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Gesundheit

Ich habe abgetrieben. Ohne Trauer und Schuldgefühle.

Ich habe abgetrieben. Ohne Trauer und Schuldgefühle.

Ich war schwanger und wusste sofort, ich will das nicht. Also entschied ich mich für eine Abtreibung. In der Zeit dazwischen suchte ich nach intensiven, negativen Gefühlen. Aber die kamen nie. Mein Erfahrungsbericht.

 

Von Lea B.

 

Ich war schwanger und wusste sofort, ich will das nicht. Also entschied ich mich für eine Abtreibung. In der Zeit dazwischen suchte ich nach intensiven, negativen Gefühlen. Aber die kamen nie.
 

In der Theorie habe ich mich immer wieder mal mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch auseinandergesetzt. Mit Ende 20, Anfang 30 setzte sich dann der Gedanke fest, dass ich keine Kinder bekommen will.

Als ich dann vor kurzem den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, wurde mir das plötzlich sehr klar. Ich will keine. Ich rief an bei einer Beratungsstelle und war erst einmal sehr erstaunt. Ich musste mich nicht erklären oder rechtfertigen. Es sagt wohl viel darüber aus, wie öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche gesprochen wird, dass ich das sogar bei diesem Telefonat mehr oder weniger unbewusst erwartete, das tun zu müssen.

Am Vorabend hatte ich mich über Schwangerschaftsabbrüche in Wien informiert und immerhin herausgefunden, dass es in städtischen Spitälern eine etwas kostengünstigere Methode gibt, man aber nur sehr schwer Termine bekommen würde. Diese Information, es sei fast unmöglich, zeitnah einen Termin zu bekommen, beunruhigte mich. Doch tatsächlich bekam ich sofort einen Termin bei einer der Sprechstunden in einer Klinik.

Die Vorahnung, dass ich schwanger sein könnte, hatte ich schon in den Wochen davor gehabt. Ich spürte die Veränderungen in meinem Körper sehr früh – ich denke, bereits in der ersten oder zweiten Woche nach der Befruchtung. Ich fühlte mich wie während eines intensiven PMS, zusätzlich hatte ich permanent Unterleibs- und Brustschmerzen. Auf einem Konzert musste ich den Platz wechseln, da ich den Körpergeruch der umstehenden Personen so unangenehm intensiv wahrnahm, dass ich der Musik nicht mehr folgen konnte. Sex empfand ich auch meist als schmerzhaft, generell litten Sexualität und Partnerschaft sehr. Ich wollte nur schlafen und essen, fühlte mich dick und unwohl und die Geruchsempfindlichkeit beeinträchtigte alle Lebensbereiche. Trotzdem schaffte ich irgendwie guten Gewissens, den Test hinauszuzögern und wartete auf meine Menstruation.

Mit dem sicheren Wissen um die Schwangerschaft begannen parallel zwei Prozesse. Zum einen war ich beschäftigt mit den praktischen, organisatorischen und auch körperlichen Themen, zum anderen begann ich die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen zu reflektieren.

Glücklicherweise war ich in keinem Arbeitsverhältnis, ich hatte Zeit und konnte die Tage entsprechend meiner Bedürfnisse gestalten. Und ich konnte mein nahes Umfeld in all meine Überlegungen und Fragestellungen miteinbeziehen.

Mein Freund nannte es Alien

Der emotionalste Moment für mich war die Frage an meine Eltern, ob sie enttäuscht wären, dass ich ihnen ihr Enkelkind “verwehre”. Bewusst habe ich diese Fragestellung gewählt, da sie so in meinem Kopf herumschwirrte.

Und das ist genau der Punkt. Ich erwartete ständig, dass ich doch andere, intensivere Emotionen entwickeln müsste. Dass ich eine Bindung zu dem Ding in mir entdecken müsste (mein Freund nannte es Alien und in der Tat war das für mich der ideale Ausdruck). Dass ich Trauer empfinden sollte, dass ich mich doch irgendwie schlecht fühlen müsste aufgrund meiner Entscheidung. Ich hatte Angst, dass ich von mir als Mutter träumen und dann aufwachen würde und meine Entscheidung infrage stellen müsste. Doch es passierte nichts. Ich hatte das Gefühl, einen Fremdkörper in mir zu haben, den ich so schnell wie möglich loswerden wollte.

