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Kapitalismus
Arbeitswelt

Arbeiten wir zu wenig? Was wirklich gegen den Fachkräftemangel hilft

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Wir arbeiten zu wenig. Das hören wir von allen Seiten als Grund für den Fachkräftemangel. Moment mal, sagt Barbara Blaha.

„Ihr wollt‘s ja alle nix hackeln.“ Wenn Dinge wahr werden würden, wenn man sie nur oft genug wiederholt … dann müsste dieser Satz längst wahr geworden sein. Denn das hören wir derzeit sehr, sehr … oft. Die Medien sind voll damit:

„Ihr wollt nix hackeln“ — das ist gerade die Standard-Antwort für viele politische Baustellen. Die Leute sollen mehr hackln, dann wird es schon wieder mit der Wirtschaft. Klingt doch super, oder? Alles wird besser, wenn wir uns nur ein bisschen zusammenreißen. 

 Warum arbeiten so viele Teilzeit?

Blöd ist nur: Diese Antwort, die funktioniert nicht – nämlich so richtig gar nicht –, wenn man die falschen Fragen stellt. Wir stellen heute mal die richtigen Fragen. Zum Beispiel: Warum arbeiten so viele Menschen Teilzeit? Wer würde wirklich gern weniger arbeiten? Und vor allem: Wer profitiert denn von längeren Arbeitszeiten?!

 1. Wer arbeitet wie viel?

Machen wir mal etwas politisch Gewagtes. Verwegenes. Fangen wir, bevor wir Schlüsse ziehen mal an mit den Fakten! Also ganz von vorn: Wer arbeitet wie viel in Österreich? Und warum ist es so, wie es ist? Wir arbeiten in Österreich im Schnitt knapp über 35 Stunden pro Woche. 35,1 Stunden um genau zu sein. Nur so wenig? 

Das liegt daran, dass wir in Österreich überdurchschnittlich viel Teilzeit arbeiten. Mit etwa 30 Prozent liegen wir EU-weit an zweiter Stelle. Nur die Niederlande sind noch vor uns. Aber: Bei den Männern liegt die Teilzeitquote nur geringfügig über dem EU-Schnitt, bei den Frauen ist die Quote mit knapp 50 Prozent um mehr als 20 Prozentpunkte über dem EU-Schnitt. 

Richtig gehört, 50 Prozent – jede zweite Frau. Bei den Männern ist es nur knapp jeder Zehnte. Dass Männer mehr Stunden bezahlt (Einblendung: Kleine Zeitung: Männer arbeiten weniger als Frauen.) arbeiten als Frauen, das ist in jedem Land der EU so. Aber in Österreich ist der Unterschied besonders krass. 

 Ja, warum ist das so? Weil Frauen meist die Hauptverantwortung für die Kinder und die Pflege von Angehörigen übernehmen müssen. Über 400.000 Frauen sagen: Ich bin in Teilzeit, weil ich jemanden betreuen muss. Und wir lassen diese Frauen einfach allein mit der Familienarbeit: Nur die Hälfte der Kindergarten- und Krippenplätze in Österreich lässt einen Vollzeitjob zu.

400.000 Frauen müssen in Teilzeit

 Das heißt: Diese 400.000 Frauen, die haben sich nicht für ein „gemütliches“ Arbeitsleben in Teilzeit entschieden. Sie können nicht anders; sie müssen ihre Arbeitszeit anpassen, weil sie keinen Unterstützung haben – mit den Kindern und bei der Pflege. Es gibt zu wenige Kinderbetreuungsplätze; die, die es gibt, sind oft viel zu kurz geöffnet. Und bei der Pflege schaut es nicht anders aus: viel zu wenig, viel zu spärlich. 

 Von „freiwillig“ kann hier keine Rede sein. Klar: Es gibt viele Menschen, die sich bewusst für die Teilzeit entscheiden. Immer mehr Berufstätige wünschen sich kürzere Arbeitszeiten, um ein bisschen mehr vom Leben neben der Lohnarbeit zu haben. Vor allem Besserverdiener haben in den letzten Jahren deshalb ihre Arbeitszeit reduziert.

