Mareike Fallwickl: “Für das Fest der Liebe sind die Frauen zuständig”
MOMENT.at: Weihnachten steht vor der Tür, für manche die “schönste Zeit des Jahres”. Aber wie sieht diese Zeit für viele Frauen aus?
Mareike Fallwickl: Für Frauen ist diese Zeit hoffentlich auch schön. Aber oft sehr stressbeladen, weil wir aktuell alles untrennbar eng mit Weiblichkeit verknüpfen, was mit Fürsorge zu tun hat, mit Zusammensein, Ritualen und Beziehungsarbeit. In den Augen unserer Gesellschaft sind Frauen für dieses Fest der Liebe zuständig – für das Essen, Schmücken, Basteln, Backen, Schenken und dafür, dass alle es gemütlich haben und sich wohlfühlen. Das sind für uns keine männlich konnotierten Aufgaben.
Man stelle sich vor, Männer würden wochenlang planen, überlegen, besorgen, verpacken und dann – bescheiden schweigend und nachsichtig lächelnd – zulassen, dass ihre ganzen Mühen erfundenen Fantasiefiguren zugeschrieben werden, Männer würden keine Anerkennung und Dankbarkeit einfordern, sondern rufen: “Ach, das ist aber lieb vom Nikolaus, vom Weihnachtsmann, vom Christkind!”
MOMENT.at: Warum ist es eigentlich so selbstverständlich, dass Frauen die Arbeit erledigen?
Fallwickl: Es ist nicht zwingend in allen Haushalten selbstverständlich, aber generell hat es mit den fest zementierten Rollenbildern zu tun, nach denen wir momentan leben. Frauen lernen von klein auf, diese Tätigkeiten zu übernehmen – von Mädchen wird etwa 50 Prozent mehr Hilfe im Haushalt verlangt als von Buben – und sich dafür verantwortlich zu fühlen. Sie wissen, dass alle das so sehen, dass niemand beim Betreten der Wohnung denken wird “Ach, der Manfred hat aber nicht ordentlich geputzt”, sondern “Na, die Petra könnte mal wieder staubsaugen”.
Auch die eigenen Partner sagen oft, statt die Frauen zu unterstützen, Dinge wie: “DU willst es doch schön haben, entspann dich halt mal, mach DIR doch nicht so einen Stress”, während sie von der fürsorglichen und emotionalen Arbeit der Frauen profitieren.
Eine Frau allein kann man leicht beiseite schubsen. Viele Frauen, die zusammenstehen, jedoch nicht.
MOMENT.at: In “Und alle so still” spielen Sie mit dem Gedanken einer Welt, in der Frauen die von ihnen erwartete Arbeit nicht mehr ausführen. Ist das eigentlich Utopie oder Dystopie?
Fallwickl: Weder noch oder vielleicht beides – so oder so wäre es eine logische Entwicklung, denn Frauen könnten das Zusammenleben, wie wir es kennen, sowie die gesamte Ökonomie in kürzester Zeit zum Erliegen bringen. Ausgangspunkt dafür war, dass ich wegen meines Romans “Die Wut, die bleibt” auf vielen politischen Bühnen saß und bei den Diskussionen über Care-Arbeit als Wirtschaftsfaktor jedes Mal am Ende der Satz “Ohne Sorgearbeit bricht das System zusammen” fiel.
Ich wollte diesen Satz zu einem Anfang machen und auf literarische Weise herausfinden: Was soll das bedeuten? Wie schnell bricht ein System zusammen, wo fängt es an zu bröckeln, wer merkt es als Erstes – und welche Konsequenzen hat es für uns alle?
MOMENT.at: Wie reagieren Männer darin auf eine Welt ohne weiblicher Care-Arbeit? Was ist die Konsequenz für Frauen?
Fallwickl: Die Staatsgewalt – das ist so ein schönes, für sich sprechendes Wort – reagiert mit Eilgesetzen und Verhaftungen, die Regierung steht vor dem Problem: Wenn Menschen, deren Arbeit nicht gewertet, nicht gewürdigt und nicht bezahlt wird, die für diese Tätigkeiten keinen Vertrag haben und keine legale Verpflichtung, wenn diese Menschen diese Arbeit nicht mehr machen, was willst du dann tun?
Die Männer versuchen, die Frauen zu zwingen, damit sie wieder aufstehen, wieder funktionieren – und das ist eine Reaktion, die oft typisch ist, weil Männern beigebracht wurde, dass sie ein Recht haben auf die Verfügbarkeit von Frauen. Sobald Frauen diese Verfügbarkeit entziehen, beispielsweise durch eine Trennung, geraten sie oftmals in Gefahr. Im Roman sind die Frauen aber nicht mehr isoliert und vereinzelt, sie sind eine sehr große Gruppe. Eine Frau allein kann man leicht beiseite schubsen. Viele Frauen, die zusammenstehen, jedoch nicht.