Nach wie vor hatte ich diese Klarheit in mir. Deshalb haben mir diese “fehlenden” Gefühle nicht allzu viel Druck gemacht. Aber ich fand es sehr interessant, welche gesellschaftlichen Erwartungen plötzlich in meinem Kopf herumschwirrten und herauszufinden, was meine eigenen Erwartungen und Emotionen sind und was ich von außen übernehme.

Ich hatte das Gefühl, meinen Körper verteidigen zu müssen

“My body my choice” konnte ich fast körperlich spüren. Mein Körper fühlte sich so anders an und abgesehen davon, dass ich gerade sowieso nicht angefasst werden wollte, hatte ich das ganz starke Bedürfnis, die volle Kontrolle zu haben. In dieser Zeit fühlte ich das schon fast kämpferisch. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinen Körper verteidigen müsse.

Und ja, ich wollte so schnell wie möglich wieder “meinen” Körper haben und der Gedanke, dass mich daran jemand hindern könnte, machten mich wütend und traurig. Anderen Frauen auf dieser Welt passiert das ja.

Während dieser einen Woche, in der ich die Schwangerschaft bewusst erlebte, ging ich sehr offen damit um. Ich sprach mit Familie und FreundInnen über meine Entscheidung und über meine Gefühle. Sogar mit meiner 93-jährigen Großmutter. Sie reagierte mit großem Verständnis. Es sei mein Leben und meine Entscheidung, sie würde mir vertrauen. Sie erzählte, dass sie, als sie in den 60er-Jahren mit einem meiner Onkel schwanger war, diese Schwangerschaft nicht wollte. So sprang sie immer wieder vom Tisch auf den Boden und unternahm Gewaltmärsche im Bayerischen Wald, um einen Abgang herbeizuführen. Doch mein Onkel kam gesund auf die Welt und meine Großmutter bekam noch ein weiteres Kind nach ihm.

Wie ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch abläuft

In das Beratungsgespräch ging ich dann relativ entspannt und tatsächlich war die einzige Frage, die mir dort gestellt wurde, ob ich wisse, wie ich den Abbruch vornehmen wolle. Ich hatte mich schon davor für einen medikamentösen Abbruch entschieden. Er erschien mir weniger invasiv. Und ich wollte den Abbruch zu Hause durchführen, in einem vertrauten Umfeld und nicht alleine. Mein Partner und ich waren uns bei dieser Entscheidung von Anfang an einig und hatten das Gefühl, wir wollten diesen Prozess auch gemeinsam beenden.

Nach dem kurzen Gespräch wurde ich von einer Gynäkologin im Rahmen der Beratung untersucht. Ich war rechnerisch in der 6. Schwangerschaftswoche. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Herzschlag des Embryos vorhanden und ich hatte kurz ein seltsames Gefühl, als ich das erfuhr. Ich akzeptierte diese Tatsache, setzte mich aber auch nicht weiter damit auseinander.

Die Gynäkologin war sehr einfühlsam und professionell, sie drehte den Bildschirm des Ultraschalls weg von mir und legte das ausgedruckte Bild diskret beiseite. Ich fühlte mich hier sehr gut aufgehoben.
Am nächsten Tag musste ich wieder in die Ambulanz kommen. Diesmal wurde ich von Mitarbeiterinnen der Ambulanz untersucht. Diese Untersuchung war weit weniger einfühlsam. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte mich übrigens niemand gefragt, wie es mir geht. Vielleicht strahlte ich so viel Klarheit aus, vielleicht ist das nicht Teil der Routine. Mich störte es nicht, ich fragte mich jedoch, wie ich empfinden würde, wenn ich unter der Entscheidung leiden würde oder aus Unsicherheit mehr Beratung gewünscht hätte.