Sie denken nicht an noch mehr Geld; sie verdienen ja genug. Sie denken eher an die Freizeit: Familie, Freunde, Hobbies und Haushalt. Leute mit kleinen Einkommen möchten hingegen meist mehr arbeiten, müssten es auch tun, aber können es oft nicht. Weil sie zum Beispiel in Branchen arbeiten, in denen vor allem Teilzeit angeboten wird: Etwa im Handel.  

 2. Arbeiten wir insgesamt zu wenig?

 Aber wie wirkt sich das im Großen dann aus? Arbeiten wir in Summe wirklich zu wenig in Österreich? Die Debatte wird oft so geführt, dass man meinen könnte: Wir wären alle wahnsinnig faul. Aber ein Blick auf die Zahlen zeigt ein völlig anderes Bild. Die Arbeitsstunden pro Kopf sind in den letzten Jahren gestiegen.

Alle zusammen haben wir 2020 etwa 6,5 Milliarden Stunden gehackelt. Letztes Jahr waren es: 7 Milliarden also eine halbe Milliarden Stunden mehr; 500 Millionen Stunden! Ein Anstieg um fast 8 Prozent. Was dafür aber sinkt? Der Anteil der Überstunden, die auch tatsächlich ausbezahlt werden. 2019 wurden von allen geleisteten Überstunden noch 85 Prozent ausbezahlt – also umgekehrt gedacht: 15 Prozent wurden NICHT ausbezahlt.

Massenhaft Überstunden werden nicht bezahlt

Letztes Jahr ist bereits jede 4. Überstunde nicht mehr bezahlt worden: 26 Prozent aller Überstunden. Das läppert sich, meine Lieben: Mehr als 1,5 Milliarden Euro an Lohn wird den Arbeitnehmer:innen so gefladert. Jedes Jahr. Nicht nur das – mit diesem Geld fehlt uns ja auch Geld in anderen Kassen. Wird der Lohn nicht ausgezahlt, dann fehlt uns das auch bei der Lohnsteuer, in der Pensionsversicherung, in der Krankenversicherung.

Die Frage ist also nicht, ob wir insgesamt zu wenig arbeiten oder nicht. Die Frage ist viel mehr, wie die Arbeitszeit verteilt ist. Während manche Menschen Überstunden anhäufen, quasi rund um die Uhr hackeln – und dann oft noch um das Geld geprellt werden. Währenddessen sind andere in die Teilzeit gezwungen, obwohl sie gerne mehr arbeiten würden und obwohl sie das Geld auch wirklich, wirklich gut gebrauchen könnten.

Viele Berufe in Vollzeit nicht lange zu schaffen

Wir haben genug Arbeit für alle, wir arbeiten auch genug – aber wir müssen die Arbeit anders verteilen. Gerade in Berufen, die körperlich oder psychisch stark fordern – zum Beispiel in der Pflege, in der Bildung oder in der Gastronomie – sind die Beschäftigten oft am Rande ihrer Belastbarkeit. 7 von 10 Frauen, die in der Pflege arbeiten, sagen: Ich halte diesen Beruf nicht bis zur Pension aus. Diese Menschen arbeiten sicher nicht zu wenig, im Gegenteil, sie machen Überstunden, springen ständig ein und sind am Rande ihrer Belastbarkeit.

Apropos „am Rande“ – eine Notiz am Rande: Derzeit hätten die Leute ja sogar einen Punkt, die ständig rufen „geht gefälligst mehr arbeiten“. Denn die geleisteten Arbeitsstunden sinken derzeit tatsächlich. Warum? Weil die Arbeitslosigkeit steigt. Damit die Leute mehr arbeiten können, braucht es eben auch mehr Arbeit – nicht nur mehr Appelle. Und wie gibt es mehr Arbeit?

Naja, sagen wir lieber: Ein kluges Konjunkturprogramm. Das könnte sogar doppelt helfen – wenn es eines ist, das nicht nur die Bauwirtschaft wieder anschiebt, sondern auch gleich noch die Klimaziele fest im Blick hat. Derzeit sind wir noch Lichtjahre von unseren Sanierungszielen entfernt.

