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Ungleichheit

Wichtel Challenge: Weihnachtsgeschenke, die eigentlich selbstverständlich sein sollten

Wichtel Challenge: Weihnachtsgeschenke, die eigentlich selbstverständlich sein sollten
Einmal halbwegs sorglos einkaufen gehen? Für viele Menschen ist das auch zu Weihnachten undenkbar. Mit der Wichtel Challenge und ähnlichen Aktionen soll zumindest das möglich sein
Mit Aktionen wie der Wichtel Challenge kannst du armutsbetroffenen Menschen zu Weihnachten einen Wunsch erfüllen. Das ist ein sinnvolles Geschenk. Ein Problem daran ist, dass es überhaupt gebraucht wird.

“Herr H. wünscht sich zu Weihnachten Hofer Gutscheine, damit er für sich und seiner Partnerin zu Weihnachten mehr Essen einkaufen kann.”

 

Weihnachtswünsche von Betroffenen

“Armut bedeutet immer einen Mangel an Möglichkeiten”, schreibt die Armutskonferenz in ihrer Definition von Armut. Was das für betroffene Menschen bedeutet, lässt sich auf der Seite der “Wichtel Challenge” nachlesen. Dort können Menschen, die von Sozialeinrichtungen betreut werden, Weihnachtswünsche einreichen. Wer helfen will, kann sich für einen Wunsch entscheiden und ihn erfüllen.

Ein neues Pfannen-Set, teure Gadgets oder schönen Schmuck? Solche “typischen” Weihnachtswünsche sucht man dort vergeblich. Es sind einfache, alltägliche Dinge, die sich viele Menschen nicht leisten können. Dinge, die für viele Menschen selbstverständlich sind, auch außerhalb der Weihnachtszeit. Manchmal sind das kleine Freuden, etwa ohne Sorgen einkaufen zu gehen. Es sind aber auch ganz grundsätzliche Bedürfnisse: Kleidung, um nicht zu frieren. Genügend Essen zu Weihnachten. Es sind ernüchternde Wünsche.

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Wie funktionieren die Wichtel Challenge und die Weihnachtsaktion von Ar-Mut?
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An der Wichtelchallenge nehmen nur soziale Einrichtungen teil. Dabei geht es nicht ausschließlich um Armutsbetroffene, sondern beispielsweise auch Kinderbetreuungseinrichtungen. Sie sammeln die Weihnachtswünsche der Menschen, die sie betreuen. Die Wünsche werden auf der Homepage der Challenge einzeln anonym veröffentlicht.

Wer einen Wunsch erfüllen möchte, kann sich dort einen oder mehrere aussuchen und bekommt dann die Adresse und eine Empfängererkennung. So kann man das Geschenk persönlich in die Einrichtung bringen oder hinschicken.

Für die Weihnachtsaktion von Ar-Mut wurden ebenfalls im Vorhinein Kinder-Wünsche gesammelt. Darüber hinaus wenden sich immer wieder Betroffene an Ar-Mut, denen man ein Weihnachtsessen oder einen Lebensmittel-Einkauf spendieren kann.

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“Wenn man wenig Geld hat, kann man sich nur ganz selten selbst etwas aussuchen. Ich würde sehr gerne wieder einmal durch ein Kaufhaus flanieren und mir frei nach Lust und Laune etwas kaufen. Ein 50€ Gutschein wäre daher ein großes Geschenk für mich!”

Weihnachtswünsche von Betroffenen

Wer bei der Wichtel Challenge seine Wünsche einschickt, wird auf die eine oder andere Weise betreut – es nehmen ausschließlich Sozialeinrichtungen daran teil, die die Wünsche ihrer Klient:innen einreichen. Für viele andere Menschen bleiben Weihnachtswünsche unerfüllt. Denn Armut beschränkt sich nicht nur auf die Menschen, die von Armutseinrichtungen betreut werden.

Einigen von ihnen will das Team von Ar-Mut aushelfen. Dort gibt es eine ähnliche Aktion, wenn auch etwas kleiner. Wie bei der Wichtel Challenge seien es nur sehr bescheidene Wünsche, etwa ein Zuschuss für einen Waschsalon oder Zugtickets, um die Großeltern besuchen zu können. “Eigentlich sollten das keine Weihnachtswünsche sein, sondern Selbstverständlichkeiten. Wir merken, dass sie sich Betroffene oft gar nicht trauen, sich überhaupt etwas zu wünschen”, sagt Angelika Kriechbaum von Ar-Mut.

Mit der Aktion wolle man für etwas Freude bei Armutsbetroffenen sorgen. Denn Weihnachten bedeute für sie trotz Vorfreude oder schöner Erinnerungen immer auch Mangel, Verzicht und Stress. Weihnachten koste eben Geld, das man woanders einsparen müsse. Vor allem Eltern würden ihren Kindern natürlich auch eine Kleinigkeit bieten wollen.

Ar-Mut will aber nicht nur armutsbetroffene Menschen unterstützen, sondern auch für Aufklärung sorgen. Denn Armut ist oft noch ein Tabu. Und es ist mit vielen Klischees behaftet.

Was bedeutet Armut in Österreich?

Armut ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Sie zu zeigen, ist für viele Menschen mit Scham verbunden. Wer etwa einen Sozialmarkt besucht, weil reguläre Lebensmittelpreise einfach zu teuer sind, macht das oft heimlich. Aber Armut verschwindet nicht, nur weil wir sie nicht wahrnehmen.

