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Demokratie
Ungleichheit

Frauenvolksbegehren 2.0: Was daraus wurde und wo es gegen die (türkise) Wand fährt

Knapp 500.000 Menschen haben das Frauenvolksbegehren 2018 (offizieller Titel: Frauen*Volksbegehren 2.0) unterschrieben. Die damalige ÖVP-Frauenministerin nicht, die heutige auch nicht. Wie steht es um die Forderungen, um Lohntransparenz, Mitspracherecht und Wahlfreiheit? Was ist seither geschehen und welche Veränderungen sind noch notwendig? Wir haben nachgefragt: Bei Lena Jäger, Mit-Initiatorin des Frauenvolksbegehrens 2.0. Und bei Katharina Mader, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Wirtschaftsuniversität Wien.

In Österreich verdienen Frauen etwa ein Fünftel weniger als Männer. Gleichzeitig ist ein Viertel aller PensionistInnen armutsgefährdet. Zu den Forderungen im Frauenvolksbegehren zählt neben fairer Bezahlung und Mitspracherecht auch das Aufbrechen von Geschlechterklischees. Außerdem sollen Altersarmut vorgebeugt, Gewalt verhindert und Selbstbestimmung frei gelebt werden. 

Ein Verhältnis zur Frauenministerin? Das ist quasi nicht vorhanden. 

Mauern gegen Frauenvolksbegehren im Frauenministerium 

Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, erhöhter Gewaltprävention, adäquater Sprache in der Benennung von Sexualdelikten: Seit dem Frauenvolksbegehren werden Themen wie diese in der Öffentlichkeit stärker diskutiert, sagt Mit-Initiatorin Lena Jäger. Der Ruf nach Quotenregelungen wurde angeheizt, die Solidarität mit AlleinerzieherInnen gestärkt. Das Frauenbudget wurde von der Regierung im letzten Jahr endlich erhöht, 2021 sollen nochmal 2,5 Millionen Euro folgen. Das war auch notwendig, immerhin hat sich davor jahrelang nichts getan.

Das Team des Frauenvolksbegehrens hatte nicht den Anspruch, dass alle Forderungen sofort umgesetzt werden. Vor allem dem rechten Kurs der türkis-blauen Regierung wollte man entgegenwirken. „Wir haben gezeigt: Wir AktivistInnen sind da“, sagt Jäger. „Und wir sind bereit, den Finger in die Wunde zu legen.“ Das Gespräch mit dem Frauenministerium gestalte sich weiterhin schwierig, ein Austausch sei kaum möglich. „Ein Verhältnis zur Frauenministerin? Das ist quasi nicht vorhanden“, sagt Jäger. Die ÖVP-Frauenministerin Susanne Raab hat das Volksbegehren nicht unterschrieben, ihre Vorgängerin Juliane Bogner-Strauß auch nicht. Bogner-Strauß’ Begründung: Die Forderungen gingen ihr zu weit.  

 
Lena Jäger ist Mit-Initiatorin vom Frauenvolksbegehren 2.0

Lena Jäger zum Frauenvolksbegehren.

Corona verstärkt die Ungerechtigkeit

Der feministische Diskurs ist in der Pandemie leiser geworden. Das Virus dominiert die Politik, alles andere steht hinten an. „Genau jetzt muss die Diskussion aber weiter geführt werden“, sagt Lena Jäger. „Die Corona-Krise ist wie ein Brennglas: Sie zeigt, wo die Ungerechtigkeiten und die Herausforderungen unserer Zeit liegen.“ Genau jetzt fällt die Gesellschaft wieder in alte Rollenmuster zurück. Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit, bleiben bei den Kindern, haben finanzielle Verluste. Viele laufen Gefahr, unter die Armutsgrenze zu rutschen. Dass die Menschen darunter leiden, bemerkt Jäger auch als Vertreterin des Frauenvolksbegehrens: „Ich bekomme regelmäßig Nachrichten von Personen, die das Volksbegehren nachträglich unterschreiben wollen.“ Das geht leider nicht – aber wer möchte, kann sich Jägers Team anschließen. 