3. Warum reden dann die Konservativen trotzdem immer davon?

Obwohl diese Zahlen alle öffentlich sind, obwohl das alles kein Geheimwissen ist, finden konservative Politiker:innen und auch viele Wirtschaftsforscher:innen aber: Das ist hinten und vorne nicht genug – und reden wieder nur davon, dass wir alle jetzt aber wirklich mehr hackeln müssen. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Gabriel Felbermayr sagt: “Das Ziel sollte sein, die Arbeitsanreize zu stärken – in jenen Bereichen, in denen Teilzeit oder Nichterwerbstätigkeit häufig sind.”

Der „Bereich“, in dem Teilzeit häufig ist, den haben wir ja schon besprochen: Das sind die Mütter dieses Landes. Vor über einem Jahr hat ÖVP-Noch-Arbeitsminister Martin Kocher auch schon vorgeschlagen: Kürzen wir doch den Leuten, die Teilzeit arbeiten, doch bitte die Sozialleistungen. Sie denken tatsächlich, so könne man Frauen „motivieren“, mehr zu arbeiten. Den Kindergarten, den es dafür bräuchte, den müssen sie sich halt selbst bauen? Stimmt, die Frauen sind ja selbst Schuld, wenn sie zu wenig Geld haben.

 „Wenn ich zu wenig Geld hab, geh ich mehr arbeiten. Weil dann muss ich ja mehr Geld haben. Das passiert aber nicht. Die Teilzit-Quote ist unverändert.“

Karl Nehammer im Burger-Video.

Die Partei, die seit Jahrzehnten den Ausbau der Kinderbetreuung blockiert, ausgerechnet diese Partei richtet den Frauen aus: Wenn ihr Teilzeit arbeitet, dann seid ihr schön selbst schuld, wenn ihr zu wenig Geld habt! 

 Mittlerweile hat die ÖVP einen neuen Schmäh gefunden eine neue Verpackung für das Ganze. Ganz schlau: Bestrafen wir doch nicht die Teilzeit, sondern belohnen wir alle, die viel arbeiten! Was – unterm Strich – ja steuerlich dasselbe ist, aber wird schon irgendwie reingehen, der Schmäh? Solange halt niemand nachrechnet!

Vorschläge nur für besserverdienende Männer werden nicht helfen

Dann würde man nämlich draufkommen, dass die Maßnahmen, die da vorgeschlagen werden, irgendwie immer den Besserverdienern helfen. Oder anders gesagt: den Männern.

Beispiel Nummer eins: Ein Vollzeit-Bonus soll, wie der Name verrät, alle belohnen, die Vollzeit arbeiten. Das sind, wie wir schon gesehen haben, die Männer. Neun von zehn Männern arbeiten Vollzeit, aber nur die Hälfte der erwerbstätigen Frauen. Und zwar unfreiwillig.

Beispiel Nummer zwei: Die Steuern auf Überstunden sollen gestrichen werden. Das freut ebenfalls die Bestverdiener, die machen im Schnitt achtmal so viele Überstunden wie Niedrigstverdiener. Wer Teilzeit arbeitet (also … Frauen!), hat auch von dieser Maßnahme nichts. Als „Überstunde“ gilt erst, was mehr als 40 bzw. 38,5 Stunden pro Woche oder 8 Stunden am Tag gearbeitet wird. Der steuerliche Vorteil geht vor allem an … Männer! 

Beispiel Nummer drei: Die Einkommensteuer soll sinken. Davon profitieren – erraten – die Topverdiener. Wer weniger als 6.600 Euro brutto im Monat verdient (also die große Mehrheit), hätte mit dem Vorschlag der ÖVP saftige 400 Euro mehr im Jahr. Wer mehr als 9.400 Euro brutto im Monat verdient, dem blieben aber 3.000 Euro und mehr pro Jahr zusätzlich. Der Manager hat von dieser Steuersenkung 7,5-mal so viel wie die vielzitierte Billa-Kassierin. 