Die Zahlen zeigen das sehr deutlich. Etwas mehr als 1,3 Millionen Menschen in Österreich – das sind knapp 15 Prozent der Gesamtbevölkerung – sind armutsgefährdet. Diesen Punkt erreicht man, wenn man weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens im Monat zur Verfügung hat. 2023 lag der Wert bei 1.572 Euro. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto höher der Wert logischerweise. Bei zwei Erwachsenen und zwei Kindern liegt er bei 3.301 Euro.

“Erheblich materiell depriviert” ist, wer sich ganz grundlegende Güter gar nicht mehr leisten kann. Das kann etwa bedeuten, dass man die Wohnung nicht warm halten oder unerwartete Ausgaben nicht stemmen kann. In Österreich sind das 336.000 Menschen.

Die Krisen der vergangenen Jahre sind an den Zahlen nicht spurlos vorübergezogen. Für 2024 gibt es noch keine gesicherten Zahlen, doch Prognosen zeigen: Die Armut steigt in Österreich weiter an. Und auch die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander:

Doch Armut besteht aus viel mehr, als sich “nur” Sachen nicht leisten zu können. “Du vereinsamt so sehr. Du ziehst dich zurück und nimmst immer weniger am sozialen Leben teil”, so Kriechbaum. Wenn es etwa zu teuer wird, mit anderen Punsch trinken zu gehen, und man nicht mitgeht, weil man die Armut nicht zeigen wolle.

Es kämen viele Aspekte dazu, über die sich Menschen mit finanzieller Sicherheit keine Gedanken machen würden. Man werde etwa vom Zugang zu guter Gesundheitsversorgung immer mehr ausgeschlossen. Und man könne sich selbst und seinen Kindern nicht mehr die Möglichkeit geben, die eigenen Fähigkeiten auszuprobieren. Und: “Irgendwann verinnerlicht man die Klischees, die über Armut herrschen und schämt sich für sich selbst.”

“Ich wünsche mir bitte Theaterkarten für Cats in Linz am 12.07.2025 um 14:30 Uhr. Eine Karte für einen Rollstuhlplatz und eine Karte für eine Begleitung im Musiktheater Linz.”

Weihnachtswünsche von Betroffenen

Arbeit gegen Armut?

Klischees über Armut halten sich in Österreich immer noch stark. Sie werden auch von Politik und Medien immer wieder verbreitet. Ein Rezept von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) gegen Armut war etwa: Die Menschen sollten eben mehr arbeiten gehen! Eine ehemalige Chefredakteurin empfahl armen Menschen, doch mehr Kartoffeln mit Butter zu essen.

Es ist das Bild, das man aus den Nachmittagssendungen von RTL2 kennt. Der Arbeitslose, der mit Bier und Zigarette untertags auf dem Sofa liegt und nicht arbeiten will. “Dass dieses Klischee nicht stimmt, zeigt ja schon alleine die große Zahl der ‘working poor’”, sagt Kriechbaum. Also Menschen, die arbeiten gehen und dennoch arm sind. Zudem würden viele Menschen “Arbeit” immer noch mit “Geld” gleichsetzen. Dabei arbeiten speziell Frauen sehr viel – nur eben unbezahlt. “Oft kann man dann nicht mehr Zeit in die Erwerbstätigkeit stecken, weil man andere Verpflichtungen hat – etwa Betreuung oder Pflege”, so Kriechbaum.

Gründe für Armut gibt es viele – und sie sind fast immer strukturell. Das zeigt sich etwa bei den Betroffenen. Die am stärksten betroffene Gruppe sind Alleinerzieher:innen, 80 Prozent davon sind Frauen. Wer glaubt, dass Armut mit Faulheit zu tun hat, sagt damit im Umkehrschluss: Alleinerzieher:innen machen zu wenig. Das könnte nicht weiter von der Realität entfernt sein. Sie sind genauso häufig erwerbstätig, wie andere Haushaltstypen – dafür stellen sie die größte Gruppe unter den “working poor”.

Die Wichtel Challenge sollte es nicht brauchen

In der Weihnachtszeit erhält Armut mehr Aufmerksamkeit. Vereine und Einrichtungen wissen: Es ist die Zeit, in der Menschen am ehesten bereit sind, zu spenden. Daher ist es auch die Zeit, in der wir die meisten Spendenaufrufe sehen und Aktionen wie die Wichtel Challenge laufen.

Diese individuelle Armutsbekämpfung ist nichts Schlechtes. Dass wir alle mit unserem Geld Menschen unterstützen können, gibt uns nicht nur ein gutes Gewissen – es kann für manche auch schwere Zeiten abfedern, speziell zu Weihnachten. Doch den Kampf gegen strukturelle Armut können Einzelpersonen nicht gewinnen.

Der Staat ist gefragt. “Es gäbe so viel zu tun im Bereich der Armutsbekämpfung”, sagt Kriechbaum. Armutsfeste Sozialleistungen und Arbeitslosengeld, mehr Flexibilität im Arbeitsbereich, flächendeckende Kinderbetreuung – die Liste könne man sehr lange fortsetzen.

Es braucht mehr Sozialstaat, nicht weniger. Der hebt jetzt schon fast 1 Million Menschen über die Armutsgefährdung. Wir sind wohlhabend genug, auch andere davor zu schützen. 4,2 Milliarden Euro würde uns das Ende der Armut kosten. Damit alle Menschen ein würdevolles Weihnachtsfest feiern können, wenn sie das möchten – ohne auf Spenden angewiesen zu sein.

Bis es so weit ist, kann man Betroffene unter anderem über folgende Plattformen unterstützen:

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