MOMENT.at: Solidarität unter Frauen, die Übernahme von Care-Arbeit, Verweigerung und Streik – es sind alles Themen, die wir eigentlich schon länger diskutieren. Gleichzeitig scheinen Frauenhass und traditionelle Rollenbilder wieder auf dem Vormarsch. Sehen Sie in den vergangenen Jahren Fortschritte – und was erwarten Sie von der Zukunft?
Fallwickl: Zu diesem Backlash gibt es viel Wissen und Forschung. Man sieht deutlich im Lauf der Jahrhunderte, dass jede Emanzipation durch patriarchale Mechanismen wieder zurückgedrängt wird, dass sie ständig neu erkämpft werden muss. Die Frauen vor uns haben viele Fortschritte erreicht, die uns heute selbstverständlich erscheinen und es vor wenigen Jahrzehnten noch nicht waren.
Was mir Hoffnung macht, ist, dass ich bei meinen Workshops an Schulen viele junge Menschen erlebe, die sehr interessiert und informiert sind, die strukturelle Ungerechtigkeiten erkennen und benennen können und die einen enormen Wissensvorsprung haben im Vergleich zu meiner Generation. Das verschafft ihnen im Kampf um Gleichberechtigung einen Startvorteil, aber ich finde es unfair, dieser nächsten Generation alles umzuhängen mit einem lapidaren “sorry, wir haben es nicht hingekriegt, viel Glück” – vielmehr müssen WIR dafür sorgen, dass die Jüngeren nicht gegen dieselben Hindernisse laufen. Wir müssen ihnen alles Wissen, das wir uns erarbeitet haben, an die Hand geben und ihnen den Weg freiräumen.
Die neuen Väter, die sind ja da. Es gibt Männer, die sich mit den veralteten Rollenbildern auseinander setzen und nach einer liebevollen, zugewandten Männlichkeit streben, die Zeit mit ihren Kindern verbringen und sich an der Care-Arbeit beteiligen.
MOMENT.at: Sie sind auch in sozialen Medien aktiv und äußern ihre Ansichten sehr direkt. War es für Sie eine Notwendigkeit, dass das auch so deutlich in ihre literarische Arbeit einfließt? Welche Entwicklungen waren für Sie persönlich ausschlaggebend, dass Sie sich so intensiv damit beschäftigen?
Fallwickl: Nein, gar nicht, der Weg war umgekehrt: Mein Ansatz ist immer ein literarischer. Ich will in erster Linie eine gute Geschichte erzählen. Als ich “Das Licht ist hier viel heller” geschrieben habe, ist zeitgleich #metoo passiert, und die Idee zu “Die Wut, die bleibt” hatte ich aufgrund der Nachrichten anderer Mütter im Lockdown. Die haben mir geschrieben “ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich spring jetzt einfach vom Balkon”.
So wurden die Romane von realen Ereignissen begleitet und inspiriert, die Zuschreibungen, dass sie “feministisch” und “empowernd” sind, kamen später von außen. Ich finde es interessant, gesellschaftsrelevante Themen aufzugreifen und Sprache dafür zu nutzen, um Geschichten zu weben, die verdeutlichen: So ist es jetzt. Aber so könnte es auch sein.
MOMENT.at: Ein Politiker ist in Österreich kürzlich zurückgetreten. Er hat das auch damit begründet, dass er ein Buch von Ihnen gelesen hat – er wolle Zeit mit seinen Kindern und der Familie verbringen. Doch ein sehr ungewöhnliches Ereignis. Wie ging es Ihnen damit? Würden Sie sich solche Reaktionen von mehr Männern erwarten – und was braucht es, damit wir uns als Gesellschaft in eine Richtung entwickeln, in der Männer selbstverständlich die Arbeiten machen, die wir als weiblich erachten?
Fallwickl: Es gab tatsächlich einige solcher Reaktionen von Männern. Sie waren bloß nicht derart öffentlichkeitswirksam wie der Rücktritt von Michael Lindner, der mein Buch in sämtliche Kameras gehalten hat. Die neuen Väter, die sind ja da. Es gibt Männer, die sich mit den veralteten Rollenbildern auseinander setzen und nach einer liebevollen, zugewandten Männlichkeit streben, die Zeit mit ihren Kindern verbringen und sich an der Care-Arbeit beteiligen.
Was diese Männer auf jeden Fall sind: ein Vorbild für ihre Söhne. Die sich ganz sicher an ihnen orientieren werden. Denn das, was uns vorgelebt wird, prägt uns sehr stark. Übrigens zeigen Studien, dass Männer, die Sorgearbeit übernehmen, glücklicher sind. Das soll kein Argument sein im Sinne von “beteilige dich, dann geht es dir besser”, aber dass das wissenschaftlich nachweisbar ist, finde ich faszinierend.