Gleichstellungspolitik ist kein „Minderheitenproblem“

Gleichstellungspolitik ist in der österreichischen Verfassung festgeschrieben. Die ganze Regierung müsste sich damit auseinandersetzen. Trotzdem werden Volksbegehren in der Politik kaum ernstgenommen. „Frauenpolitik und Gleichstellungspolitik können nicht davon abhängig sein, ob sich eine Frauenministerin als Feministin bezeichnet oder nicht”, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin Katharina Mader. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit vorrangig mit unbezahlter Arbeit, fairer Budgetverteilung und feministischer Ökonomie. “Ich sehe kaum Verständnis dafür, dass Gleichstellungspolitik alle etwas angeht und nicht nur Frauen.”

Das Instrument des Volksbegehrens sei in den letzten Jahren entmachtet worden, ergänzt Jäger. Dabei ist ein Volksbegehren direkte Demokratie: Alle Menschen können unterschreiben, können ihren Unmut über den Status Quo und ihren Willen zur Veränderung sichtbar machen. „Zumindest die Idee des Volksbegehrens ist eine sehr Mächtige,“ sagt Jäger. Das Frauenvolksbegehren 2.0 haben 481.959 Menschen unterschrieben, finanziert wurde es durch eine Crowdfunding-Kampagne. „Wir wollen partizipativ sein, das ist uns sehr wichtig. Damit alle mitreden können und nicht immer nur die gleichen Stimmen gehört werden.“

Männer gelten als Norm und Frauen als Abweichung von der Norm. 

 
Frauenvolksbegehren. Katharina Mader ist Wirtschaftswissenschaftlerin an der WU Wien.

Katharina Mader zum Frauenvolksbegehren.

Männer als „Norm des Menschen“

Politischen Austausch gibt es mit der SPÖ, den NEOS und den Grünen. Die Schwierigkeit: ÖVP und FPÖ haben die Mehrheit im Parlament und stimmen gerne gegen Gleichstellungsgesetze. „Dabei ist Gleichstellungspolitik ist eine riesige Baustelle,” sagt Jäger. “Frauen und Männer sind in Österreich nicht gleichberechtigt.“ 

Dem stimmt die Wirtschaftswissenschaftlerin Katharina Mader zu. „Ein wesentlicher Faktor unseres herrschenden Systems ist: Männer werden als Norm angenommen und Frauen als Abweichung von der Norm,“ sagt Mader. Jäger präzisiert die Formulierung auf „heterosexuelle, weiße Männer.“ Dieses androzentrische Weltbild wird an vielen Wissenschaften kritisiert. Mader gibt Beispiele aus dem Wirtschaftssystem: „Unter die Norm fällt beispielsweise eine Erwerbstätigkeit mit 40 Stunden pro Woche. Frauen können die oft nicht wahrnehmen, weil sie unbezahlten Pflichten nachgehen. Wir haben in den Köpfen, dass es normal ist, dass sich Frauen um Kinder und Haushalt kümmern.” Gleichzeitig schlagen sich diese Normen in Institutionen nieder, etwa bei Versicherungen und Pensionen. Frauen fallen oft aus diesen Normensystemen heraus. Ihnen fehlen Versicherungszeiten oder sie können von ihrer niedrigen Pension nicht leben. 

Laut Mader braucht es zwei Formen der Veränderung: “Da ist zum einen die große Vision. Die große Utopie davon, wie eine nicht-patriarchale Gesellschaft funktionieren könnte. Und zum anderen die tägliche Arbeit an den Baustellen, die gerade da sind. Ohne die kleinen Veränderungen wirkt die große Vision unerreichbar. Wenn ich aber nur an den kleinen Baustellen arbeite, ändert sich wenig an den großen Machtverhältnissen.”

Eine Wahl, ein Buch und ein langer Atem

Das Frauenvolksbegehren arbeitet mit anderen Projekten aus der Zivilbevölkerung zusammen, etwa mit Black Voices, dem Klimavolksbegehren und dem Tierschutzvolksbegehren. Ziel ist eine starke Basis für umfangreiche Veränderungen. Und Platz für Kritik, für Selbstreflexion, für das Hinterfragen von Privilegien. Bald wird ein neuer Vorstand gewählt, Bewerbungen sind herzlich willkommen. Und mit “ÜberForderungen” gibt es auch ein Buch über die Inhalte des Frauenvolksbegehrens 2.0

Was aber bleiben die größten Herausforderungen für das Team des Frauenvolksbegehrens 2.0? „Durchhalten, langen Atem behalten, dranbleiben“, sagt Jäger.

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