Ein weiterer Ultraschall wurde vorgenommen. Dieses Mal wurde er – während ich auf dem Untersuchungsstuhl lag – von der Ärztin und der Schwester ausführlich besprochen und erklärt (es war eine Auszubildende anwesend). Die zahlreichen Ausdrucke wurden neben mir auf dem Tisch ausgelegt. Ich war hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Gefühl, ich sollte vielleicht nicht so genau hinsehen. Ich sah hin.

Im Anschluss nahm ich unter Aufsicht der Ärztin die erste Tablette, Mifegyne. Durch die Einnahme löst sich die Gebärmutterschleimhaut und der Muttermund öffnet sich. Die zweite Tablette, die Kontraktionen auslöst und somit die Fehlgeburt einleitet, bekam ich für zu Hause mit und sollte diese 36 Stunden später einnehmen.

Zu diesem Zeitpunkt war mir bereits immer wieder übel, ich verbrachte diese Tage müde und mit Stimmungsschwankungen auf der Couch. Die Einnahme von Mifegyne verbesserte diesen Zustand nicht unbedingt, andererseits war ich zufrieden und dankbar, ich hatte eine Woche lang auf diese Tage gewartet.

Am Abend darauf nahm ich dann Topogyne ein und 20 Minuten später begannen heftige Krämpfe und kurz darauf Blutungen. Nach einigen Stunden nahm ich starke Schmerzmittel und ging ins Bett. In den frühen Morgenstunden fand dann der Abgang statt. Ich war erleichtert. Ich möchte hier nicht zu sehr ins Detail gehen, aber genau vor diesen Stunden hatte ich etwas Angst. Ich hatte Schilderungen aus diversen Foren im Kopf und konnte mich nicht so gut davon abgrenzen, wie ich wollte. Um es kurz zu machen, meine Erfahrung deckte sich nicht mit den Erfahrungsberichten, die ich gelesen hatte.
Am nächsten Tag war ich noch müde, hatte aber keine Schmerzen mehr. Nach einer Woche fand eine Kontrolluntersuchung statt, die zufriedenstellend verlief.

Ich bin dankbar für die Erfahrung

Ich möchte nicht noch einmal einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, aber ich bin trotzdem dankbar um die Erfahrung, auch wenn es komisch klingt. Ich hatte einen tollen Partner an meiner Seite, ich konnte mit ihm alles teilen und er hat mich emotional und praktisch unterstützt. Ich habe Unterstützung in meinem Freundeskreis erfahren und konnte mich auch mit einer Person austauschen, die einen Abbruch hatte.

Da ich mir relativ sicher bin, keine Kinder zu bekommen, werde ich vermutlich keine Schwangerschaft mehr erleben. Jetzt habe ich immerhin die kurze Erfahrung gemacht. Dass ich keine Sekunde an einem Abbruch gezweifelt habe, hat mich darin bestätigt, das Thema „eigene Kinder“ weiter abzuhaken. Inzwischen denke ich über eine Unterbindung, also eine Sterilisation, nach.

Ausgewogene Berichte fehlen

Bis heute habe ich jedoch keine Berichterstattung in Medien gefunden, die ich mir im Falle einer ungewollten Schwangerschaft wünschen würde und die für so viele Frauen wichtig wäre. Selbst wenn man sich als Frau sicher ist, einen Abbruch vornehmen zu wollen, ist eine ungewollte Schwangerschaft erst einmal eine Krisensituation, in der Orientierung wichtig ist. In diversen Foren finden sich tendenziell negative Berichte, die eher abschrecken, als dass sie eine sachliche Auseinandersetzung ermöglichen.

Die undifferenzierte Auseinandersetzung bringt einen Schwangerschaftsabbruch sehr häufig mit Traumatisierung, mit lebenslangem Bereuen und Schuldgefühlen in Verbindung. Ich habe mich selbst dabei beobachtet, wie ich immer wieder in mich ging und nach diesen Gefühlen suchte, deren Fehlen mich fast irritiert hat. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach wie vor ein Stigma und ein Tabu. Alleine die Tatsache, dass ich, und auch nur über Umwege, nur eine einzige betroffene Person getroffen habe, spricht hier für sich. Ich kann hier nur für mich sprechen, ich machte in keinster Weise eine negative Erfahrung.

 

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