorge, engagiert sich auch seit ihrer Pensionierung ehrenamtlich beim Plaudernetz. Gerade zur Weihnachtszeit sei die Einsamkeit für viele Menschen noch schmerzhafter, erzählt sie: „Ich habe einmal mit einer Frau gesprochen, deren Mann verstorben ist. Sie hatte den ganzen Tag auf ihre Familie gewartet, doch niemand kam. Schließlich machte sie es sich mit einer Kerze gemütlich und wir haben lange geplaudert.“

In der dunklen Jahreszeit verzeichnet die Caritas einen Anstieg der Anfragen beim Plaudernetz, und insbesondere zum Jahresende wird mit einer weiterhin hohen Zahl an Anrufen gerechnet. Um die Feiertage werden rund 25% mehr Gespräche geführt.  Marlies betont, wie wichtig es sei, einfach da zu sein: „Das Füreinander-Dasein und die Gefühle des Gegenübers zu bestätigen, ohne gleich einen Aktionsplan zu erstellen, hilft den Anrufer:innen am meisten.“ Auch an diesem Heiligabend wird Marlies verfügbar sein und Anrufe entgegennehmen. Sie freut sich schon darauf. Auch Jutta und Kurt blicken den weihnachtlichen Wärmestuben vorfreudig entgegen: „Es ist ein gutes Gefühl, anderen etwas Gutes zu tun“. 

Direkte Suche nach Gleichgesinnten

Eine weitere Initiative, die sich seit Jahren Einsamkeit zu Weihnachten widmet ist „keinerbleibtallein“. Die Vermittlungsplattform bringt in Österreich, Deutschland und der Schweiz Menschen zusammen, die über Weihnachten und Silvester alleine sind. Interessierte können sich über den Facebook-Messenger oder Instagram Direct melden und ein Angebot oder Gesuch einreichen. Über 20.000 haben das bisher schon gemacht.

Das Team vermittelt anschließend diskret passende Kontakte aus der jeweiligen Region und stellt diese einander vor. Ob ein Treffen stattfindet, entscheiden die Teilnehmenden selbst. Die Dauer der Vermittlung hängt von der Anzahl der Teilnehmenden in der Umgebung ab. Unterstützung ist möglich, indem man auf die Aktion aufmerksam macht oder über „Wir Weihnachten“ Veranstaltungen erstellt oder daran teilnimmt.

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