All die Steuersenkungen haben nicht geholfen

Jetzt fragt man sich: Sollte die Politik nicht im Blick haben, welche Maßnahmen WAS bringen? Was hat schon mal geholfen, was nicht? In der jüngeren Vergangenheit waren alle Bemühungen, mit Steuersenkungen mehr Arbeit aus den Leuten rauszukitzeln, Rohrkrepierer. Das ist gut untersucht und dokumentiert. Die Steuerreform 2016 hat unseren gemeinsamen Staatshaushalt 4,7 Milliarden Euro gekostet aber die Arbeitszeit kaum erhöht.

Ist ja auch logisch: Spitzenverdiener kommen ja blendend aus mit ihrem Spitzengehalt, sie tauschen die Steuerersparnis lieber gegen mehr Freizeit ein. Sie arbeiten weniger bei gleichem Einkommen. Studien belegen, dass Steuersenkungen für Topverdiener sogar genau den gegenteiligen Effekt haben, den sich die Politik angeblich erhofft. Die meisten Männer arbeiten schon Vollzeit.

Für sie gibt es keinen Anreiz, noch mehr zu arbeiten. Was aber stattdessen passiert: Ihre Frauen arbeiten weniger. Sie reagieren viel stärker auf Veränderungen am Lohnzettel ihres Partners als die Männer selbst: Steigt der Lohn des Gatten um ein Prozent, senkt die Frau ihre Arbeitszeit im Schnitt um 0,15 Prozent.

Also, noch mal zum Mitschreiben: Steigen die Einkommen der vollzeitbeschäftigten Männer, erhöhen die ihre Arbeitszeit kaum. Aber einige ihrer Partnerinnen reduzieren ihre Arbeitszeit. Es passiert also das Gegenteil von dem, was man eigentlich will. 

4. Was muss arbeitsmarktpolitisch stattdessen passieren? 

  • Mehr AMS-Förderbudget: Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist eine starke, aktive Arbeitsmarktpolitik wichtig, um Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Obwohl die Arbeitslosigkeit gerade steil nach oben klettert – ohne Aussicht auf Besserung –, ist das Budget des AMS nicht erhöht worden. Dabei würde genau das helfen, Arbeitslose schneller wieder in einen Job zu kriegen und die Langzeitarbeitslosigkeit zu senken.
  • Ein Teilzeit-Malus: In vielen Branchen wird Vollzeit gar nicht angeboten. Im Handel muss man Vollzeit-Jobs mit der Lupe suchen. Warum? Weil Überstunden von Teilzeitkräften viel günstiger sind. Solange es nicht über die reguläre Vollzeit hinaus geht, gilt jede zusätzliche Stunde eben nur als „Mehrarbeit“ – und nicht als Überstunde. Und für Mehrarbeit gibts weniger Zuschlag als für eine Überstunde. Warum genau ist eine Stunde mehr von einer Teilzeitkraft weniger wert als die einer Vollzeitkraft? Das könnte man sofort ändern.
  • Ein Blick nach unten statt nach oben: Ja, man kann die Menschen zu mehr Arbeitszeit bringen, aber dann muss man sich um die kümmern, die wenig verdienen. Am meisten Arbeitszeit holt man nicht bei den Spitzenverdienern raus, sondern bei Frauen mit Kindern. Sie reagieren laut Studien am stärksten auf eine Lohnsteuersenkung. Und damit die wirklich wirken kann, braucht es günstige, lang geöffnete Kindergärten und Schulen mit leistbarer Nachmittagsbetreuung. Sonst bleibt es für die Frauen beim Wollen – aber Nicht-KÖNNEN.
  • Eine Arbeitszeitverkürzung: Auch die kann dazu führen, dass Frauen mehr arbeiten. Wenn wir in den Kollektivverträgen eine kurze Vollzeit ermöglichen, also 35 Stunden, dann lässt sich die Vollzeitnorm auch leichter erfüllen. Gerade in den schwer belastenden Berufen – Stichwort Pflege – wäre das sowieso dringend nötig. Frankreich hat das mit der 35-Stunden-Woche vorgelebt: Viele Frauen haben dort ihre Teilzeitstelle auf die kurze Vollzeit aufgestockt. 

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